Mittelschwaebische Nachrichten
„Neue Gesetze schaffen nicht mehr Sicherheit“
Natascha Kohnen, die Generalsekretärin der Bayern-SPD, kritisiert das Sicherheitskonzept der Staatsregierung
Frau Kohnen, die CSU-Staatsregierung hat als Reaktion auf die TerrorAnschläge in Würzburg und Ansbach ein neues Sicherheitskonzept für Bayern vorgelegt. Was halten Sie davon? Natascha Kohnen: Eine Stärkung der Polizei ist längst überfällig, das fordern wir schon lange. Die bayerische Polizei schiebt 1,5 Millionen Überstunden vor sich her. Und die Gewerkschaft der Polizei musste durchsetzen, dass die Beamten zumindest ein freies Wochenende im Monat haben. Das zeigt, wie belastet die Polizei heute schon ist.
Das ist also ein richtiger Ansatz? Kohnen: Die Aufstockung der Polizei ja. Die anderen Maßnahmen sind problematisch. Denn die CSU nutzt die Situation, um ihre alten Forderungen nach mehr Abschottung und mehr Überwachung der Bürger wieder aufzutischen sowie ihren Konflikt mit der Kanzlerin fortzusetzen. Auch ein Einsatz der Bundeswehr im Inland ist für mich keine Option. Was ist Ihre Antwort auf die steigende Terrorgefahr? Kohnen: Wir müssen erst einmal aufklären, Fakten schaffen. Und dann besonnen reagieren – und nicht mit Schnellschüssen. Immer neue Gesetze schaffen nicht mehr Sicherheit. Es sind viele Bereiche, die ineinandergreifen müssen. Dazu gehört, dass wir das Thema Flüchtlinge anders diskutieren.
Was heißt das? Kohnen: Wir müssen viel mehr darüber reden, wie wir mit den Fluchtursachen umgehen. Das wird kaum thematisiert. Es wird immer nur thematisiert, wie wir uns abschotten können. Wir müssen uns darum kümmern, wie es den Menschen dort geht, wo sie herkommen. Wir müssen ihnen in ihren Heimatländern Sicherheit geben und Perspektiven ermöglichen. Das ist ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf.
Der Täter von München war kein Flüchtling. Er hat einen rechtsextremen Hintergrund ... Kohnen: Das zeigt, dass wir uns um die Ursachen kümmern müssen. Wie radikalisieren sich Menschen? Das fängt oft schon sehr früh an, in der Schule. Daher unsere Forderung nach mehr Schulpsychologen und Betreuern. Denn wenn wir die jungen Leute ihrem Schicksal überlassen, kann man sich vorstellen, wer die Jugendlichen dann abholt, die radikalen Kräfte nämlich.
Für diese Forderung sind Sie von Justizminister Bausback als „Sozialromantiker“bezeichnet worden ... Kohnen: Das ärgert uns als Opposition schon sehr, weil wir seit Jahren darüber reden und von der CSU immer abgetan werden nach dem Motto „kommt uns doch nicht damit“... Dabei gehören soziale und öffentliche Sicherheit untrennbar zusammen.
Wo sollen die ganzen Sozialarbeiter, Lehrer, Polizisten auf die Schnelle herkommen? Kohnen: Es war ein Fehler, die Beamtenstellen seit Jahrzehnten zusammenzustreichen. Der muss jetzt korrigiert werden.
Wo setzt die Bayern-SPD mit Blick auf die Landtagswahl 2018 ihre Schwerpunkte? Kohnen: Wir stehen an einem Wendepunkt. Und da geht es um die Frage, wie wir die Gesellschaft zusammenhalten. Und wie wir soziale Verwerfungen vermeiden. Dazu braucht es einen funktionierenden Staat, damit die Menschen sich sicher fühlen. Die eine große Antwort gibt es darauf nicht, sondern viele kleine Schritte.
In welche Richtung? Kohnen: Wir haben vier Schwerpunkt-Themen, die den sozialen Zusammenhalt garantieren: Integration, Familie, Arbeitsplätze, Wohnen. Was meinen Sie mit Wohnen? Kohnen: Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen - bei den aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt - in den nächsten Jahren das Wohnen noch leisten können. Wenn nicht, gibt es eine Neiddebatte.
Wie kann man bezahlbaren Wohnraum schaffen? Kohnen: Durch staatliche WohnbauGesellschaften, Flächen zur Verfügung stellen, Wohnungsbaugenossenschaften-Förderung, steuerliche Maßnahmen. Aber wer wie die CSU die staatseigenen Wohnungen verkauft, tut genau das Falsche.
Interview: Andrea Kümpfbeck