Mittelschwaebische Nachrichten
Das Elefanten-Dilemma von Augsburg
Wenn der Zoo seine Dickhäuter nicht verlieren will, muss er dringend eine neue Anlage bauen. Aber woher das Geld nehmen? Nun warnt die Direktorin: Ohne Elefanten steht die Zukunft des Tierparks auf dem Spiel. Wie andere Städte mit solchen Problemen umgehe
Augsburg Targa ist eine behäbige alte Elefantendame im Augsburger Zoo. Sie steht unter strenger Beobachtung. Neulich hatte sie eine Beule am Bauch. Die Pfleger waren alarmiert. Glücklicherweise war es nur eine Wasseransammlung, die mit Medikamenten behandelt werden konnte. Aber auch heute wird Revierleiter Marcus Lindner genau prüfen, wie es der asiatischen Elefantin gesundheitlich geht. Targa ist 61 Jahre alt und damit einer der ältesten Zooelefanten weltweit. Das macht die Sache schwierig. Denn ohne Targa läuft der Zoo Gefahr, dass in Augsburg gar keine Elefanten mehr gehalten werden können – mit womöglich existenziellen Folgen für eine der größten Attraktionen in der Region.
Ein Tierpark ohne Elefanten? Für Augsburgs Zoodirektorin Barbara Jantschke ist dieser Gedanke nicht vorstellbar. Sie weiß genau: Großtiere wie Löwen, Menschenaffen, Giraffen oder Elefanten sind die Lieblinge beim Publikum. „Wenn Familien einen Besuch im Zoo planen, spielen Großtiere eine entscheidende Rolle“, sagt sie. Dazu kommt: Augsburg hat Konkurrenz. München ist nicht weit weg. Dort bekommt der Tierpark Hellabrunn gerade ein aufwendig saniertes Elefantenhaus für 20 Millionen Euro.
Von solchen Summen kann Jantschke nur träumen. Sie steht vor dem Problem, dass die bestehende Elefantenanlage in Augsburg moderne Haltungsanforderungen nicht mehr erfüllt. Deshalb können keine neuen Tiere mehr geholt werden. Die Herde ist schon um die Hälfte geschrumpft. Die beiden afrikanischen Elefanten mussten nach einem Unfall aus Sicherheitsgründen abgegeben werden. 2011 hatte Elefantenkuh Sabi einen Pfleger angegriffen und schwer verletzt. Jetzt sind nur noch die beiden Asiaten Burma, 47, und Targa, 61, übrig.
Die Pläne für eine neue Elefantenanlage liegen längst in der Schublade. Doch der städtischen Einrichtung fehlt das Geld für den Bau. Er kostet mindestens sechs Millionen Euro. Seit über einem Jahr wird nach Finanzierungslösungen gesucht. Nun gab es einen schweren Rückschlag: Die erhoffte Millionenförderung durch die Europäische Union hat nicht geklappt.
Von der Stadt gibt es wegen der angespannten Haushaltslage schon seit Jahren kein Geld für Investitionen im Zoo. Wenn aber in Augsburg keine Elefanten mehr zu sehen sind, „werden die Besucher die nächsten Preisrunden beim Eintritt nicht mehr akzeptieren“, sagt Jantschke. Dann steht aus Sicht der Direktorin mittelfristig die Existenz des gesamten Zoos auf dem Spiel. Will man die Elefanten behalten und die Anlage modernisieren, müsste man ebenfalls die Eintrittspreise erhöhen. Aber auch damit ließe sich die Investition nicht allein schultern. Es sind also Alternativen nötig.
Probleme gibt es auch mit ande- ren Großtieren. Auf dem „AfrikaPanorama“fehlen inzwischen die Giraffen. Zuvor hatten sich hier die Todesfälle gehäuft. Auch ihr Gehege muss modernisiert werden, bevor neue Giraffen geholt werden können. Auch das kostet Geld.
