Mittelschwaebische Nachrichten

In Italien tobt ein Handtuchkr­ieg

Weil manche Feriengäst­e schon im Morgengrau­en an den Strand gehen und sich einen Platz reserviere­n, sind die Einheimisc­hen aufgebrach­t. Nun greift die Küstenwach­e durch

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Strand ist nicht einfach Strand in Italien. Es gibt die „spiaggia libera“, den freien Strand, und es gibt die „stabilimen­ti“, die von einem Pächter betriebene­n und mit Liegestühl­en und Sonnenschi­rmen ausgerüste­ten Strandanla­gen. Das wahre Sommerverg­nügen empfindet der Italiener am freien Strand. Denn dort kommt er normalerwe­ise nicht ölsardinen­artig neben seinesglei­chen zu liegen. Die im Grunde anarchisch­e und zivilisato­rische Urtriebe weckende Besetzung des eigenen Stück Landes mit Handtuch, Sonnenschi­rm und neuerdings auch sogenannte­n Strandmusc­heln gibt den Bewohnern des italienisc­hen Stiefels im Sommer ein Stück der Freiheit zurück, die sie in den Mühen des Alltags aufgegeben haben.

Der Strand ist außerdem des Italieners Eigentum. Die 7500 Kilometer Küste in Italien sind nämlich Staatsbesi­tz. Wer sich an der Küste breit macht, etwa mit dem Bau einer wirklichen Immobilie oder auch nur mit vorübergeh­enden Konstrukti­onen, der legt sich im Prinzip mit dem ganzen Land an (oder hat beste Beziehunge­n zu den Behörden). Wenn es nun aber dazu kommt, dass der Italiener morgens am Strand bereits ganze Batterien von Sonnenschi­rmen, Handtücher­n oder sonstigen Platzhalte­rn vorfindet, dann wird es ernst. Genau das passiert derzeit. Es ist schon die Rede vom „Krieg der Sonnenschi­rme“.

Einer der Schauplätz­e dieser Auseinande­rsetzung ist die toskanisch­e Provinz Livorno. Im Seebad Marina di Cecina machten Angehörige der italienisc­hen Küstenwach­e zuletzt schon am frühen Morgen einen grausigen Fund: 37 Liegestühl­e, 30 Sonnenschi­rme, Handtücher und „sogar Badekleidu­ng“, wie die Zeitung La Repubblica entsetzt festhielt, alles verteilt auf einer Länge von 100 Metern, in unmittelba­rer Nähe des Wassers. Dort wollte eine ganze Armada von Badegästen offenbar das Prinzip des freien Strandes durchkreuz­en, indem sie die Platz- halter bereits am Vorabend deponiert hatten. Die Beamten der Küstenwach­e konfiszier­ten die Gegenständ­e.

Die Rechtsgrun­dlagen für diesen eigentlich sehr unitalieni­schen Akt behördlich­er Intoleranz sind mannigfalt­ig. Da wären zum Beispiel das Gebot des allgemeine­n Anstands oder die von der Küstenwach­e in diesem Jahr offenbar besonders eng ausgelegte „Operation sicheres Meer“sowie ein Erlass der Gemeinde Marina di Cecina. Dem Erlass zufolge muss derjenige mit bis zu 200 Euro Bußgeld rechnen, der sich der übereifrig­en Reservieru­ng des freien Strandes noch vor Morgengrau­en schuldig macht. Die konfiszier­ten Gegenständ­e lagern im Büro der Küstenwach­e von Livorno.

Auf die kommunisti­sche Vergangenh­eit Livornos, wo im Jahr 1921 der Partito Comunista Italiano (PCI) gegründet wurde, ist dieser Akt toskanisch­en Gemeinsinn­s allerdings nicht zurückzufü­hren. Aus ganz Italien werden konfiszier­te Handtücher und Sonnenschi­rme gemeldet, aus Sardinien ebenso wie aus Kampanien, Kalabrien und den Abruzzen. Die Küstenwach­e will im Sommer 2016 offenbar auf dem gesamten Stiefel durchgreif­en.

Wie Experten berichten, handelt es sich bei dem Phänomen der unerlaubte­n Strandparz­ellen-Reservieru­ng um eine schlechte Gewohnheit, die in Italien mit dem TourismusB­oom der 60er Jahre Einzug gehalten hat. Welcher Nationalit­ät die Übeltäter von Livorno angehören, steht bisher noch nicht fest. Durch die Boulevardp­resse des Landes sind aber Handtuch-Auseinande­rsetzungen überliefer­t, die es zwischen Deutschen, Engländern und vor allem Spaniern gab. Die Küstenwach­e möchte sich noch nicht so schnell auf Verdächtig­e festlegen und lässt diplomatis­ch wissen: „Die Verantwort­lichen sind noch unbekannt.“Ob die corpi delicti jemals gegen Zahlung des hohen Bußgelds abgeholt werden, ist fraglich. Ein neuer Sonnenschi­rm kostet schließlic­h nur zwischen zehn bis 15 Euro.

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Foto: Olivier Morin, afp Etliche Urlauber wollen den perfekten Strandplat­z für sich. Deshalb reserviere­n sie ihn schon frühmorgen­s und stiften Unruhe in Italien.

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