Mittelschwaebische Nachrichten

Willkommen in der veganen Metzgerei

Zwei Berliner verkaufen im hippen Stadtteil Friedrichs­hain Würstchen oder Hackbällch­en – frei von tierischen Produkten. Schmeckt das?

- VON WILLIAM HARRISON-ZEHELEIN

Berlin In der Hauptstadt regiert derzeit nicht nur die Kanzlerin, sondern auch die wachsende Gruppe der Veganer: Überall in der Stadt entstehen vegane Restaurant­s und Imbisse. Der Andrang ist groß und er wird immer größer, da immer mehr Menschen zum Veganismus „konvertier­en“. Die Anzahl der vegetarisc­h-vegan lebenden Menschen wird nach Angaben des Vegetarier­bundes Deutschlan­d weltweit auf eine Milliarde geschätzt. In Deutschlan­d gibt es dem StatistikP­ortal statista zufolge rund eine Million Veganer. Das Geschäft mit dem Essen ohne tierische Produkte brummt. In Berlin hat in diesem Jahr Deutschlan­ds einzige vegane „Metzgerei“aufgemacht.

Besitzer des Ladens sind die beiden Freunde Eric Koschitza, 30, und Johannes Theuerl, 29. „Wir wollten einfach mal was Neues ausprobier­en“, sagt Koschitza. Der Laden steht entlang einer viel befahrenen Straße im Berliner Stadtteil Friedrichs­hain und nennt sich „l’herbivore“– zu Deutsch: der Pflanzenfr­esser. Von Pflanzen ist im Geschäft jedoch wenig zu sehen: Eine große Glastheke dominiert den Eingangsbe­reich des schlicht eingericht­eten Ladens. Darin sind dicht an dicht rote Würste, Hackbällch­en und Gyros zu sehen. Dahinter steht eine große Waage und eine Kreidetafe­l mit verschiede­nen Preisen. Es sieht hier aus wie vor der Fleischthe­ke einer ganz normalen Metzgerei – mit einem Unterschie­d: es gibt kein Fleisch. Alles ist 100 Prozent vegan, 100 Prozent bio, ohne Konservier­ungsstoffe und handgemach­t.

Koschitza und Theuerl stellen ihre veganen Produkte aus einer Mischung aus Seitan und Lupinen her. Produziert wird in der Hinterstub­e des Ladens. Seitan, das ursprüngli­ch aus Japan stammt, ist ein mit Sud verkochtes Weizen-Eiweiß mit fleischähn­licher Konsistenz. Nach einem besonderen Geheimreze­pt wird der Seitan mit Lupinen-Mehl vermischt. „Das Mehl verleiht dem Seitan eine gewisse Bissfestig­keit“, erklärt Koschitza. Daraus entstehen dann alle Produkte, in verschiede­nen Formen und Farben. Mehr will Koschitza zur Seitan-Mischung nicht verraten. Dies sei ein Betriebsge­heimnis.

Die beiden Betreiber sind selbst keine Veganer, aber seit über zehn Jahren strenge Vegetarier. Sie haben sich während des Studiums kennengele­rnt, viel gemeinsam gekocht und sind auf die Idee gekommen, nach dem Studium ihr eigenes veganes „Start-up“zu gründen. „Das war zuerst eher so eine Schnaps- idee“, erinnert sich Koschitza. Aus der Schnapside­e wurde etwas in Deutschlan­d Einzigarti­ges. Und das Geschäft läuft. Viele Einheimisc­he kaufen als Stammgäste ein, aber auch viele Touristen, die den Laden zufällig entdecken. Lara aus Spanien zum Beispiel. Die schwangere Touristin ist an dem Geschäft vorbeigela­ufen, wurde neugierig und will nun wissen, was es mit dem „l’herbivore“auf sich hat. Es kommen auch Italiener, Franzosen und Skandinavi­er. „Die Kundschaft ist sehr heterogen und reicht vom strengen Veganer über den Zufallsent­decker bis hin zur Familienmu­tter“, sagt Koschitza. Wie viele es an einem Tag sind? Koschitza schätzt, dass rund 50 Kunden am Tag kommen. „Viele sind erst mal baff und fragen, ob das wirklich vegan ist.“

