Mittelschwaebische Nachrichten
Wir genießen den Gegenwind
Power per Knopfdruck: Was ein E-Bike-Neuling in der Region Imst erlebt
Nein, mit dem E-Bike will ich noch nicht fahren. Ich fahre schließlich Mountainbike, um fit zu bleiben. Da ist es egal, wenn ich mal langsamer bin oder nur eine kürzere Strecke fahre.“Das waren immer meine Gedanken, wenn wieder jemand von den elektrisch angetriebenen Rädern erzählte, die es seit geraumer Zeit auch in der Mountainbike-Version gibt. Diesen Morgen jedoch war ich froh, dass mir eine Tour mit dem E-Mountainbike bevorstand. Matteo, der italienische Mitradler, sah am Frühstücksbüfett schon sehr sportlich aus in seiner Radlerkleidung. Und als Jerome, ein holländischer Mitreisender, am Abend vorher von seinen sportlichen Aktivitäten erzählte, haben wir alle gestaunt. Ich hatte mich dezent zurückgehalten, war aber jetzt richtig erleichtert über das „E“vor dem Bike. Wer will schon der sein, auf den die Gruppe ständig warten muss?
Die Einweisung wäre beinahe ausgefallen, wenn ich nicht „halt“gerufen hätte. Ja, ich war die Einzige, die es noch nie getan hatte. Also erklärte Tourbegleiter Daniel Köll, wie man mit einem E-Bike umgeht – eigentlich ja mit einem Pedelec, denn der Elektromotor unterstützt den Fahrer nur bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Alles, was danach kommt, muss der Biker ganz alleine treten. Mehr Motorunterstützung würde bedeuten, dass das Rad Versicherung und Kennzeichen braucht. Bei unseren Bikes gab es drei Einstellungen – von ganz leicht, „eco“, über „power“bis zur stärksten Unterstützung „sport“und außerdem eine Gangschaltung. „Beim Losfahren aufpassen“– „Du musst bergab beim Bremsen aufpassen, weil das Rad viel schwerer ist und schiebt“, warnten die Mitradler. Eine Runde auf dem Parkplatz – und ich hatte mich an das E-Bike gewöhnt.
Auf einem immer leicht ansteigenden Radweg, mal geteert, mal gekiest, ging es zunächst im Gurgltal Richtung Fernsteinsee. Irgendwann regnete es nur noch ab und zu, aber die Wege waren völlig durchweicht, sodass der Regenschutz schon allein wegen der Pfützen und Matschspritzer angebracht war. Durch dieses leichte Bergaufradeln in Regenkleidung bekam man irgendwann das Gefühl von „Radeln in Saunawäsche“. Später als sonst allerdings, denn mit einem Druck auf den „Power-Knopf“des E-Bikes waren leichte Anstiege ohne zusätzliche Anstrengung zu bewältigen, das Schwitzen hielt sich in Grenzen. „Eco“als Dauereinstellung erlaubte ein entspanntes Radeln, nebeneinander, ins Gespräch vertieft. Obwohl die Hauptstraße Richtung Fernpass nicht weit entfernt ist, war es auf dem Radweg ruhig, der Autoverkehr weder zu sehen noch zu hören. Leicht bergauf ging es mal entlang der Wiesen, mal durch ein Stück Wald, immer die Berge im Blick, sobald das Wetter es zuließ.
Durch den Torbogen am Schloss Fernsteinsee ging es zum See selber, der uns sonst immer bei der Fahrt über den Fernpass blau entgegenleuchtet. Mit dem Rad konnte ich ihn nun endlich aus der Nähe erleben. Er leuchtete auch heute blau, trotz des anfangs wolkenverhangenen Himmels. Ein türkisblauer See, hellgrüner gepflegter Rasen, dunkelgrüne Nadelbäume: Perfekt für die Postkarte, aber auch für eine Radtour. Was will man mehr?
Eine kurze Rast im Hotel Schloss Fernsteinsee. 1519 erstmals urkundlich belegt, beherbergte das Hotel einst die erlauchtesten Gäste, wie etwa Kaiserin Maria Theresia. Erlauchte Gäste gibt es auch heute noch, berichtete der Schlossherr. Nicht nur, aber auch. Wer im Hotel übernachtet, erlebt nicht nur echtes Schloss-Ambiente in Zimmern, Restaurant und Café, sondern darf außerdem im kristallklaren Wasser der beiden Seen tauchen. Samaranger See und Fernsteinsee sind nämlich in Privatbesitz. Und da die Eigentümer die Schönheit erhalten möchten, ist die Anzahl der Tauchgänge begrenzt und den Hotelgästen vorbehalten.
