Mittelschwaebische Nachrichten
Anna verausgabt sich mit ihrem Yusif
Oh, Wonne des Wohllauts: Die Netrebko sorgt samt Ehemann konzertant für Verzückung
Salzburg Die Netrebko und Salzburg – was für ein Silbertablett für diesen Luxussopran. Hier hatte sie 2002 als No-Name, den keiner auf der Rechnung hatte, ihren EuropaDurchbruch als Donna Anna. Hier trieb sie 2005 als „La Traviata“auf dem Höhepunkt des Netrebko-Fiebers die Schwarzmarktpreise bis zu 3000 Euro pro Billett hinauf. Und hier führt sie 2016 ihren frischgebackenen Ehemann gleichsam in die Olympischen Spiele der Musik ein, die immer wieder gern im kleinen Österreich, in den Opernhauskurven von Wien und Salzburg ausgetragen werden. Tu felix Austria.
In den Programmheften dieses Jahres schaut Anna mit ebenmäßigem Teint verträumt in die Ferne – als Werbeträgerin für „The High Jewellery Collection“des Schmuckproduzenten Chopard. Das kann sie selig. Als Manon Lescaut in Puccinis gleichnamiger Oper träumt sie mitunter genauso versonnen – wenn sie die wahre Liebe erhofft, der einst- weilen aber noch librettogemäß ihr Hang zu teuren Preziosen im Wege steht. Im Großen Festspielhaus trägt Anna Netrebko ein mehrreihig funkelndes Collier. Das putzt. Das passt auch in den zweiten Akt – nicht aber in den ersten, dritten und vierten, wenn sie entweder ins Kloster gebracht werden soll oder als verurteilte Schmuckdiebin nach Amerika ausgeschifft wird bzw. dort als Flüchtende in der Wüste ihr Leben auszuhauchen hat. Doch das Collier ist immer dabei. Es gehört wohl einfach – tödliche Tragik hin oder her – zum konzertanten Auftritt eines Superstars der Oper. Szenisch ginge das gar nicht.
Aber man muss es mitsamt ihrer Abendrobe schlucken – entgegen jeder Plausibilität. Schluckt man auch, wenn von ihr so gesungen wird, wie sie singt an diesem denkwürdigen Abend im Großen Festspielhaus, das zu klein ist für die Publikumsnachfrage und gerade groß genug für ihr Vokalvolumen, das mittlerweile ja auch Wagner hebt und trägt.
Aber heute Abend darf sie keine gestandene Frau sein, heute muss sie jung sein, blutjung. Konkret: 18. In diesem Alter ist kaum einer schon ausgeglichen, und entsprechend hinund hergerissen zwischen zuckersüßem Strahlen und schmollendem Mündchen gibt sich die Netrebko im ersten Teil des Abends. Noch ist sie (schulterfrei) kokett, noch verschaffen ihr die Schönheit und ihr kostbarer Schmuck alles Selbstwertgefühl. Und die realiter 44-Jährige singt das tatsächlich mit jugendlich-frischem Sopran, wendig und weich, rund und offen, blühend und facettenreich. In ihren Ausbrüchen aber – „miracolo d’amore“– flutet sie das Haus regelrecht, umweht freilich von einem tragischen Flor. Verschwenderische Wonne des Wohllauts, verschwenderische Fülle der Gefühle. Das ist in gewisser Weise auch Kino. Hier gilt zweidreiviertel Stunden lang nicht ohne Exhibitionismus und Voyeurismus: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Doch die Netrebko trägt nicht nur das auffallende Collier, sondern diskret auch einen schmalen Ring. Seit Ende 2015 lautet ihr Familienstand: verehelicht. Mit ein bisschen gutem Willen kann man fast noch von Honeymoon sprechen. Der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov ist ihr Auserwählter, ihn nimmt sie unter ihre Fittiche. Mittelfristig dürfte das ein neues Traumpaar der Oper ergeben. Auch Eyvazov verströmt und verausgabt sich seelisch wie vokal. Sein Student Des Grieux kann Manon aufrichtig Liebe bieten, doch noch keine existenzielle Absicherung.
Den entflammten jungen Mann, der Manon auf der Bühne begrüßt mit den Worten „Mein Gott, wie schön sie ist!“, schmerzt es sichtlich und hörbar, dass alle Welt sich gegen seine Liebe zu verschwören scheint. Er macht das in samtenem RokokoLivree gut, sehr gut, mit einer Kraft, die ihm unangestrengt zu Gebote steht. Aber gleichzeitig ist sein sämig-dunkler Tenor im Eifer des Gefechts immer mal wieder eine Spur zu hoch – und die vokal glitzernde „Träne“ob allen Schmerzes und ob aller Verzweiflung noch ausbaubar. Aber das wird. Er lernt, er will. Charisma ist vorhanden und der Wunsch auf einen Familienbetrieb. Die Stunde wird kommen, da Anna als Aida und Yusif als Radames taktvoll im Einklang sind. Dann verdursten sie wieder, vereint in Liebe.
Bleibt zu erwähnen, dass die Protagonisten ungezwungen wandelnd vor dem solide aufspielenden Münchner Rundfunkorchester agierten und dabei eher weniger als öfters direkten Sichtkontakt zum anfeuernden Dirigenten Marco Armiliato hatten. Aber der Abend funktionierte dennoch, alle zogen am selben Strang der aufwallenden Gefühle, auch der Wiener Staatsopernchor sowie u. a. Armando Piña als Lescaut, Charles Chausson (Geronte) und Benjamin Buchheim (Edmondo). Klar: Ovationen.
Wieder am 7. August
Das dürfte bald ein neues Traumpaar der Oper geben