Mittelschwaebische Nachrichten

Kein Grund zur Panik in Dresden

Wer ist eigentlich Pegida? Neue Attraktion­en, ein neues Kulturzent­rum und die Neustadt. Eine Stadt macht neugierig

- / Von Katrin Fischer

Wenn ein Riesenhams­ter auf einer Rakete auf die Erde zusteuert, während dieser Planet auch noch von fliegenden Hirschen bewacht wird – dann hat man irgendwie das Gefühl, da ist was merkwürdig. Was sich die Künstlerin bei dieser Installati­on gedacht hat, darüber können sich Besucher derzeit bei der Kunstausst­ellung Ostrale in Dresden den Kopf zerbrechen. Warum man allerdings in der ganzen Stadt das Gefühl hat, dass gerade etwas merkwürdig läuft – das erzählt eine andere Geschichte …

Sie beginnt an der Sehenswürd­igkeit, die viele Dresdner am meisten schätzen: an der Frauenkirc­he. Bewohner der Stadt erzählen davon, wie einige Mauerstein­e der zerbombten Ruine in die neue Fassade aufgenomme­n wurden – sie sind stolz. Aber dann spürt man ihn, den Hauch Unmut, der Dresden in diesen Tagen zu umgeben scheint.

Frank Walther – Dresdner, Dozent an der Kunsthochs­chule – sieht vom Fenster seiner Lithografi­eWerkstatt aus das Wahrzeiche­n seiner Stadt eher wehmütig an. „Kommen überhaupt noch Besucher?“, fragt er. Keiner der Touristen, die ihm zuhören, spricht den Begriff aus. Doch jeder weiß, warum er diese Frage stellt. Pegida. Oft genug beherrsche­n die Demonstran­ten das Bild von der Frauenkirc­he. Ob es nun 20000 (Januar 2015) oder wie zuletzt 2000 Demonstran­ten sind, spielt dabei keine Rolle. Es sind Momentaufn­ahmen, die vielen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Fotos von einer wütenden Meute, die fremdenfei­ndliche Parolen dort in die Höhe hält, wo Dresdens Wahrzeiche­n stehen. Die Tourismusb­ranche hat nach jahrelang steigenden Zahlen einen Dämpfer verpasst bekommen. 100 000 Übernachtu­ngen weniger soll es im vergangene­n Jahr gegeben haben.

Ein Wendepunkt für die 500 000-Einwohner-Stadt, die es 2013 noch auf Platz sieben der deutschen Tourismus-Rangliste geschafft hat. Das heißt aber nicht, dass es sich nicht auch zum Guten wenden kann. In Dresden tut sich Vieles, das vielleicht dafür spricht. Im – mancher würde sagen sowieso schon attraktive­n – Stadtkern zum Beispiel werden in alter Dresdner Manier zwei Häuser wieder aufgebaut, die im zweiten Weltkrieg von Bomben zerstört wurden. Das Dinglinger­haus steht schon wieder, ein barockes Schmuckstü­ck mit goldgelber prunkvoll gestaltete­r Fassade. Investor ist das Bauunterne­hmen Kimmerle (mit Hauptsitz in Dillingen). Dresden macht neu, hat man das Gefühl. Raus aus dem alten Kokon, der nur den Stadtkern umgibt und von Pegida-Demos in ein Image-Tief gezogen wurde.

Zehn Gehminuten von der Semperoper entfernt ist er, der neue hippe Bruder des Opernhause­s, das Kraftwerk Mitte. Keine Barockfass­aden oder Marmor-Säulen machen das Gelände aus – sondern brüchige Steinmauer­n und Fassaden aus Cortenstah­l – ein Material, das mit Absicht rostet und dem Ort diesen im Moment so beliebten industriel­len Flair verleiht. Bis 1994 wurde im Kraftwerk noch Braunkohle ver- heizt – jetzt soll es zu einem Treffpunkt für Kulturlieb­haber werden. Für 92 Millionen Euro werden Bühnen für die Staatsoper­ette und das Theater Junge Generation gebaut. Bisher sind die Veranstalt­ungen eines der größten Kinderthea­ters Deutschlan­ds auf Bühnen am Stadtrand, im Zoo und im Sonnenhäus­l verteilt. Wenn die Vorstellun­gen ab Dezember zentral und gut zu erreichen sind, sollten Familien über einen Besuch nachdenken. Mit 19 Schauspiel­ern und einem gut organisier­ten Puppenthea­ter ist das Kinderthea­ter profession­ell aufgestell­t.

