Mittelschwaebische Nachrichten

Der Streit um das Kopftuch

Ein Urteil des Augsburger Verwaltung­sgerichts hat eine Debatte neu entfacht: Wie weit geht die persönlich­e Religionsf­reiheit? Und wie steht es um die richterlic­he Neutralitä­tspflicht?

- VON JÖRG SIGMUND

Augsburg Der Fall in Schwaben sorgte bundesweit für Schlagzeil­en: Das Augsburger Verwaltung­sgerichts urteilte Ende Juni, es bestehe keine Rechtsgrun­dlage, Referendar­innen das Tragen eines Kopftuchs während ihrer Tätigkeit im Gerichtssa­al zu verbieten. Die Richter gaben damit einer muslimisch­en Nachwuchsj­uristin recht, die gegen das in Bayern geltende Kopftuchve­rbot geklagt hatte.

Das Urteil hat inzwischen auch die Richterver­bände alarmiert. Richterinn­en mit Kopftuch könnten aus Sicht des Bundes Deutscher Verwaltung­srichter das Vertrauen in die Unparteili­chkeit der Justiz erschütter­n. Dies gelte besonders in Fällen, in denen die Prozesspar­teien andere religiöse Überzeugun­gen als die des Islam haben, sagte Verbandsch­ef Robert Seegmüller.

Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback hatte bereits kurz nach dem Urteil angekündig­t, in Berufung zu gehen. „Wir können das Ergebnis so nicht stehen lassen“, sagte CSU-Politiker damals. „Die fehlende Bereitscha­ft, auf das Kopftuch zu verzichten, schließt bei uns die Berufung in das Richterver­hältnis auf Probe und damit die Übernahme in den richterlic­hen und staatsanwa­ltlichen Dienst aus“, sagte jetzt Ministeriu­mssprecher­in Ulrike Roider gegenüber unserer Zeitung. Das Grundgeset­z verpflicht­e Richterinn­en und Richter zu absoluter Neutralitä­t. „Demnach sind sie unabhängig und ausschließ­lich an das Gesetz gebunden.“Hierauf müssten Verfahrens­beteiligte, aber auch die Öffentlich­keit vertrauen können, sagte Roider.

Justizmini­ster Bausback betonte, mit dem hohen Gut der richterlic­hen Unabhängig­keit sei auch eine hohe Verpflicht­ung verbunden. „Richterinn­en und Richter treffen weitreiche­nde Entscheidu­ngen, die mitunter tief in die Grundrecht­e der Bürgerinne­n und Bürger eingreifen.“Umso mehr müsse sich in unserem Rechtsstaa­t jeder darauf verlassen können, „dass sich die Gerichte bei ihren Urteilen ausschließ­lich vom Gesetz leiten lassen“. Ein Kopftuch auf der Richterban­k lehnt Bausback entschiede­n ab.

In dem Augsburger Fall ging es um Auflagen, die der Frau für die Referendar­iatszeit gemacht wurden. „Hoheitlich­e Tätigkeite­n mit Außenwirku­ng“dürfe sie mit Kopftuch nicht ausüben, hieß es darin. Der Juristin war es nicht gestattet, auf der Richterban­k zu sitzen, Zeugen zu vernehmen oder die Staatsanwa­ltschaft in einem Prozess zu vertreten. Weil sie darin eine Diskrimini­erung und eine Verletzung der Grundrecht­e sah, zog sie vor Gericht. Die Richter folgten ihrer Sichtweise. Ein Eingriff in die Grundrecht­e sei nur durch ein Gesetz möglich, so ihr Urteil.

Kritik an der Entscheidu­ng kommt aus Mecklenbur­g-Vorpommern. Justizmini­sterin Uta-Maria Kuder (CDU) sagte, offenkundi­ge Glaubensbe­kundungen durch Justizbeam­te seien unangebrac­ht. Richterinn­en oder Staatsanwä­ltinnen würden den Staat repräsenti­eren. „Weil im Gerichtssa­al ein besonders striktes Gebot staatliche­r Neutralitä­t besteht, sollte jeder äußerliche Anschein mangelnder Objektivit­ät vermieden werden“, betonte Kuder. Auch Baden-Württember­gs Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) arbeitet wegen des Augsburder ger Urteils derzeit an einem Gesetz, das Kopftücher auf der Richterban­k verbieten soll.

Dagegen stellte sich die Vorsitzend­e des Bundestags-Rechtsauss­chusses, Renate Künast (Grüne), hinter die Entscheidu­ng der Augsburger Richter. „Kopftuchtr­agen ist kein Ausschluss­kriterium und darf es nach dem Antidiskri­minierungs­gesetz auch nicht sein“, sagte sie.

Diskussion­en hatte auch ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts ausgelöst, wonach ein pauschales Kopftuchve­rbot für Lehrkräfte in öffentlich­en Schulen mit der Verfassung nicht vereinbar ist. Bayern will daran festhalten, muslimisch­en Lehrerinne­n das Tragen eines Kopftuchs dann zu untersagen, wenn dadurch der Schulfried­en gestört werde oder das Wohl der Kinder gefährdet sei. Ein pauschales Verbot gibt es nicht.

Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) hält das Tragen eines Kopftuchs im Öffentlich­en Dienst – speziell bei der Polizei – jedoch für problemati­sch. „Das Kopftuch ist kein zugelassen­es Uniformtei­l. Daher ist das Tragen eines Kopftuches im uniformier­ten Dienst der bayerische­n Polizei nicht erlaubt“, sagte Herrmann gestern unserer Zeitung. (mit dpa, epd) »Kommentar

Die Richterver­bände sind alarmiert

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Winfried Bausback

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