Mittelschwaebische Nachrichten

Amazon will Rewe & Co. zusetzen

Der US-Riese testet in München, ob Verbrauche­r frische Lebensmitt­el geliefert bekommen wollen. Konkurrent­en sind alarmiert. Doch viele Deutsche wollen auf Läden nicht verzichten

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Man könnte sagen, Jeff Bezos ist sich treu geblieben. Jedes Jahr verschickt der Chef des Internet-Riesen Amazon einen Geschäftsb­ericht an seine Aktionäre. Und jedes Mal legt Bezos eine Kopie des Aktionärsb­riefs aus dem Jahr 1997 bei, dem Jahr also, in dem Amazon an die Börse gegangen ist. „Es ist immer noch Tag 1“, notiert er dazu. Amazon, will der KonzernChe­f damit sagen, ist noch lange nicht dort, wo Amazon hin will. Bücher, DVDs, Schuhe – all das ist erst der Anfang.

Es sind solche Sätze, die im deutschen Lebensmitt­elhandel seit einiger Zeit für Unruhe sorgen. Denn die Anzeichen verdichten sich, dass der Konzern mit seiner Sparte Fresh bald auch hierzuland­e groß in ein Geschäft einsteigen will, das bisher unter einigen einheimisc­hen Branchengr­ößen aufgeteilt ist: den Handel mit frischen Lebensmitt­eln. Die Auswirkung­en, glauben Experten, könnten enorm sein. Rewe-Chef Alain Caparros warnt, Amazon werde „wie ein Tornardo in die Branche einziehen und so manchen Händler in Schwierigk­eiten bringen“.

Wolfgang Adlwarth glaubt, dass die Sorgen der deutschen Lebensmitt­elhändler berechtigt sind. „Der Online-Handel mit Konsumgüte­rn ist einer der letzten großen Märkte, der noch zu verteilen ist“, sagt der Handelsexp­erte der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung, kurz GfK. Viele Online-Anbieter und auch große Supermarkt-Ketten setzen bereits auf Lieferdien­ste, allen voran Rewe. Bisher wird aber nur knapp ein Prozent des Lebensmitt­el-Umsatzes im Netz gemacht. Der Experte geht davon aus, dass Amazon Fresh „dem Markt einen Push verleihen könnte“. Denn anders als die meisten stationäre­n Händler habe Amazon gewachsene Lieferstru­kturen und jah- Erfahrung im Online-Handel. Im amerikanis­chen Seattle, der Heimatstad­t des Online-Giganten, liefern die grünen Transporte­r von Amazon Fresh schon seit neun Jahren Bananen, Mineralwas­ser oder frischen Fisch aus. Langsam, aber stetig hat der Konzern das Angebot auf immer mehr Städte ausgeweite­t. Zuletzt startete Amazon Fresh im Juni in London – es ist der erste Standort in Europa überhaupt.

In Berlin und seit kurzem auch in München probiert Amazon das Ganze im Kleinen aus: Kunden können dort Waren bestellen und innerhalb von einer oder zwei Stunden geliefert bekommen. In München holen Fahrradkur­iere und Fahrdienst­e die Waren in einem für die Express-Lieferung eingericht­eten Lager nahe des Bahnhofs ab und bringen sie zu den Kunden im Stadtgebie­t. „Am meisten geliefert werden Büroartike­l – und Lebensmit- tel“, sagt Sprecher Stephan Eichensehe­r. Oben auf der Rangliste stehen demnach Bananen, Gurken und Spezi. Nach Eichensehe­rs Worten bietet Amazon in München in etwa alle Waren, die auch ein City-Supermarkt vorrätig hat. Der große Familienei­nkauf lässt sich aber noch nicht per Mausklick abwickeln.

Warum nun halten sich die Deutschen beim Lebensmitt­elkauf im Netz bisher so zurück? Handelsexp­erte Adlwarth sieht gleich mehrere Gründe: Zum einen ist der Preisdruck im Handel sehr hoch. Für Online-Händler sei es deshalb schwierig, die ohnehin niedrigen Preise noch zu unterbiete­n. Zum anderen ist die Versorgung mit Artikeln des täglichen Bedarfs in Deutschlan­d sehr gut. Wie die GfK berechnet hat, erreicht jeder Deutsche innerhalb von fünf Fahrminute­n durchschni­ttlich 5,5 Lebensmitt­elhändler und Drogerien. Für Adlrelange warth ist diese Supermarkt-Dichte Ausdruck einer besonderen deutschen Einkaufsku­ltur. „Die Deutschen schauen gerne rum“, sagt er. Sie vergleiche­n Preise, besuchen häufig mehrere Geschäfte, um Sonderange­bote zu finden. Um die landesspez­ifischen Angewohnhe­iten aufzubrech­en, müsse ein OnlineHänd­ler viel Überzeugun­gsarbeit leisten. Und durch gute Qualität Vertrauen schaffen. Das ist gerade bei frischen Lebensmitt­eln noch immer nicht leicht. Gerade erst hat die Lebensmitt­elüberwach­ung in Baden-Württember­g gewarnt, dass online bestellte Lebensmitt­el oft nicht ausreichen­d gekühlt versandt werden. Die Wissenscha­ftler hatten sich Fisch zuschicken lassen und bei allen zehn Proben Mängel gefunden. Ihr Fazit: Zumindest bei frischem Fisch ist die Online-Bestellung immer noch „mit erhebliche­n Risiken verbunden“.

Rewe-Chef warnt vor einem Tornado

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Foto: dpa Schon bisher macht Amazon Supermarkt­ketten Konkurrenz. Jetzt versucht das US-Unternehme­n, auch online bestellte frische Lebensmitt­el an Kunden zu liefern – und das in einer oder zwei Stunden.

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