Unsere Strecke entsprach auf einem Teilstück dem Fernradweg „Via Claudia Augusta“. 260 Kilometer markierte Strecken bietet die Region Imst insgesamt für Radler – von leichteren Touren, die speziell für E-Bikes ausgewiesen sind, bis hin zu schwierigen Mountainbikestrecken. Genug Strecken auch für unseren Begleiter Daniel Köll, der zu Österreichs besten Cross-Country-Bikern gehört. Er übernimmt das Rad von Mitradlerin Stefanie, ein E-City-Bike, das einen Platten hat. Für die schmalen Reifen war der Weg offenbar nicht geeignet. Daniel bewegt auch das reparierte City-Bike locker.
Zurück geht es ohnehin noch leichter, es geht ja meist bergab. Und wenn man dann tatsächlich über 25 Stundenkilometer fährt, merkt man zumindest bergab nicht, wie der Motor ausschaltet. Ich fahre meist mit der leichten „Eco-Einstellung“. Ich hatte nämlich Sorge, dass der Akku leer wird, bevor wir am Ziel sind und ich dann auf dem schweren E-Rad richtig strampeln muss. Als wir nach einem Stopp im Haus der Fasnacht wieder in Imst ankommen, ist der Akku jedoch nicht einmal halb leer.
Im Museum kann man dank moderner Filmtechnik das traditionsreiche Imster Fasnachtstreiben mit den alten geschnitzten Masken, Larven genannt, das ganze Jahr erleben. Die Fasnacht in Imst geht auf das 16. Jahrhundert zurück und hat auch heute noch eine große Bedeutung im Jahreskalender der Imster. 900 Männer sind etwa beim Schemenlauf aktiv, der nur alle paar Jahre stattfindet. Ist ein Imster 16, darf er in der Fasnacht aktiv werden. Viele können es nicht erwarten, bis es so weit ist. Gute 40 Kilometer und rund 800 Höhenmeter haben wir auf dem Rad hinter uns gebracht. Die Tour des nächsten Tages geht von Imst zunächst nach Karrösten. Wir wollen dort eine kunstgewerbliche Weberei anschauen. Doch davor stehen 15 Prozent Steigung. Bei mir nutzt auch der „Power-Knopf“nichts. Die Schaltung geht nicht mehr und im höchsten Gang erklimme ich trotz des E-Bikes die Steigung nicht. Daniel muss zum Werkzeug greifen. Mit kleineren Gängen und elektrischer Unterstützung geht es dann wieder locker über mehrere Serpentinen auf der Teerstraße nach oben. Auch Daniel nutzt heute den „Power-Knopf“. Allerdings aus einem anderen Grund. Er fährt am Nachmittag noch ein Rennen in Karrösten und nimmt unsere Tour zum Auslockern.
Jeder von uns hat mittlerweile seine „optimale Einstellung“gefunden, die Gruppe bleibt zusammen und die Akkus bleiben weitgehend voll. Wir fahren die Serpentinen wieder hinunter, genießen den Gegenwind und die runden Bewegungen und sind unterwegs Richtung Inn, wo wir den Raftern in ihren Schlauchbooten auf dem aufgewühlten braunen Wasser zusehen.
So kommen wir mehr oder weniger unterstützt durch unsere Motoren im Ötztal in der „Area 47“an – ein am See gelegener riesiger Park für Outdoor-Sportarten. Der Weltrekordhalter im Klippenspringen, Laso Schaller, und sein Kollege Liam Atkins trainieren gerade am 27-Meter-Sprungturm, Urlauber gleiten durch die verschiedensten Rutschen und hangeln am Hochseilgarten unterhalb der Autobahnbrücke. Wir klettern auf den Sprungturm hoch und sind froh, dass wir wieder runterklettern dürfen, mit beiden Händen fest am sicheren Geländer.
Daniel hat sich längst verabschiedet und meldet sich per Handy. Er hat die Tschirgant Trophy gewonnen. Das Auslockern auf dem E-City-Bike scheint ihm nicht geschadet zu haben.