Wie gehen andere Zoos mit diesen Problemen um? Sind andere Städte eher in der Lage, solche Baumaßnahmen zu finanzieren? Und wenn ja, wie? 150 Kilometer weiter nördlich atmet Dieter Kühnlein am Telefon hörbar auf. Weil sie ja ein heikles Thema war und immer noch ist, die Delfinlagune samt Freiluftbecken und Besucher-Tribüne. Über Jahre wurde diskutiert, ob es den Neubau im Tiergarten Nürnberg wirklich braucht. Erst recht, wo Tierschützer vehement gegen Delfin-Shows wettern. Erst recht, wo so ein Projekt Unmengen an Geld verschlingt. 24 Millionen Euro waren veranschlagt, 31 sind es geworden. Einen Teil der Mehrkosten – 3,5 Millionen Euro – hat die Stadt übernommen, erzählt Verwaltungsleiter Kühnlein. 20 Millionen Kredit erhielt der Tiergarten von der Stadt.
Auch wenn der Mann das so offen nicht sagen würde: In Nürnberg ist man ein Stück weit ernüchtert. Nicht nur, weil die Delfin-Lagune nach Baumängeln schon wieder für Millionen saniert werden muss. Nein, man hatte auch damit gerechnet, dass die Attraktion mehr Publikum anlockt. Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Besucherzahl lag in den vergangenen Jahren relativ konstant bei 1,07 Millionen. Nun denkt die Stadt darüber nach, die Eintrittspreise zu erhöhen.
So eine Investition ist ein Kraftakt, sagt Katrin Baumgartner, die leitende Tierärztin. Und sie hat auch Auswirkungen auf den restlichen Zoo. „Wir haben auf die Elefanten verzichtet“, sagt Baumgartner. 2008 wurde Bibi, die letzte Elefantendame, nach Rostock abgegeben. Ihren Platz haben heute die Nashörner. „Ein Zoo muss sich eben manchmal entscheiden“, sagt sie. „Wir haben uns für die Lagune entschieden.“
In Augsburg dagegen will man die Elefanten behalten. Aber was, wenn es nicht klappt? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Existenz des Zoos auf dem Spiel steht. Auch im Jahr 2002, als Direktorin Barbara Jantschke ihren Dienst antrat, herrschten Krisenzeiten. Damals war die Zoo-Gesellschaft überschuldet. Die Stadt musste rund eine Million Euro zuschießen, um die GMBH vor der Insolvenz zu retten. Damit nicht genug. Der Zoo brauchte auch eine neue Betriebserlaubnis. Mehrere Tiergehege hatten große Mängel.
Die Probleme hatten sich schon unter dem früheren Zoochef Michael Gorgas verschärft. Er und seine Frau als Vize-Chefin wurden später ein Fall fürs Gericht. Der Vorwurf lautete auf Untreue. Das Verfahren gegen den damals schon schwer kranken, inzwischen verstorbenen Direktor wurde wegen „Verhandlungsunfähigkeit“eingestellt. Gorgas ging in den Ruhestand. Seine Frau wurde verurteilt.
Nach dem Direktorenwechsel ging es wieder aufwärts. Unter neu- er Führung gelang es, trotz weiterhin knapper Mittel ein Modernisierungsprogramm in Gang zu bringen. Über 5,3 Millionen Euro wurden investiert, um den Zoo attraktiver zu machen und die zunehmend strengeren Haltungsanforderungen für Tiere in Deutschland, aber auch in europäischen Zoos, zu erfüllen.
Auf diese Weise entstand die neue Nashornanlage. Dort werden nun Südliche Breitmaulnashörner gezüchtet. In diesem Jahr gab es erstmals Nachwuchs – im Doppelpack. Die beiden jungen Rhinos Kibo und Keeva bringen den Augsburger Zoo derzeit bundesweit in die Medien. Sie ziehen auch viele Besucher an.
Allerdings kann sich der Zoo nur finanziell überschaubare Projekte leisten. Denn er muss seine Betriebskosten zu 80 Prozent selbst erwirtschaften. Der städtische Zuschuss fällt mit knapp einer Million Euro pro Jahr vergleichsweise bescheiden aus. Auch notwendige Investitionen muss der Zoo selbst stemmen. Die Stadt beteiligt sich wegen ihrer Haushaltsprobleme seit vielen Jahren nicht mehr an neuen Projekten ihrer Tochtergesellschaft.
