Mittelschwaebische Nachrichten
„Welches Volk ist schon glücklich?“
Sung Hyung Cho aus Südkorea musste die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, um im diktatorischen Teil ihrer Heimat eine Dokumentation drehen zu dürfen. Ihr Film wirkt kritischer als sie selbst
Frau Cho, wie kamen Sie auf die Idee, über Nordkorea eine Filmdokumentation zu drehen? Cho: Ich wollte endlich mal nach Nordkorea reisen. Als Südkoreanerin durfte ich das bislang nicht. So habe ich meine südkoreanische Staatsbürgerschaft aufgegeben und die deutsche angenommen. Erst dann durfte ich einreisen. In Südkorea gilt es als Staatsverrat, wenn man nach Nordkorea geht. Deshalb war ich mit der deutschen Staatsbürgerschaft auch viel sicherer.
Was wollen Sie mit Ihrem Film „Meine Brüder und Schwestern im Norden“dem Publikum sagen? Cho: Dass wir unser negatives Bild von Nordkorea revidieren müssen. In der Schule ist mir in Südkorea beigebracht worden, dass die Nordkoreaner rote Gesichter und zwei Hörner auf dem Kopf haben. Sie werden als Unmenschen und Feinde dargestellt. Das ist aber nicht so. Der Film soll ein differenziertes Bild von Nordkorea vermitteln und zeigen, wie die Leute dort leben.
Und wie leben sie? Cho: Man muss das Land getrennt sehen: Es gibt das politische System und es gibt die Menschen. Vor den Menschen habe ich großen Respekt. Sie sind entgegen den Behauptungen wahnsinnig herzlich und legen viel mehr Wert auf Tradition als die Südkoreaner. Wie die Bauern auf dem Land ackern und für ihr kleines Glück kämpfen, ist bewundernswert. Auch die Frauen sind sehr stark. Ich habe dort gesehen, wie verkehrt unsere westliche Gesellschaft im Vergleich dazu ist: Man sieht dort keine Reklame und auch keinen Müll. Es mangelt den Leuten an vielem, aber sie leben sehr nachhaltig und ökologisch. Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden. Das politische System ist allgegenwärtig, die Porträts der großen Führer wie Kim Il Sung oder Kim Jong Il hängen an jeder Straßenecke und in jedem Wohnzimmer.
Die Politik Nordkoreas spielt im Film eine untergeordnete Rolle. Warum? Cho: Politische Themen haben wir im Film ausgeklammert. Das wollte die Regierung nicht. Der Film sollte nicht zu politisch sein. Man hätte die Gesprächspartner mit politischen Fragen in Verlegenheit oder gar Gefahr gebracht.
Wie lief die Produktion des Films ab? Gab es Schwierigkeiten? Cho: Eine der größten Probleme war, dass ich nicht wusste, wo genau der Film überhaupt gedreht werden soll, da ich vor der Reise ja noch keine Ahnung vom Land hatte. Ich habe der nordkoreanischen Regierung mitgeteilt, dass ich in der Hauptstadt Pjöngjang, auf dem Land und in einer Hafenstadt drehen will. Zudem gab ich an, dass ich mit Intellektuellen, Arbeitern und Bauern reden möchte. Die Regierung hat „Musterbeispiele“von Orten und Menschen ausgewählt und uns eine nordkoreanische Produktionsfirma zur Seite gestellt, die mein Team begleitet hat. Die Produktion des Films war durch diese Beeinflussung schon sehr eingeschränkt.
Hatten Sie den Eindruck, dass die Leute dort wirklich glücklich sind? Cho: Was ist denn das für eine Frage? Ein Volk kann man nicht pauschal beschreiben. Welches Volk ist schon glücklich? Die Deutschen sind es gewiss auch nicht immer. Auch die Nordkoreaner haben Tage, an denen sie glücklicher und manchmal auch weniger glücklich sind. Sie sind sehr kontrolliert und lernen von Kindesbeinen an, sich zu inszenieren.
Funktioniert denn das System dort? Cho: Das ist schwer zu sagen. Die Gesellschaft wird jedenfalls immer pragmatischer und fortschrittlicher. Die schweren Hungersnöte der 90er Jahre, als ungezählte Menschen verhungert sind, gehören der Vergangenheit an. Man findet in vielen Ecken der Gesellschaft marktwirtschaftliche Ansätze.
Glauben Sie nach dieser Reise an eine Wiedervereinigung Koreas? Cho: Ich hoffe es sehr. Schließlich sind wir uns sehr ähnlich und gehören eigentlich zusammen. Nordkorea wäre sogar bereit für eine Zusammenarbeit und einen wirtschaftlichen Austausch. Aber Südkorea hat wenig Interesse an einer Wiedervereinigung, da sie auch gesehen haben, was die deutsche Wiedervereinigung gekostet hat. Diese Denkweise ist sehr kurzsichtig.
Interview: W. Harrison-Zehelein