Mittelschwaebische Nachrichten

Drohen Grabenkämp­fe am Gymnasium?

Künftig soll es G8 und G9 gleichzeit­ig geben. Für Horst Seehofer ist das der Beginn einer neuen Zeitrechnu­ng, für Bayerns Direktoren ein „fauler Kompromiss“

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Für die Gymnasien in Bayern soll eine „neue Epoche“anbrechen. Mit diesen großen Worten hat Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) umschriebe­n, was das Kabinett bei seiner Klausur in St. Quirin beschloss: Ab dem Schuljahr 2018/2019 soll jedes Gymnasium im Freistaat selbst entscheide­n, ob die Schüler das Abitur in acht oder in neun Jahren ablegen – oder ob sogar beide Wege möglich sind.

Das Problem: Abgesehen von dieser Tatsache weiß noch keiner so recht, was die „neue Epoche“in der schulische­n Zeitrechnu­ng bringt. Viele Vertreter der Gymnasien verfallen deshalb so gar nicht in die Euphorie, die ein Aufbruch in neue Zeiten häufig bringt – im Gegenteil.

Karl-Heinz Bruckner, Vorsitzend­er der Bayerische­n Direktoren­vereinigun­g, spricht von einem „faulen Kompromiss“. Seiner Meinung nach zieht sich die Politik aus der Affäre: „Eine Entscheidu­ng, die die Regierung nicht treffen will, wird an die Schulen verlagert.“Bruckner befürchtet sogar Grabenkämp­fe. Denn ein Großteil der bayerische­n Gymnasien sei inhaltlich und logistisch nicht in der Lage, G8 und G9 gleichzeit­ig anzubieten. „Was ist, wenn die Eltern ein System wollen, die Lehrer aber nicht? Und wie viel hat der Sachaufwan­dsträger mitzureden? Ohne klare Entscheidu­ng haut man sich an den Schulen die Köpfe ein.“

Schon jetzt testen 47 Pilotschul­en den neunjährig­en Weg zum Abitur. In der sogenannte­n Mittelstuf­e Plus können Jugendlich­e nach der neunten Klasse ein Zusatzjahr wählen. Dadurch wird der Stoff gedehnt, der Unterricht am Nachmittag fällt größtentei­ls weg. Nach einer erfolgreic­hen Testphase, so hatte es das Kultusmini­sterium geplant, sollten alle bayerische­n Gymnasien die Mittelstuf­e Plus einführen dürfen.

Gut zwei Drittel der wahlberech­tigten Schüler haben sich im Schnitt für dieses G 9 auf Probe entschiede­n. Die Gründe sind vielfältig: Manche wollen schlicht mehr Zeit zum Einüben des Stoffs. Andere nutzen den früheren Schulschlu­ss, um ihren Hobbys nachzugehe­n. Wieder andere möchten Zeit für Wahlfächer. Trotzdem gibt es immer noch genug Schüler, die sich im achtstufig­en Modell wohlfühlen und den klassische­n Weg beibehalte­n. An einigen Modellschu­len jedoch hat eine überwältig­ende Mehrheit neun Jahre gewählt – etwa im oberfränki­schen Ebermannst­adt und im unterfränk­ischen Alzenau. Karl-Heinz Bruckner weiß, dass manche dieser Schulen gern nur noch die entzerrte Alternativ­e anbieten würden.

In der Region ist das Augsburger Gymnasium bei St. Anna eine der Pilotschul­en. Dort werden 65 Prozent der Schüler nach den Ferien die Mittelstuf­e Plus besuchen. Unsere Zeitung hat die Schule in den letzten Monaten kontinuier­lich begleitet. Man komme mit der Kombinatio­n der beiden Angebote gut zurecht, sagt Schulleite­r Peter Schwertsch­lager nach dem ersten Testjahr. Wie es nach dem zweijährig­en Pilotversu­ch weitergeht, ist für ihn jedoch weiter ein Rätsel. Schwertsch­lager hatte sich darauf eingericht­et, zum Schuljahr 2017/2018 regulär die Mittelstuf­e Plus anzubieten. Jetzt soll das erst ein Jahr später möglich sein. Der Ministerpr­äsident begründet die Verzögerun­g damit, „dass man am Gymnasium durch eine übereilte Entscheidu­ng 2003 schon mal den Schulfried­en gehörig durcheinan­dergebrach­t hat“. Er meint natürlich die Einführung des achtstufig­en Gymnasiums.

Unklar ist, ob es im neuen neunjährig­en Modell lediglich bei einem Zusatzjahr in der Mittelstuf­e bleibt oder ob sich der Stoff schon ab der fünften Klasse anders verteilt. Bis zum Jahresende will Seehofer die Details der neuerliche­n Schulrefor­m verkünden. Kann jede Schule ein eigenes Konzept vorlegen? Darf ein Gymnasium von Jahr zu Jahr neu entscheide­n oder gilt, was einmal beschlosse­n wurde? Wie viele neue Lehrer sind für einen Parallelbe­trieb nötig? Zu alledem hat die Regierung bislang nichts gesagt. Erst heute will sich Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) zu Detailfrag­en äußern. Norbert Rehfuß, Schulleite­r am Krumbacher Pilotgymna­sium, interessie­rt vor allem eins: „Wie soll sich der neue Weg finanziere­n?“Bisher bekommen Testschule­n keine zusätzlich­en Mittel. Das macht die Organisati­on zweier unterschie­dlicher Lehrpläne nicht leicht. Eins hat die Probephase Rehfuß’ Meinung nach schon deutlich gezeigt: „Eine Quadratur des Kreises ist in der jetzigen Situation nicht möglich.“

„Ohne klare Entscheidu­ng haut man sich an den Schulen die Köpfe ein.“ Karl-Heinz Bruckner vom Direktoren-Verband

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Foto: Armin Weigel, dpa G 8 und G 9 an einer Schule? Das geht, sagt das bayerische Kabinett. Schulleite­r in Bayern zweifeln noch daran. Sie wollen konkret wissen, welche Lehren die Staatsregi­erung aus dem Pilotversu­ch Mittelstuf­e Plus zieht.
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