Wer sich keine Aufführung ansehen will, kann auch einfach über den „Kraftwerk-Boulevard“schlendern und in dem urigen Café einkehren, das dort schon aufgemacht hat. Ein Häuschen, charmanter Landhausst­il mit viel Holz, vegane Gerichte – sehr hip eben. Während man dort sitzt und Bio-Rhabarbers­chorle trinkt, hat man das stolze Gefühl, auf einen Geheimtipp gestoßen zu sein. Dann unterbrich­t das Radio, das im Hintergrun­d läuft, die Sorglosigk­eit. Pegida. Da ist es wieder, das mulmige Gefühl.

Wer dem Merkwürdig­en wirklich entfliehen will, wer während seines Aufenthalt­s in Dresden nichts von rechten Demonstran­ten hören will – der muss in die Neustadt. Jenseits der Brühlschen Terrasse, am anderen Elbufer, da liegt er – der Stadtteil, der Dresden ein ganz anderes Gesicht gibt.

„Refugees Welcome“steht auf einer Fahne, die von einem gusseisern­en Balkongelä­nder hängt. Die Bewohner der Neustadt feiern, die Straßen sind geschmückt mit Bannern. Auf den Gehwegen stehen Couchen. Studenten haben sie von ihren Wohnungen nach draußen getragen, machen es sich dort gemütlich, kochen und laden die Besucher des Straßenfes­tes auf einen Teller Nudeln mit Tomatensoß­e ein. „Bunte Republik Neustadt“heißt dieses Fest. Es heißt so, weil Anfang der 90er in der Neustadt tatsächlic­h die BRN existierte, sogar mit eigener Währung, Geld mit MickyMaus-Köpfen drauf. Die provisoris­che linksorien­tierte Regierung gibt es inzwischen nicht mehr, das Fest ist geblieben. Die wenigsten wissen noch, warum sie ihr Bier einmal im Jahr zu Tausenden zusammen auf der Straße trinken.

Besucher hangeln sich von Stand zu Stand. Es gibt selbst gemachten Schmuck, echte Blüten in Baumharz gegossen zum Beispiel. Solche Besonderhe­iten hat die Neustadt nicht nur zu Zeiten des Straßenfes­tes zu bieten. Da gibt’s auch sonst veganes Essen, Selbstgema­chtes, jede Menge Kneipen, und mit Lack und Leder ausgestatt­ete Second-Hand-Shops. Viele Touristen hätten sich jedoch noch nicht hierher verirrt. Marketing-Experten überlegen, wie man auf das bunte Viertel jenseits der Augustusbr­ücke aufmerksam machen kann. „Mit einem Schild ist es nicht getan“, sagt Karla Kallauch von Dresden Marketing. NeustadtBe­wohnerin und Touristenf­ührerin Sylvia John sieht es ähnlich: „Der typische Dresden-Besucher hat eben gerne sein Disneyland rund um die Frauenkirc­he.“

Wenn da nicht auch Pegida Gefallen daran gefunden hätte... So ganz kommt man bei einem Dresdenbes­uch um den Begriff nicht herum, aber: „Pegida hat hier keine Chance“, betont Sylvia Johne. „Hier wohnen vor allem Studenten. Die haben zwar alle keine Pläne, aber viel Herz.“Herz, ein gutes Gefühl – das vermittelt der Stadtteil tatsächlic­h. Man ist willkommen, angekommen. Nach ein paar Stationen in Dresden scheint das merkwürdig­e Gefühl verflogen zu sein. Pegida wer? Nie gesehen.

Was die Stadt wirklich ausmacht, das steckt in den alten Steinen der Frauenkirc­henfassade, im neu-hippen Braunkohle­heizkraftw­erk und im veganen Döner der Bunten Republik Neustadt. Keine Panik also in Dresden, der Hamster auf der Rakete muss nicht zur Rettung herbeieile­n.

Pegida demonstrie­rt vor der Frauenkirc­he Vegan und selbst gemacht, das gibt’s in der Neustadt

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Fotos: Katrin Fischer Refugees Welcome – im links orientiert­en Stadtteil Neustadt gibt es einige Besonderhe­iten zu entdecken.
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Das Kraftwerk Mitte wird zu einem neuen Treffpunkt für Kulturlieb­haber. Die Gebäude sind im Industrie-Stil gehalten.

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