Mittelschwaebische Nachrichten
Kein Grund zur Panik in Dresden
Wer ist eigentlich Pegida? Neue Attraktionen, ein neues Kulturzentrum und die Neustadt. Eine Stadt macht neugierig
Wenn ein Riesenhamster auf einer Rakete auf die Erde zusteuert, während dieser Planet auch noch von fliegenden Hirschen bewacht wird – dann hat man irgendwie das Gefühl, da ist was merkwürdig. Was sich die Künstlerin bei dieser Installation gedacht hat, darüber können sich Besucher derzeit bei der Kunstausstellung Ostrale in Dresden den Kopf zerbrechen. Warum man allerdings in der ganzen Stadt das Gefühl hat, dass gerade etwas merkwürdig läuft – das erzählt eine andere Geschichte …
Sie beginnt an der Sehenswürdigkeit, die viele Dresdner am meisten schätzen: an der Frauenkirche. Bewohner der Stadt erzählen davon, wie einige Mauersteine der zerbombten Ruine in die neue Fassade aufgenommen wurden – sie sind stolz. Aber dann spürt man ihn, den Hauch Unmut, der Dresden in diesen Tagen zu umgeben scheint.
Frank Walther – Dresdner, Dozent an der Kunsthochschule – sieht vom Fenster seiner LithografieWerkstatt aus das Wahrzeichen seiner Stadt eher wehmütig an. „Kommen überhaupt noch Besucher?“, fragt er. Keiner der Touristen, die ihm zuhören, spricht den Begriff aus. Doch jeder weiß, warum er diese Frage stellt. Pegida. Oft genug beherrschen die Demonstranten das Bild von der Frauenkirche. Ob es nun 20000 (Januar 2015) oder wie zuletzt 2000 Demonstranten sind, spielt dabei keine Rolle. Es sind Momentaufnahmen, die vielen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Fotos von einer wütenden Meute, die fremdenfeindliche Parolen dort in die Höhe hält, wo Dresdens Wahrzeichen stehen. Die Tourismusbranche hat nach jahrelang steigenden Zahlen einen Dämpfer verpasst bekommen. 100 000 Übernachtungen weniger soll es im vergangenen Jahr gegeben haben.
Ein Wendepunkt für die 500 000-Einwohner-Stadt, die es 2013 noch auf Platz sieben der deutschen Tourismus-Rangliste geschafft hat. Das heißt aber nicht, dass es sich nicht auch zum Guten wenden kann. In Dresden tut sich Vieles, das vielleicht dafür spricht. Im – mancher würde sagen sowieso schon attraktiven – Stadtkern zum Beispiel werden in alter Dresdner Manier zwei Häuser wieder aufgebaut, die im zweiten Weltkrieg von Bomben zerstört wurden. Das Dinglingerhaus steht schon wieder, ein barockes Schmuckstück mit goldgelber prunkvoll gestalteter Fassade. Investor ist das Bauunternehmen Kimmerle (mit Hauptsitz in Dillingen). Dresden macht neu, hat man das Gefühl. Raus aus dem alten Kokon, der nur den Stadtkern umgibt und von Pegida-Demos in ein Image-Tief gezogen wurde.
Zehn Gehminuten von der Semperoper entfernt ist er, der neue hippe Bruder des Opernhauses, das Kraftwerk Mitte. Keine Barockfassaden oder Marmor-Säulen machen das Gelände aus – sondern brüchige Steinmauern und Fassaden aus Cortenstahl – ein Material, das mit Absicht rostet und dem Ort diesen im Moment so beliebten industriellen Flair verleiht. Bis 1994 wurde im Kraftwerk noch Braunkohle ver- heizt – jetzt soll es zu einem Treffpunkt für Kulturliebhaber werden. Für 92 Millionen Euro werden Bühnen für die Staatsoperette und das Theater Junge Generation gebaut. Bisher sind die Veranstaltungen eines der größten Kindertheaters Deutschlands auf Bühnen am Stadtrand, im Zoo und im Sonnenhäusl verteilt. Wenn die Vorstellungen ab Dezember zentral und gut zu erreichen sind, sollten Familien über einen Besuch nachdenken. Mit 19 Schauspielern und einem gut organisierten Puppentheater ist das Kindertheater professionell aufgestellt.
