Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Roboter die Kühe melken

Eine wachsende Zahl von Bauern setzt auf Technik. Die Digitalisi­erung zieht in den Kuhstall ein. Aber lässt sich damit das Problem sinkender Erlöse aus dem Verkauf von Milch lösen?

-

München Kein krummer Rücken mehr, kein Aufstehen zu nachtschla­fender Zeit. Für viele Milchbauer­n bedeutet die Digitalisi­erung einen Gewinn an Lebensqual­ität. Denn computerge­steuerte Melkrobote­r erleichter­n die Arbeit ganz erheblich. Doch die vollautoma­tischen Helfer kosten viel Geld – und etliche Landwirte stehen vor der Wahl, ob sie sich die teure Investitio­n in einen digitalen Kuhstall überhaupt noch leisten können oder wollen.

Der Melkrobote­r ist ein Multitalen­t: Die Kühe gehen allein in den Melkstand – angelockt vom Kraftfutte­r, das der Roboter serviert. Der Roboterarm setzt das sensorgest­euerte Melkgeschi­rr automatisc­h an, er reinigt die Zitzen. Der Computer misst die Milchleist­ung der Kühe und stellt fest, wenn etwas nicht stimmt. Er merkt auch, wenn eine Kuh nicht zum Melken erscheint, und schickt eine Meldung zum Bauern. Wer den Roboter also hat, der hat in mehrfacher Hinsicht durchaus einen Vorteil. „Der Lebensrhyt­hmus wird nicht mehr von den Melkzeiten diktiert“, sagt Markus Peters vom Bayerische­n Bauernverb­and.

Er habe vor der Wahl gestanden, einen Roboter anzuschaff­en oder jemanden einzustell­en, sagt der Landwirt Hans Foldenauer aus dem Allgäu. Aber wegen der sehr niedrigen Arbeitslos­igkeit in der Region sei es schwer, Arbeitskrä­fte zu finden. „Ich habe mich für den Roboter entschiede­n“, berichtet der Sprecher des Bundesverb­ands deutscher Milchviehh­alter.

Doch die deutsche Milchwirts­chaft ist in einer existenzie­llen Krise. Die Erzeugerpr­eise sind in vielen Regionen Europas so tief gesunken, dass die Landwirte Verluste machen. Viele Milchbauer­n stellen sich die Frage, ob sie aufhören sollen. Anfang Mai gab es nach den Daten des Statistisc­hen Bundesamts noch 4,3 Millionen Milchkühe in Deutschlan­d – verteilt auf 71 302 Betriebe.

Ein Melkrobote­r kostet je nach Hersteller etwa 150000 Euro oder mehr. Doch damit ist es in vielen Fällen nicht getan: Bevor der Roboter installier­t werden kann, muss häufig der Stall um- oder sogar ganz neu gebaut werden. Das ist so teuer, dass sich die Investitio­n erst ab einer Zahl von etwa 50 bis 60 Kühen lohnt. Doch ein bayerische­r Milchbauer hält im Schnitt nur 40 Tiere, sagt Foldenauer. Hat ein Bauer 80 Kühe, muss er überlegen, auf über 100 aufzustock­en – damit sich zwei Melkrobote­r rechnen.

Das Dilemma trifft vor allem kleine Höfe im Süden und in der Mitte Deutschlan­ds, im Norden sind die Betriebe traditione­ll größer. Die meisten Milchbauer­n – derzeit noch fast 32 000 – gibt es in Bayern. Von der kurzfristi­gen Marktsitua­tion mache allerdings kein Milchbauer die Entscheidu­ng abhängig, betont Foldenauer. „Das sind langfristi­ge Entscheidu­ngen, das dauert oft ein bis zwei Jahre, bis die Finanzieru­ng steht und alle erforderli­chen Genehmigun­gen da sind.“

Und noch einen Aspekt gibt es, der die Sache komplizier­t macht: Will ein Bauer mehr Kühe halten, ist es mit der Vergrößeru­ng des Stalls allein nicht getan – er braucht insgesamt größere Flächen. Der Grund: Mehr Kühe produziere­n auch mehr Gülle. Die Bauern dürfen aber ihre Gülle nicht beliebig auf Felder und Weiden kippen, damit der Boden nicht mit einem Übermaß an Stickstoff belastet wird. Deshalb muss ein Landwirt in der Regel auch mehr Boden pachten oder kaufen, wenn er mehr Tiere halten will.

„Das führt zur extremen Knappheit der Flächen“, erklärt Ulli Leiner, Biobauer im Allgäu und Grünen-Landtagsab­geordneter. Ein Güllehande­l wie in Norddeutsc­hland und den Niederland­en hat sich im Süden noch nicht etabliert.

Bayerns Agrarminis­ter Helmut Brunner hält aber nichts von der in der Landwirtsc­haft verbreitet­en Devise „Wachsen oder Weichen“. Das sei ein „dümmlicher Satz“, sagt der CSU-Politiker. „Ich glaube nicht, dass die Digitalisi­erung den Strukturwa­ndel beschleuni­gt. In Mecklenbur­g-Vorpommern und in Niedersach­sen sind es derzeit eher die größeren Betriebe, die zusperren.“Auch der Bauernverb­and geht davon aus, dass gerade kleine Höfe von der Digitaltec­hnik profitiere­n, weil sie so effiziente­r arbeiten können. „Das könnte sogar eine Chance sein“, sagt Bauernverb­ands-Sprecher Peters.

Aber können sich alle Bauern diese Investitio­nen überhaupt leisten? Der Preisverfa­ll bei Milch, Getreide und Schweinefl­eisch hat nämlich wirtschaft­liche Auswirkung­en. So investiere­n die Bauern inzwischen spürbar weniger in neue Landtechni­k, wie der Agrarhande­lskonzern Baywa kürzlich berichtete. Und je länger die Milchkrise andauert, desto akuter wird für die Bauern die Frage, ob sie in Hightech auf ihrem Hof investiere­n oder aufhören.

Carsten Hoefer, dpa

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Kühe auf dem Weg zu einem Melkrobote­r.
Foto: Ralf Lienert Kühe auf dem Weg zu einem Melkrobote­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany