Mittelschwaebische Nachrichten
Er hat den Dreh raus
Regisseur Hans-Jürgen Tögel prägte das deutsche Fernsehen mit Serien wie „Das Traumschiff“oder „Die Schwarzwaldklinik“. Heile-Welt-TV? Von wegen! Einmal wurde er sogar von einem Löwen gebissen
Herr Tögel, Sie sind vermutlich der erfolgreichste deutsche Fernsehregisseur – aber außerhalb der TV-Branche kennt Sie praktisch niemand. Wie kommt das? Hans-Jürgen Tögel: Das lässt sich ganz leicht erklären: Ich habe viele Jahre lang umgesetzt, was sich kreative Köpfe wie Helmut Ringelmann, der Produzent von Serien wie „Derrick“, „Der Alte“und „Siska“, oder Wolfgang Rademann, der Erfinder von „Schwarzwaldklinik“und „Traumschiff“, ausgedacht haben. Sie waren die Schöpfer, ich war der Réalisateur, wie die Franzosen sagen würden. Aber es hat mich nie gestört, im zweiten Glied zu stehen.
Sie haben fast ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet. Warum? Tögel: Ich wollte die Welt sehen und nicht bloß alle zwei Jahre einen Film machen, und das war in meiner Anfangszeit als Regisseur nur beim Fernsehen möglich. Aber ich bereue das nicht. Wenn man die Zuschauerzahlen aller meiner Arbeiten addiert, ergibt das vier Milliarden Menschen, die meine Filme gesehen haben. Ich habe derart viel gedreht, dass es zeitweise sogar Gerüchte gab, der Name Tögel sei ein Pseudonym, hinter dem sich mehrere Regisseure verbergen.
Obwohl Sie früh wussten, dass Sie Regie führen wollen, haben Sie eine Schauspielschule besucht. Tögel: Ich wollte wissen, wie ich die beste Leistung aus den Darstellern herausholen kann. Viele Regisseure machen sich nicht die Mühe, sich in ihre Schauspieler hineinzuversetzen. Einmal, beim Dreh einer erotischen Bettszene, genierten sich die beiden Hauptdarsteller und baten mich, alle anderen Mitarbeiter wegzuschicken. Aber das war ihnen noch nicht genug: Ich sollte mich ebenfalls ausziehen, was ich auch tat. Damit war das Eis gebrochen.
Es gab auch lebensgefährliche Ereignisse in Ihrer Karriere. Tögel: Ja, das ist wahr. Unter anderem hatte ich bei den Dreharbeiten zu einer „Schwarzwaldklinik“-Folge eine schmerzhafte Begegnung mit einem Löwen, der mir ein Stück Fleisch aus der Wade gerissen hat, wobei ich gestehen muss, dass ich dabei vor lauter Adrenalin gar keine Schmerzen hatte. Kurz zuvor wäre ich beinahe von einer Boa constrictor erwürgt worden. Ich wollte einer Schauspielerin vormachen, wie man mit der Schlange um den Hals tanzt, hatte aber nicht bedacht, dass es zu kalt für das Tier war, das sich dann sozusagen an mich gekuschelt hat. Ich hatte viel Glück in meinem Leben, meine Schutzengel waren schon in meiner Jugendzeit stark beschäftigt.
Sind Dreharbeiten heute im Vergleich zu damals eine Komfortzone? Tögel: Ja, das kann man so sagen. Es gibt spezielle Sicherheitsbeauftragte, und sämtliche Stunts müssen bestimmte Bedingungen erfüllen. So etwas gab es früher alles nicht. Ich erinnere mich an ein Erlebnis in Kenia: Bei der Besichtigung eines Drehorts sprang ich aus dem Auto, um die beste Kameraposition auszusuchen, als ganz in der Nähe ein Löwe brüllte. Unser Manager, der auch für unsere Sicherheit zuständig war, rief mich sofort zurück und legte das Gewehr an. Die Strecke zum Auto habe ich in rekordverdächtigem Tempo zurückgelegt. Meine nächste Begegnung hatte ich nachts im Camp mit einem Nilpferd. Es öffnete sein riesiges Maul und gab mir auf diese Weise zu verstehen, dass ich mir einen anderen Weg suchen musste. Ab dem Moment hatte ich ständig eine bewaffnete Begleitperson an meiner Seite.
Waren eifersüchtige Ehefrauen der Stars auch eine Gefahr? Tögel: Nicht für mich zumindest, aber das ist zum Glück ebenso Vergangenheit wie die „Besetzungscouch“. Mir ist es auch mal passiert, dass sich ein junges Ding vor meinen Augen entblättert hat. Ich habe das als sehr grotesk empfunden, aber gerade in den 60ern gab es viele attraktive Frauen, die auf diese Weise Karriere gemacht haben.
Sie berichten in Ihrem Buch auch von einem Hauptdarsteller, der vor Beginn des Drehs am Set seine Schnapsflaschen deponiert hat. Tögel: Das gab es erstaunlich oft. Ich habe Schauspieler erlebt, die sich re- gelrecht zugesoffen haben. Das kann sich heute niemand mehr leisten, weil man sofort regresspflichtig gemacht und gefeuert wird. Außerdem spricht sich so etwas ganz schnell ’rum, dann bekommt man keine Rollenangebote mehr.
Dann gehören auch Eskapaden wie die des „Derrick“-Darstellers Horst Tappert der Vergangenheit an? Tögel: „Derrick“war eine der erfolgreichsten deutschen Produktionen überhaupt, die Serie ist in über hundert Länder verkauft worden, daher konnte Tappert sich Starallüren leisten und auf Kosten des Senders Maßanzüge aus London und handgefertigte Schuhe aus Italien ordern.
In den 80ern haben Sie mit der „Schwarzwaldklinik“regelmäßig bis zu 25 Millionen Zuschauer erreicht. Waren das die goldenen Jahre des öffentlich-rechtlichen Fernsehens? Tögel: Ja, und das lag nicht nur an Männern wie Ringelmann und Rademann, sondern auch an den Sendern. Da saßen Menschen mit Visionen, die für ihre Projekte brannten. Viele Redakteure betrachten ihre Arbeit heute nur als Job, es mangelt ihnen an Sensibilität. Im Grunde könnten sie auch in anderen Branchen Karriere machen. Wenn ich so etwas sehe, frage ich mich oft: Welchen Beruf schwänzt der eigentlich?
Was hat sich seit jener Zeit stärker verändert – die Filme oder die Zuschauer? Tögel: Die Zuschauer – und deshalb die Filme. Früher reichte es, wenn Maria Schell auf der Leinwand weinte, dann hat das ganze Kino mitgeheult. Heute haben gerade die jungen Leute eine ganz andere Emotionalität. Die erfolgreichsten Kinofilme sind Materialschlachten aus Hollywood, die mehrere hundert Millionen Dollar gekostet haben und bis ins kleinste Detail ausgefeilt sind. Auch die Darstellung von Gewalt hat deutlich zugenommen. Heute ist eine Brutalität salonfähig, die früher gar nicht erlaubt gewesen wäre. Deshalb haben wir damals dafür gesorgt, dass sich die Gewalt in der Fantasie der Zuschauer abspielt, das war viel wirkungsvoller. Das Bedürfnis nach Spannung hat so stark zugenommen, dass der Krimi mittlerweile eine Art Lebenselixier für die Deutschen ist.
Interview: Tilmann P. Gangloff