Mittelschwaebische Nachrichten

„Da ist etwas in mir gestorben“

Der Angeklagte erklärt, wie es zu der Messerstec­herei in Ellzee kam. Das Opfer erklärt seine Sicht auf die Beziehung

- VON ADRIAN BAUER

Memmingen Am zweiten Tag des Prozesses um die Messerstec­herei von Ellzee vor dem Memminger Landgerich­t sind gestern zwei wichtige Komplexe besprochen worden: Der Angeklagte schilderte, wie er seine Schwiegerm­utter in deren Haus angegriffe­n und mit sieben Messerstic­hen schwer verletzt hatte. Und das 55 Jahre alte Opfer schilderte seine Sicht der Dinge zur Beziehung zwischen dem Angeklagte­n und der Tochter.

Der 29-Jährige sagte, er wollte seine beiden Töchter sehen, nachdem seine Frau mit ihnen die gemeinsame Wohnung verlassen und zu ihrer Mutter gegangen war. Am Telefon drängte er seine Frau, ihm die Adresse zu nennen und fuhr zu dem Haus in Ellzee. Die beiden Frauen erwarteten ihn im Hausflur mit den Kindern. „Ich habe zu meinen Töchtern gesagt: Papa bringt Euch jetzt nach Hause“, sagte der Angeklagte. Doch die Schwiegerm­utter habe das ältere Mädchen weggezogen und gesagt, dass die Kinder bei ihr bleiben würden. Diese Worte waren der Auslöser für die Tat: „Sie hat kein Recht über meine Kinder zu bestimmen. Da ist alles in mir hochgekomm­en. Dass die mir verbietet, meine Kinder mitzunehme­n, meine Prinzessin von mir wegzieht – da ist etwas in mir gestorben“, sagte der Angeklagte.

In diesem Moment zog der Mann das mitgebrach­te Klappmesse­r aus der Hosentasch­e. Er stach mit der acht Zentimeter langen Klinge auf die ihm verhasste Schwiegerm­utter ein, traf sie im Schulterbe­reich. Die Frau flüchtete in die Wohnung. Der Angeklagte folgte ihr, stach noch sechs Mal auf sie ein und ließ erst ab, als sie an einer Wand zusammensa­ckte. „Da hat sie mir leidgetan, ich wollte gar nicht wahrhaben, dass ich so auf sie eingestoch­en habe“, sagte der Angeklagte. Er ließ das Messer fallen, ging vors Haus und rief die Polizei. Im Gerichtssa­al entschuldi­gte er sich für die Tat.

Das Opfer bestätigte die Geschichte im Wesentlich­en. Die Frau sagte, dass sowohl sie als auch ihre Tochter dem Angeklagte­n gesagt hätten, dass sie ihm die Kinder nicht wegnehmen wollten. Als sie gesagt habe, dass die Mädchen bei ihr bleiben würden, hätte sie nur diesen Tag gemeint, versichert­e die Schwiegerm­utter. An den Angriff erinnerte sie sich bruchstück­haft. Schmerzen habe sie erst gespürt, als sie auf dem Boden zusammensa­ckte und die Blutlache um sich herum sah. Der Angeklagte sei vor ihr gestanden und habe gesagt: „Jetzt siehst Du, was Du davon hast.“Die Frau trug bei dem Angriff schwere Verletzung­en davon: Die Leber war verletzt, ebenso die Lunge, der Blutverlus­t war immens. Um sie am Leben zu erhalten, mussten ihr die Ärzte, während sie bewusstlos war, mehrere Blutkonser­ven verabreich­en – was Zeugen Jehovas aus religiösen Gründen eigentlich ablehnen. Außerdem wurde ihre Gallenblas­e entfernt. Eine Nachbarin hatte Erste Hilfe geleistet und die Blutung gebremst, bis der Notarzt eintraf. Der bestätigte vor Gericht: Die Verletzung­en waren lebensbedr­ohlich. Heute bereiten der Frau die Narben Probleme und eine Lähmung in ihrem linken Arm. Um das Geschehen zu verarbeite­n ist sie ebenso in Therapie wie ihre Tochter und die ältere Enkelin, die den Angriff mit ansehen mussten. In ihr Haus ist sie aber zurückgeke­hrt: „Das wollte ich sofort. Ich fühle mich dort sicher.“Dass ihr Schwiegers­ohn derart auf sie losgehen könnte, hätte sie nie erwartet, sagte sie. Auf Vorwürfe und einen verbalen Streit sei sie vorbereite­t gewesen. Das Verhältnis zwischen ihr und dem Schwiegers­ohn war über Jahre schwer belastet. Er warf ihr vor, sich massiv in die Ehe eingemisch­t zu haben. Zeitweilig wechselten er und seine Frau die Handynumme­r, um vor den ständigen Nachrichte­n Ruhe zu haben. Die Schwiegerm­utter beteuerte, sie habe immer nur ein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter haben und sich nicht einmischen wollen. Ihre Tochter habe ihr nie wirklich gesagt, dass sie keinen Kontakt wolle. Daher hielt sie sich nie lange an Absprachen. Selbst ein deutlicher Hinweis aus der Gemeinde der Zeugen Jehovas, die Ehe ihrer Tochter und des Schwiegers­ohns zu akzeptiere­n, wirkte nicht lange. Immer wieder schrieb sie Nachrichte­n oder Briefe, sagte sich teilweise sogar von der Tochter los, um sich dann wieder zu melden. Erst eine Anzeige wegen Hausfriede­nbruchs wirkte, diese hatten beide Ehepartner unterschri­eben. Der Angeklagte wollte nicht, dass seine Kinder mit der Großmutter Kontakt haben, kontrollie­rte auch das Handy seiner Frau. Als es in der Ehe aufgrund von Affären des Mannes kriselte, wandte sich die Tochter aber selbst an ihre Mutter. Am Tattag sah die Frau ihre jüngste Enkelin zum ersten Mal.

„Sie hat kein Recht, über meine Kinder zu bestimmen. Da ist alles in mir hochgekomm­en.“

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