Wer sich keine Aufführung ansehen will, kann auch einfach über den „Kraftwerk-Boulevard“schlendern und in dem urigen Café einkehren, das dort schon aufgemacht hat. Ein Häuschen, charmanter Landhausstil mit viel Holz, vegane Gerichte – sehr hip eben. Während man dort sitzt und Bio-Rhabarberschorle trinkt, hat man das stolze Gefühl, auf einen Geheimtipp gestoßen zu sein. Dann unterbricht das Radio, das im Hintergrund läuft, die Sorglosigkeit. Pegida. Da ist es wieder, das mulmige Gefühl.
Wer dem Merkwürdigen wirklich entfliehen will, wer während seines Aufenthalts in Dresden nichts von rechten Demonstranten hören will – der muss in die Neustadt. Jenseits der Brühlschen Terrasse, am anderen Elbufer, da liegt er – der Stadtteil, der Dresden ein ganz anderes Gesicht gibt.
„Refugees Welcome“steht auf einer Fahne, die von einem gusseisernen Balkongeländer hängt. Die Bewohner der Neustadt feiern, die Straßen sind geschmückt mit Bannern. Auf den Gehwegen stehen Couchen. Studenten haben sie von ihren Wohnungen nach draußen getragen, machen es sich dort gemütlich, kochen und laden die Besucher des Straßenfestes auf einen Teller Nudeln mit Tomatensoße ein. „Bunte Republik Neustadt“heißt dieses Fest. Es heißt so, weil Anfang der 90er in der Neustadt tatsächlich die BRN existierte, sogar mit eigener Währung, Geld mit MickyMaus-Köpfen drauf. Die provisorische linksorientierte Regierung gibt es inzwischen nicht mehr, das Fest ist geblieben. Die wenigsten wissen noch, warum sie ihr Bier einmal im Jahr zu Tausenden zusammen auf der Straße trinken.
Besucher hangeln sich von Stand zu Stand. Es gibt selbst gemachten Schmuck, echte Blüten in Baumharz gegossen zum Beispiel. Solche Besonderheiten hat die Neustadt nicht nur zu Zeiten des Straßenfestes zu bieten. Da gibt’s auch sonst veganes Essen, Selbstgemachtes, jede Menge Kneipen, und mit Lack und Leder ausgestattete Second-Hand-Shops. Viele Touristen hätten sich jedoch noch nicht hierher verirrt. Marketing-Experten überlegen, wie man auf das bunte Viertel jenseits der Augustusbrücke aufmerksam machen kann. „Mit einem Schild ist es nicht getan“, sagt Karla Kallauch von Dresden Marketing. NeustadtBewohnerin und Touristenführerin Sylvia John sieht es ähnlich: „Der typische Dresden-Besucher hat eben gerne sein Disneyland rund um die Frauenkirche.“
Wenn da nicht auch Pegida Gefallen daran gefunden hätte... So ganz kommt man bei einem Dresdenbesuch um den Begriff nicht herum, aber: „Pegida hat hier keine Chance“, betont Sylvia Johne. „Hier wohnen vor allem Studenten. Die haben zwar alle keine Pläne, aber viel Herz.“Herz, ein gutes Gefühl – das vermittelt der Stadtteil tatsächlich. Man ist willkommen, angekommen. Nach ein paar Stationen in Dresden scheint das merkwürdige Gefühl verflogen zu sein. Pegida wer? Nie gesehen.
Was die Stadt wirklich ausmacht, das steckt in den alten Steinen der Frauenkirchenfassade, im neu-hippen Braunkohleheizkraftwerk und im veganen Döner der Bunten Republik Neustadt. Keine Panik also in Dresden, der Hamster auf der Rakete muss nicht zur Rettung herbeieilen.
Pegida demonstriert vor der Frauenkirche Vegan und selbst gemacht, das gibt’s in der Neustadt