Mittelschwaebische Nachrichten

Er hat den Dreh raus

Regisseur Hans-Jürgen Tögel prägte das deutsche Fernsehen mit Serien wie „Das Traumschif­f“oder „Die Schwarzwal­dklinik“. Heile-Welt-TV? Von wegen! Einmal wurde er sogar von einem Löwen gebissen

- Hans- Jürgen Tögel: Traumreise meines Lebens: Erinnerung­en. LangenMüll­er, 224 Seiten, 20 Euro

Herr Tögel, Sie sind vermutlich der erfolgreic­hste deutsche Fernsehreg­isseur – aber außerhalb der TV-Branche kennt Sie praktisch niemand. Wie kommt das? Hans-Jürgen Tögel: Das lässt sich ganz leicht erklären: Ich habe viele Jahre lang umgesetzt, was sich kreative Köpfe wie Helmut Ringelmann, der Produzent von Serien wie „Derrick“, „Der Alte“und „Siska“, oder Wolfgang Rademann, der Erfinder von „Schwarzwal­dklinik“und „Traumschif­f“, ausgedacht haben. Sie waren die Schöpfer, ich war der Réalisateu­r, wie die Franzosen sagen würden. Aber es hat mich nie gestört, im zweiten Glied zu stehen.

Sie haben fast ausschließ­lich fürs Fernsehen gearbeitet. Warum? Tögel: Ich wollte die Welt sehen und nicht bloß alle zwei Jahre einen Film machen, und das war in meiner Anfangszei­t als Regisseur nur beim Fernsehen möglich. Aber ich bereue das nicht. Wenn man die Zuschauerz­ahlen aller meiner Arbeiten addiert, ergibt das vier Milliarden Menschen, die meine Filme gesehen haben. Ich habe derart viel gedreht, dass es zeitweise sogar Gerüchte gab, der Name Tögel sei ein Pseudonym, hinter dem sich mehrere Regisseure verbergen.

Obwohl Sie früh wussten, dass Sie Regie führen wollen, haben Sie eine Schauspiel­schule besucht. Tögel: Ich wollte wissen, wie ich die beste Leistung aus den Darsteller­n heraushole­n kann. Viele Regisseure machen sich nicht die Mühe, sich in ihre Schauspiel­er hineinzuve­rsetzen. Einmal, beim Dreh einer erotischen Bettszene, genierten sich die beiden Hauptdarst­eller und baten mich, alle anderen Mitarbeite­r wegzuschic­ken. Aber das war ihnen noch nicht genug: Ich sollte mich ebenfalls ausziehen, was ich auch tat. Damit war das Eis gebrochen.

Es gab auch lebensgefä­hrliche Ereignisse in Ihrer Karriere. Tögel: Ja, das ist wahr. Unter anderem hatte ich bei den Dreharbeit­en zu einer „Schwarzwal­dklinik“-Folge eine schmerzhaf­te Begegnung mit einem Löwen, der mir ein Stück Fleisch aus der Wade gerissen hat, wobei ich gestehen muss, dass ich dabei vor lauter Adrenalin gar keine Schmerzen hatte. Kurz zuvor wäre ich beinahe von einer Boa constricto­r erwürgt worden. Ich wollte einer Schauspiel­erin vormachen, wie man mit der Schlange um den Hals tanzt, hatte aber nicht bedacht, dass es zu kalt für das Tier war, das sich dann sozusagen an mich gekuschelt hat. Ich hatte viel Glück in meinem Leben, meine Schutzenge­l waren schon in meiner Jugendzeit stark beschäftig­t.

Sind Dreharbeit­en heute im Vergleich zu damals eine Komfortzon­e? Tögel: Ja, das kann man so sagen. Es gibt spezielle Sicherheit­sbeauftrag­te, und sämtliche Stunts müssen bestimmte Bedingunge­n erfüllen. So etwas gab es früher alles nicht. Ich erinnere mich an ein Erlebnis in Kenia: Bei der Besichtigu­ng eines Drehorts sprang ich aus dem Auto, um die beste Kameraposi­tion auszusuche­n, als ganz in der Nähe ein Löwe brüllte. Unser Manager, der auch für unsere Sicherheit zuständig war, rief mich sofort zurück und legte das Gewehr an. Die Strecke zum Auto habe ich in rekordverd­ächtigem Tempo zurückgele­gt. Meine nächste Begegnung hatte ich nachts im Camp mit einem Nilpferd. Es öffnete sein riesiges Maul und gab mir auf diese Weise zu verstehen, dass ich mir einen anderen Weg suchen musste. Ab dem Moment hatte ich ständig eine bewaffnete Begleitper­son an meiner Seite.

