Mittelschwaebische Nachrichten
Abfuhr für Steinmeier
Im syrischen Aleppo ist die Lage katastrophal. Der deutsche Außenminister Steinmeier dringt in Russland auf eine lange Waffenruhe. Doch Moskau bleibt hart
Jekaterinburg Frank-Walter Steinmeier investiert viel in gute Beziehungen zu Russland. Warum sonst unterbricht der Außenminister seinen Alpenurlaub und fliegt für einen Tag 3400 Kilometer nach Jekaterinburg am Ural? Und das, um für russische Studenten in einem stickigen Hörsaal einen Sommerkurs zum Energiemanagement zu eröffnen. Denn das Gespräch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow ist erst später ins Programm gekommen – die weltpolitischen Krisen Ukraine und Syrien drängen.
„Jekaterinburg ist über die Jahre ein Dreh- und Angelpunkt für meinen persönlichen Blick auf Russland und auf die russisch-deutschen Beziehungen geworden“, erzählt der Minister den Studenten. Die sibirische Stadt liegt auf halber Strecke zwischen Lissabon und Wladiwostok, an der Grenze zwischen Europa und Asien. Während Westeuropa einen kalten, regnerischen Sommer erlebt, dauert in Jekaterinburg eine ungewöhnliche Hitzewelle von um die 30 Grad schon drei Wochen an.
An der Ural-Universität, die den Namen des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin trägt, war Steinmeier schon öfter. Hier ist er Ehrendoktor, hat 2008 und 2014 Grundsatzreden zu den bilateralen Beziehungen gehalten. Die regelmäßigen Besuche sind ihm wichtig. Das deutsch-russische Verhältnis ist derzeit schwierig, das weiß Steinmeier. „All das ist kein Grund, einander den Rücken zuzukehren“, sagt er aber zuversichtlich.
Doch wie heikel die Beziehungen sind, zeigt sich bei den politischen Gesprächen. Der als bärbeißig bekannte Lawrow lobt zwar seinen Freund Frank-Walter wegen dessen Bemühen um Freundschaft zu Russland, lässt ihn aber auch kräftig auflaufen. Dem deutschen Außenminister brennt wie der ganzen Bundesregierung die verzweifelte Lage in der syrischen Stadt Aleppo auf der Seele. Der Ostteil der Stadt wird von Gegnern des Präsidenten Baschar al-Assad gehalten. Bis zu 300000 Menschen sitzen dort fest, weil syrische Truppen mit russischer Hilfe einen fast vollständigen Belagerungsring gezogen haben.
Steinmeier erhielt gestern Schützenhilfe aus Berlin: Die Bundesregierung hat angesichts der dramatischen Lage Moskau aufgefordert, umgehend sichere Zugänge für Hilfslieferungen zu ermöglichen. „Aleppo braucht die ungehinderte Versorgung mit Nahrungsmitteln und mit medizinischem Bedarf“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Der syrische Präsident und sein Partner Russland dürfen sich diesen humanitären Mindestforderungen nicht verweigern.“ Russland sei aufgefordert, seinen großen Einfluss auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geltend zu machen. Gebraucht werde ein zumindest befristeter Waffenstillstand. Russland ist gemeinsam mit der syrischen Luftwaffe an Angriffen auf Aleppo beteiligt. Steinmeier weiß all das. Er spricht gegenüber Lawrow von einer katastrophalen Situation. Deshalb möchte er erreichen, dass die russischen Truppen ihre Angriffe lang genug einstellen, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Doch das militärische Kalkül geht für Russland vor.
Bei einem Selbstmordattentat auf einen Bus an der türkisch-syrischen Grenze wurden mindestens 32 syrische Rebellen getötet. Die Aufständischen seien am Sonntagabend aus der Türkei auf dem Weg nach Syrien gewesen, als beim Übergang Atmeh westlich von Aleppo eine Sprengladung in dem Fahrzeug explodierte, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Terrormiliz Islamischer Staat beanspruchte die Tat für sich. Die Rebellen waren auf dem Weg nach Syrien, um in dem Bürgerkriegsland Kämpfer an der Front zu ersetzen. Seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 beschuldigt die syrische Regierung die Türkei, die Verschiebung von Rebellenverbänden durch die Benutzung ihrer Grenzübergänge zu erleichtern.
Auch beim Streit zwischen dem Westen und Russland wegen der Ukraine hat Moskau vergangene Woche die Diskussion angeheizt. Im ostukrainischen Kohlerevier Donbass kämpfen ukrainische Regierungstruppen seit zwei Jahren gegen prorussische Separatisten. Kiew wirft Russland vor, die Aufständischen mit Soldaten und Waffen zu unterstützen, was Moskau dementiert. Russland behauptet nun, Anschläge ukrainischer Saboteure auf der annektierten Halbinsel Krim verhindert zu haben. Der russische Präsident Wladimir Putin hat der Ukraine deshalb Terrorismus vorgeworfen und mit Gegenmaßnahmen gedroht. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat sein Militär an der Grenze zur Krim und im Osten des Landes in Gefechtsbereitschaft versetzt.
Das zwingt Steinmeier in eine mittlere Position. „Es muss jetzt alles unterlassen werden, was zu einer Verschärfung beitragen könnte“– das sagt er beiden Seiten. Und er muss froh sein, wenn Moskau wie Kiew zusichern, dass sie an Minsk festhalten. Friedemann Kohler, dpa
Auch in der Ukraine droht eine neue Eskalation