Mittelschwaebische Nachrichten
Es war einmal ein Skandal
Die Uraufführung endete 1972 im Tumult. Nun ist Thomas Bernhards Drama „Der Ignorant und der Wahnsinnige“zurück in Salzburg. Es wird doch nicht wieder…
Salzburg Große, krachende Bühnenskandale sind rar und der Theaterwelt daher naturgemäß kostbar, weshalb auch nach 44 Jahren jenes Festspieldonnerwetter von Salzburg noch immer nachhallt, das die Uraufführung von Thomas Bernhards Drama „Der Ignorant und der Wahnsinnige“1972 begleitete. Regisseur Claus Peymann, damals wild und 35, wünschte zum Ende des Stücks komplette, totale Finsternis im Landestheater – auch die Notbeleuchtung im Saal sollte gelöscht werden. Was bei der Generalprobe noch klappte, wurde zur Premiere entgegen der Absprachen aber überraschend verweigert – aus feuerpolizeilichen Gründen. Die Folge: Tumult. Größtmöglicher Skandal.
Es gab keine weiteren Aufführungen. Regisseur, Schauspieler und Autor verweigerten im Zorn. Aufruhr in Salzburg! Peymann beschimpfte die Festspielleitung als „verlogenes Pack“und „Schweinehunde“. Thomas Bernhard schrieb: „Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus.“
Und nun also ist das Stück zurückgekehrt nach Salzburg ins Landestheater. Eine Neuinszenierung, in der, schon damit Aussicht auf weiteren Skandal trübend, ausgerechnet der künstlerische Leiter der Festspiele, Sven-Eric Bechtolf, die Hauptrolle übernahm. Der Schauspieler und Festspielchef exponiert sich selbst in der Manege: Das ist immerhin mutig. Denn wie heißt es in Bernhards Drama: Das Theater ist voller Intriganten, das Theater ist die Hölle, die Kunst ist eine ungeheure Nervenanspannung … Geht es nach dem Jubel des Premierenpublikums am Sonntagabend, ist Bechtolf nicht nur ungerupft und skandalfrei aus der Geschichte herausgekommen, sondern er hat – unterstützt von Christian Grashof (Vater) und Annett Renneberg (Königin der Nacht) – triumphiert. Das Licht im Saal in der Schlussszene? Regisseur Gerd Heinz, ein Routinier von 75 Jahren, hat die Skandal-Sollbruchstelle ebenso geschickt wie erwartbar geheilt: Gleißendes, alles überstrahlendes Licht, das wattstarke Gegenteil von stockfinster.
Ähnlich versöhnlich, geschmeidig, tadellos und unterhaltsam war diese Neuinszenierung – eine anregende, muntere Salonkomödie mit nur wohldosierten Tauchgängen in die Kälte und Abgründe Bernhard’scher Finsternis. Das Drama kreist um eine kapriziöse Opernsängerin, die als „Königin der Nacht“in Mozarts „Zauberflöte“brilliert. Vor ihrem 222. Auftritt warten der Doktor und der trunksüchtige, blinde Vater der Koloratursängerin in deren vor Blumensträußen über- quellender Garderobe (Zeichen von Verehrung und Begräbnis zugleich) auf die Künstlerin, die wie immer in letzter Minute eintrifft. Im zweiten Akt sitzen die drei im Restaurant „Drei Husaren“beim Essen, wo sich die Opernsängerin schließlich entscheidet, ihre nächsten Auftritte abzusagen. Letzte Worte: „Erschöpfung, nichts als Erschöpfung.“
Das Stück ist vor allem ein typisch Bernhard’scher Monolog einer einzigen Figur: der des Doktors (Sven-Eric Bechtolf), der zweieinhalb Stunden über das Theater, die Kunst und die Künstlichkeit, das Leben und die Welt räsoniert, während er zugleich immer wieder höchst detailliert und überaus präzise das Sezieren einer Leiche beschreibt. Bernhard hat das herrlich diabolisch konstruiert: Wo die Sängerin sich zweifelnd absentiert, redet der Doktor davon, wie bei einer Leiche Mundhöhle und Gaumen aufgeschnitten und die Zunge herausgenommen wird, wo das Knorpelmesser anzusetzen ist… Alle Kunst und alle Kunstfertigkeit sind vergeblich: Der Tod steht am Ende, alles wird nichts. „Wenn wir etwas erreicht haben, und sei es das Höchste, sehen wir, dass es nichts ist“, lässt Bernhard seinen Doktor sagen. „Das Leben ist eine Tortur – wer das nicht begreift …“Jeder bleibt in diesem narzisstischen Spiel für sich (die Bühne ist verspiegelt) – in der Nussschale seiner eigenen Welt sitzend, die auf einem Meer von Sinnlosigkeit schaukelt. „Wer am Ziel ist, ist naturgemäß todunglücklich“, heißt es einmal.
Wie Bechtolf diesen dauerdozierenden Doktor gibt, ist einerseits bewundernswert und kunstfertig. Wie er die gewaltige Textmenge vollkommen fehlerfrei deklamiert und Silbe für Silbe genüsslich betont, als habe er Angst, auch nur eine Silbe zu verschlucken oder aus der teuren Thomas-Bernhard-Karaffe zu verschütten, wie er das Musikalische der Bernard’schen Suaden klanggenießerisch und für jeden Hörbuchmitschnitt tauglich zelebriert: das ist gekonnt. Einerseits. Andererseits aber wirkt Bechtolf wie ein überanstrengter Meisterschüler der Thomas-BernhardTheatergeschichte, der alles besonders gut und richtig machen will – und dabei etwas vergisst, was neben aller Sprachvirtuosität eben auch auf die Bühne gehört: Beseeltheit. Eine Figur, die lebt und die Abgründe durchlebt. Die diesen irren Parforceritt zwischen Komödie und Tragödie durchleidet und die Verzweiflung nicht nur vorspielt.
Guter Abend. Kein Skandal. Festspiel. Einerseits. Andererseits: Nummer sicher ohne Wagnis.
Wieder am 17., 18., 20., 22., 24., 26. und 27. August