Immerhin kann Jantschke auf die Unterstützung eines rührigen Fördervereins bauen. Die Augsburger Zoofreunde finanzierten in den vergangenen Jahren 13 neue Gehege für insgesamt 3,5 Millionen Euro. Diese kommen bei Besuchern gut an – beispielsweise die Anlage mit Kattas. Dort kann man mitten hindurch laufen und die kleinen Halbaffen mit den geringelten Schwänzen ohne trennende Gitter beobachten. Neueste Attraktion ist eine für Menschen begehbare Anlage, in der sich Fischotter und Biber tummeln.
Die Rechnung ist aufgegangen. Die Besucherzahlen sind in den vergangenen Jahren von 450 000 auf gut 580 000 gestiegen. Beim Eintrittspreis von zehn Euro für Erwachsene ist aber eine Schallgrenze erreicht. Teurere Tickets seien kaum durchsetzbar, sollten keine Elefanten mehr zu sehen sein, sagt Jantschke. Zum Vergleich: In Hellabrunn kostet der Eintritt 14 Euro. Der Münchner Zoo ist aber viel größer.
Zwar springt in Augsburg nun ein Helfer in die Bresche. Der Förderverein hat dem Zoo zugesagt, Geld für die neue Elefantenanlage zu sammeln. „Für uns allein ist das Projekt aber mehrere Nummern zu groß“, sagt der Vorsitzende Herbert Mainka. Ob der Stadtrat ausnahmsweise eine Finanzspritze genehmigt, wird sich nach der Sommerpause herausstellen. Die Chancen stehen eher schlecht.
Aus Sicht von Fachleuten macht sich in dieser schwierigen Lage auch noch ein anderes Defizit bemerkbar: Dem Augsburger Zoo fehlen große Geldgeber. So, wie sie etwa Hellabrunn vorweisen kann. Dort war die Giraffensavanne – 10 000 Quadratmeter groß, inklusive Giraffenhaus
Wovon die Chefin nur träumen kann Hellabrunn hat das Glück, einen Sponsor zu haben
und zweistöckiger Besucherplattform – nur möglich, weil die Stadtsparkasse München insgesamt drei Millionen Euro zahlte. Anders ginge es nicht, stellt Tierpark-Sprecher Daniel Hujer klar. „Es ist schon eine Leistung für einen Zoo, wenn er seine laufenden Kosten aus eigenen Mitteln decken kann.“
90 Prozent seiner Einnahmen erzielt Hellabrunn durch Eintrittsgelder. Und die Zahlen sind gut, auch weil in den letzten beiden Jahren so viele Besucher wie nie kamen. 2014 etwa waren es mehr als zwei Millionen – dank der Eisbären-Zwillinge Nela und Nobby.
In München verfolgt man die Augsburger Debatte aufmerksam. Vielleicht, weil man hier vor Jahren ebenfalls um das Elefantenhaus bangte. In dem Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, war ein Teil der Decke heruntergebrochen, es bestand Einsturzgefahr. Kosten der Baumaßnahmen, die seit fünf Jahren laufen: 20 Millionen Euro. Die Stadt sprang mit gut 17 Millionen ein. Eine absolute Ausnahme, stellt Hujer klar. Denn sonstige Projekte, wie aktuell der Umbau der Polarwelt, stemmt der Tierpark selbst.
„Hellabrunn ist ohne Elefanten nicht denkbar“, sagt Hujer. Natürlich, weil Elefanten zu den beliebtesten Tieren im Zoo gehören. Vor allem aber, weil das Elefantenhaus mit seiner markanten Kuppel das Wahrzeichen des Tierparks ist.
Auch in Augsburg würde ohne Elefanten eine lange Tradition zu Ende gehen. Dickhäuter werden am Rand des Siebentischwalds seit vielen Jahrzehnten gehalten. 1954 entstand das erste Elefantenhaus. Im kommenden Jahr wird der Augsburger Zoo 80 Jahre alt.