Waren eifersücht­ige Ehefrauen der Stars auch eine Gefahr? Tögel: Nicht für mich zumindest, aber das ist zum Glück ebenso Vergangenh­eit wie die „Besetzungs­couch“. Mir ist es auch mal passiert, dass sich ein junges Ding vor meinen Augen entblätter­t hat. Ich habe das als sehr grotesk empfunden, aber gerade in den 60ern gab es viele attraktive Frauen, die auf diese Weise Karriere gemacht haben.

Sie berichten in Ihrem Buch auch von einem Hauptdarst­eller, der vor Beginn des Drehs am Set seine Schnapsfla­schen deponiert hat. Tögel: Das gab es erstaunlic­h oft. Ich habe Schauspiel­er erlebt, die sich re- gelrecht zugesoffen haben. Das kann sich heute niemand mehr leisten, weil man sofort regresspfl­ichtig gemacht und gefeuert wird. Außerdem spricht sich so etwas ganz schnell ’rum, dann bekommt man keine Rollenange­bote mehr.

Dann gehören auch Eskapaden wie die des „Derrick“-Darsteller­s Horst Tappert der Vergangenh­eit an? Tögel: „Derrick“war eine der erfolgreic­hsten deutschen Produktion­en überhaupt, die Serie ist in über hundert Länder verkauft worden, daher konnte Tappert sich Starallüre­n leisten und auf Kosten des Senders Maßanzüge aus London und handgefert­igte Schuhe aus Italien ordern.

In den 80ern haben Sie mit der „Schwarzwal­dklinik“regelmäßig bis zu 25 Millionen Zuschauer erreicht. Waren das die goldenen Jahre des öffentlich-rechtliche­n Fernsehens? Tögel: Ja, und das lag nicht nur an Männern wie Ringelmann und Rademann, sondern auch an den Sendern. Da saßen Menschen mit Visionen, die für ihre Projekte brannten. Viele Redakteure betrachten ihre Arbeit heute nur als Job, es mangelt ihnen an Sensibilit­ät. Im Grunde könnten sie auch in anderen Branchen Karriere machen. Wenn ich so etwas sehe, frage ich mich oft: Welchen Beruf schwänzt der eigentlich?

Was hat sich seit jener Zeit stärker verändert – die Filme oder die Zuschauer? Tögel: Die Zuschauer – und deshalb die Filme. Früher reichte es, wenn Maria Schell auf der Leinwand weinte, dann hat das ganze Kino mitgeheult. Heute haben gerade die jungen Leute eine ganz andere Emotionali­tät. Die erfolgreic­hsten Kinofilme sind Materialsc­hlachten aus Hollywood, die mehrere hundert Millionen Dollar gekostet haben und bis ins kleinste Detail ausgefeilt sind. Auch die Darstellun­g von Gewalt hat deutlich zugenommen. Heute ist eine Brutalität salonfähig, die früher gar nicht erlaubt gewesen wäre. Deshalb haben wir damals dafür gesorgt, dass sich die Gewalt in der Fantasie der Zuschauer abspielt, das war viel wirkungsvo­ller. Das Bedürfnis nach Spannung hat so stark zugenommen, dass der Krimi mittlerwei­le eine Art Lebenselix­ier für die Deutschen ist.

Interview: Tilmann P. Gangloff

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Fotos: Copyright Hans-Jürgen Tögel „Die größte Gefahr, die auf dem Traumschif­f droht, ist Übergewich­t“, schreibt Hans-Jürgen Tögel (rechts) in seinem Buch „Traumreise meines Lebens“, aus dem auch die Fotos auf dieser Seite stammen.
 ??  ?? Tögel auf dem Kamelhengs­t Abdullah. Der war im Film „Betzenreut­her Wildfieber“von 1977 zu sehen.
Tögel auf dem Kamelhengs­t Abdullah. Der war im Film „Betzenreut­her Wildfieber“von 1977 zu sehen.
 ??  ?? Die „Traumschif­f“-Crew während einer Drehpause: Tögel (Mitte) mit Sascha Hehn und Iris Berben 1986 in Mexiko.
Die „Traumschif­f“-Crew während einer Drehpause: Tögel (Mitte) mit Sascha Hehn und Iris Berben 1986 in Mexiko.
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Zirkuslöwe Ken ist los – und beißt Tögel 1985 bei den Dreharbeit­en zu einer Folge der „Schwarzwal­dklinik“ins Bein.

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