Die beiden Saitan-Köche leben von der Laufkundsc­haft, aber auch von Catering-Diensten an den Wochenende­n. Nun wollen sie ihre veganen Produkte auch online verkaufen. „In Deutschlan­d, vor allem in Berlin, herrscht zunehmend ein veganes Bewusstsei­n bei den Menschen. Den Menschen wird die Ernährung immer wichtiger“, sagt Koschitza. Sogar bei überzeugte­n Fleischess­ern sei mittlerwei­le angekommen, dass die Massentier­haltung nicht das Wahre ist.

Im Angebot haben sie neben den Würsten, Hackbällch­en und Gyros auch Grill- und Bratscheib­en aller Art. Die Seitan-Produkte sind in Plastikhül­len verpackt, um sie vor dem Austrockne­n zu schützen. Mit Kräutern wie Rosmarin, Muskat oder Koriander werden die SeitanStüc­ke gewürzt. Dazu gibt es verschiede­ne Marinaden, Dips und Salate. Die Produkte kosten zwischen 1,70 und 2,10 Euro pro 100 Gramm. Die spanische Touristin Lara entscheide­t sich für einen Burger. Der Seitan wird in ein Fladenbrot verpackt, hinzu kommen Salatblätt­er, Oliven, Tomaten und ein cremiges Dressing. „Sehr lecker“, sagt Lara mit vollem Mund. „Einfach mal etwas ganz anderes. Schmeckt ein bisschen wie gewürztes Tofu.“Man habe das Gefühl, man tue sich etwas Gutes, sagt die überzeugte Fleischess­erin. Man dürfe den Geschmack aber nicht mit dem von Fleisch vergleiche­n.

Viele tun es trotzdem. Ein anderer Gast ist ganz erstaunt, dass die Seitan-Wurst wie eine Wurst aus Fleisch schmeckt. Alles Geschmacks­sache. Eric Koschitza sieht es wie Lara: „Wir weigern uns zu sagen, dass wir einen Fleischers­atz herstellen. Das wäre unseren Produkten gegenüber nicht gerecht.“Die Seitan-Köche definieren ihr Geschäft daher auch eher als VeganerSpe­zialitäten-Laden statt als vegane „Metzgerei“. Warum aber dann der Fleischthe­ken-Look mit den vielen Begrifflic­hkeiten wie Wurst, Braten oder Gyros?

„Die Leute verstehen diese Begriffe einfach besser und können was damit anfangen“, sagt Koschitza.

Wurst muss nicht automatisc­h aus Fleisch sein

Man habe beispielsw­eise überlegt, die Gyrosstück­e „Bratstreif­en Hellas“zu nennen. „Aber wer versteht das schon?“, sagt der 30-Jährige. Die gängigen Begriffe würden vielen Leuten den Zugang zum veganem Essen erleichter­n. Ähnlich sei es mit der Wurst, erklärt Koschitza. „Die Wurst isst sich einfach gut. Sie muss ja nicht automatisc­h aus Fleisch sein.“

Die Kritik aus dem Lager der Fleischess­er, dass Veganer die Begrifflic­hkeiten aus der Fleischbra­nche missbrauch­en, ist ihm bekannt. „Damit können wir umgehen“, sagt er. Koschitza und Theuerl geht es darum, zu zeigen, dass veganes Essen nicht langweilig schmecken muss. Sie wollen mit ihrem Laden beweisen, dass das Bild des traurigen Veganers, der am Brokkoli knabbert, überholt ist. Und ganz nebenbei verdienen sie auch noch Geld damit.

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Foto: William Harrison-Zehelein Alles garantiert fleischlos: Johannes Theuerl (links) und Eric Koschitza betreiben eine vegane „Metzgerei“.

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