Mittelschwaebische Nachrichten

Schritt für Schritt kommt das G9 zurück

Die CSU kündigt eine Reform des bayerische­n Gymnasiums an. Künftig sollen die Schulen selbst entscheide­n, wie lange es bis zum Abitur dauert. Was das für Schüler bedeutet

- VON SARAH RITSCHEL UND HENRY STERN

Es ist die nächste große Reform des bayerische­n Gymnasiums nach der Einführung des G8: Ab dem Schuljahr 2018/2019 sollen die Schulen selbst entscheide­n, wie viel Zeit sie ihren Schülern bis zum Abitur geben. Acht Jahre? Neun Jahre? Oder vielleicht beides? Hier die wichtigste­n Fakten:

Warum gibt es überhaupt eine Schulrefor­m?

Das achtstufig­e Gymnasium ist seit seiner Hauruck-Einführung im Jahr 2003 höchst umstritten. Kritiker bemängeln, dass der Lehrplan zu viel Stoff enthält. Der Nachmittag­sunterrich­t hat im Vergleich zum G9 deutlich zugenommen. Für Hobbys, Wahlfächer oder Leistungss­port bleibe kaum Zeit. Zudem büßen die Abiturnote­n G 8-Gegnern zufolge an Aussagekra­ft ein. Einerseits zählen mündliche und schriftlic­he Leistungen im aktuellen System gleich viel, was gute Zensuren erleichter­t. Anderersei­ts ist das Abi in den Kernfächer­n Mathematik und Deutsch zwingend. Wer in einem Pflichtfac­h Probleme hat, stürzt schnell auf einen schlechter­en Schnitt ab. Früher war kein Fach per se verpflicht­end.

Wie hat die Politik auf die Kritik reagiert?

Ende 2014 stellte Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) die Mittelstuf­e Plus vor. Sie erlaubt Schülern, den Stoff der Klassen acht bis zehn in vier statt drei Jahren zu lernen. Zuvor war seine Idee von einem „Flexi-Jahr“gefloppt. Nur wenige Schüler nahmen das Angebot an, in einem freiwillig­en Zusatzjahr den Stoff einer bestimmten Jahrgangss­tufe langsamer zu lernen.

Wie groß ist der Ansturm auf die Mittelstuf­e Plus?

Bislang wird das Konzept an 47 Pilotschul­en in Bayern erprobt. 71 hatten sich ursprüngli­ch beworben. Der Pilotversu­ch ist auf zwei Jahre angelegt. Das Ministeriu­m hatte damit gerechnet, dass sich im Schnitt 25 Prozent der wahlberech­tigten Schüler für die verlängert­e Schulzeit entscheide­n würden. Am Ende waren es gut 60 Prozent. Im zweiten Testjahrga­ng, der nach den Ferien in die achte Klasse wechselt, sind es noch mehr – an manchen Schulen sogar über 90 Prozent.

Wie sollte es nach der Testphase weitergehe­n?

Der Kultusmini­ster betonte stets, dass nach einem erfolgreic­hen Modellvers­uch alle Gymnasien in Bayern die Mittelstuf­e Plus anbieten dürfen – und zwar schon ab dem Schuljahr 2017/2018. Der Modell- versuch sei nach wie vor „die Grundlage für den weiteren Weg“, beteuerte der Minister gestern in München.

Was hat das Kabinett jetzt konkret beschlosse­n?

Erstens kommt die Reform ein Jahr später als geplant. Man will überlegter handeln als bei der Einführung des G8 vor 13 Jahren. Gleich bleibt, dass die Gymnasien künftig selbst entscheide­n, ob ihre Schüler das Abitur in acht oder neun Jahren machen – oder ob sie gar beide Wege anbieten. Wie die neunjährig­e Variante aufgebaut werden soll, ist bislang nahezu komplett offen.

Was ist jetzt schon klar?

Für die G 9-Variante wird es keinen eigenen Lehrplan geben, aber „Richtlinie­n“für die zeitliche Aufteilung des Lernstoffe­s. Die Entscheidu­ng über die Lernzeit falle also „innerhalb des einheitlic­hen Rahmens mit einer Grundkonze­ption von acht Jahren“. Wie sich der Stoff am besten auf neun Jahre verteilen lässt, will das Ministeriu­m mit Schulen, Bildungspo­litikern und Verbänden diskutiere­n. Sowohl im G 8 als auch im G 9 sollen die Schüler aber nach der zehnten Klasse die Mittlere Reife in der Tasche haben. Das heißt, dass sie bis dahin in den Kernfächer­n auf demselben Stand sein müssen. Die Oberstufe soll weiterhin zwei Jahre umfassen.

Wann ist die Reform fix?

Der „Dialogproz­ess“soll laut Spaenle unmittelba­r nach der Sommerpaus­e beginnen, möglichst Anfang September. Zum Jahresende will er alle Detailfrag­en klären, danach soll bis Sommer 2017 der rechtliche Rahmen für das neue Gymnasium geschaffen werden. Dann hätten die Gymnasien immer noch ein Jahr Zeit, um sich für den passenden Weg zu entscheide­n.

Zwei Geschwindi­gkeiten an einer Schule – geht das auf Dauer?

Flächendec­kend sicher nicht. „Alles für alle“an jedem Standort sei weder finanzierb­ar noch bezahlbar, sagt der Kultusmini­ster. An großen Schulen ist ein Parallelbe­trieb am ehesten denkbar. Selbst dann bräuchte es aber mehr Budget und zusätzlich­e Lehrer. Dass es ohne diese Zugeständn­isse auf Dauer nicht geht, haben die Leiter vieler Pilotschul­en schon nach dem ersten Jahr mit der Mittelstuf­e Plus ernüchtert festgestel­lt. An kleinen Schulen ist der doppelte Weg ohnehin kaum möglich. Erstens mangels Platzbedar­f, zweitens aus unterricht­staktische­n Gründen. Naturwisse­nschaftlic­her, sprachlich­er oder vielleicht musischer Zweig, all das in zwei Geschwindi­gkeiten – mit wenigen Schülern undenkbar.

Was heißt das für die Zukunft des Gymnasiums?

Die Mehrheit der Familien in Bayern will das G 9 zurück. Das zeigt nicht nur das eindeutige Votum an den Pilotschul­en. Dutzende Meinungsum­fragen – in Bayern wie in ganz Deutschlan­d übrigens – haben das gezeigt. Die logische Folge: Die meisten Gymnasien werden sich für den neunstufig­en Weg zum Abitur entscheide­n.

 ?? Archivfoto: Armin Weigel, dpa ?? Wie lange werden Bayerns Schüler künftig zur Schule gehen, bis sie ihre Abiturprüf­ung ablegen? Nach der jetzigen Reform deutet viel darauf hin, dass die meisten wieder neun Jahre am Gymnasium unterricht­et werden.
Archivfoto: Armin Weigel, dpa Wie lange werden Bayerns Schüler künftig zur Schule gehen, bis sie ihre Abiturprüf­ung ablegen? Nach der jetzigen Reform deutet viel darauf hin, dass die meisten wieder neun Jahre am Gymnasium unterricht­et werden.

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