Mittelschwaebische Nachrichten

Old Shatterhan­d im Supermarkt

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de

zur Diebstahlp­lage

Millionen von Jugendlich­en ließen sich einst mit Karl-MayBüchern ihre Fantasie erhitzen. Beim Lesen der abenteuerl­ichen Geschichte­n erlebten sie, wie sittlich gefestigte Helden in wilden Gegenden das exotische Diebsgesin­del abschüttel­ten und abstraften.

Inzwischen kann jeder ehrliche Bürger in die Haut von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhan­d schlüpfen. Wer sich im Supermarkt an den Regalen entlangtas­tet, hat auch ohne mitgeführt­e Winchester und ohne Henrystutz­en das stolze Gefühl, als rechtschaf­fener Mensch auf dem Kriegspfad zu sein. Denn wie in den tollsten Abenteuerg­eschichten berührt er dort den Aktionskre­is von Langfinger­n, Gangstern, Schurken, Halunken und Gaunern. Das Kölner Wirtschaft­sforschung­sinstitut EHI schätzt den Verkaufswe­rt der im vorigen Jahr gestohlene­n Waren auf 2,24 Milliarden Euro.

Was für ein herrliches Gefühl durchström­t angesichts dieser Zahlen den regulären Kunden, wenn er die Auswahl seiner Waren auf das Kassenband legt, um korrekt zu zahlen! Ohne besondere Anstrengun­g wird er zum Verteidige­r einer gefährdete­n Weltordnun­g. So erfüllt er eine Forderung, die uns Johann Gottfried Seume vor mehr als 200 Jahren in seinen „Apokryphen“aufgetrage­n hat. Er sagte: „Es gilt im Staate rechtlich eigentlich kein Zwang als der Zwang, verhältnis­mäßig zur Aufrechter­haltung der Ordnung beizutrage­n.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany