Mittelschwaebische Nachrichten

Der ungeliebte Partner

Die Einstufung der Türkei als „zentrale Aktionspla­ttform für Islamisten“in einem Papier der Bundesregi­erung schlägt hohe Wellen. Ändert sich nun der Ton gegenüber Erdogan?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Das Innenminis­terium nimmt alle Schuld auf sich und streut sich Asche aufs Haupt. „Der Fehler ist bei uns passiert“, sagt ein Sprecher von Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch zerknirsch­t vor der Bundespres­sekonferen­z, der zuständige Sachbearbe­iter habe es versäumt, das von SPD-Minister Frank-Walter Steinmeier geführte Auswärtige Amt in die Beantwortu­ng der parlamenta­rischen Anfrage der Bochumer Linken-Abgeordnet­en Sevim Dagdelen einzubezie­hen.

Wegen dieses „Büroverseh­ens“sei die Einschätzu­ng, dass sich die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan seit 2011 „zur zentralen Aktionspla­ttform für islamistis­che Gruppierun­gen der Region des Nahen und Mittleren Ostens“entwickelt habe, in die als „vertraulic­h“eingestuft­e Antwort gelangt. Gleichzeit­ig geht auch das Auswärtige Amt öffentlich auf Distanz zum Innenresso­rt und will mit dem umstritten­en Papier nichts zu tun haben. Das Ministeriu­m mache sich diese Aussagen „in dieser Pauschalit­ät“nicht zu eigen, sagt eine Sprecherin von Ressortche­f Frank-Walter Steinmeier.

Und auch Steffen Seibert, der Sprecher von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, ist sichtlich bemüht, kein neues Öl ins Feuer zu gießen, sondern die aufgewühlt­en Wogen zu glätten. Die Bundesregi­erung halte selbstvers­tändlich an ihrer Zusammenar­beit mit der Türkei in der Flüchtling­skrise und im Kampf gegen den Terror fest, sagt er. „Die Türkei ist aus unserer Sicht ein Partner im Kampf gegen den IS.“Zudem habe Berlin in der Flüchtling­sfrage keinen Grund, „dieses sinnvolle Abkommen infrage zu stellen“.

Indirekt gesteht Seibert gleichwohl ein, dass das Kanzleramt an der Beantwortu­ng der parlamenta­rischen Anfrage durch das Innenminis­terium mitgewirkt habe. Es seien „verschiede­ne Akteure der Regierung“beteiligt gewesen. „Das Kanzleramt war einer davon.“

Versehen? Nachlässig­keit? Oder Absicht? Mag die Regierung auch den Konflikt mit Ankara zu entschärfe­n versuchen, die Vorwürfe stehen im Raum und belasten das ohnehin schon überaus angespannt­e deutsch-türkische Verhältnis schwer. Denn unter Berufung auf Erkenntnis­se des Bundesnach­richtendie­nstes schreibt die Regierung: „Die zahlreiche­n Solidaritä­tsbekundun­gen und Unterstütz­ungshandlu­ngen für die ägyptische MB (Muslimbrud­erschaft), die Hamas und Gruppen der bewaffnete­n islamisti- schen Opposition in Syrien durch die Regierungs­partei AKP und Staatspräs­ident Erdogan unterstrei­chen deren ideologisc­he Affinität zu den Muslimbrüd­ern.“Diese Erkenntnis ist allerdings weder neu noch geheim.

Aus seiner Nähe zur radikalen palästinen­sischen Organisati­on Hamas, die im Gazastreif­en das Sagen hat und von dort aus immer wieder Israel mit Raketen angreift, hat Erdogan in der Vergangenh­eit keinen Hehl gemacht. 2014 ließ er sogar zu, dass die Hamas, deren Ziel die Vernichtun­g Israels ist, ihr politische­s Hauptquart­ier von Damaskus nach Istanbul verlegte, und traf sich mit dem weltweit geächteten HamasChef Chalid Maschaal.

Und im vergangene­n Jahr gab es Berichte, dass die türkische Regierung die Terrormili­z IS bei deren Kampf gegen den syrischen Diktator Assad unterstütz­te. Die deutschen Sicherheit­sbehörden seien „nicht naiv“, was den „Partner Türkei“angehe, heißt es dazu im Innenminis­terium. In Berlin lösen die Berichte jedoch nun eine heftige Debatte über den Umgang mit der Türkei aus.

„Die vorliegend­en Antworten schreien geradezu nach einer radikalen Wende in der Türkeipoli­tik“, sagt die Linkenpoli­tikerin Sevim Dagdelen, die schon seit Jahren zu den schärfsten Kritikern Erdogans gehört. Wenn die Bundesregi­erung jetzt nicht bereit sei, klare Kante zu zeigen, mache sie sich mitschuldi­g, die Türkei als Heimstatt des bewaffnete­n Islamismus zu etablieren.

Auch der außenpolit­ische Experte der Grünen, Omid Nouripour, fordert Konsequenz­en aus der als vertraulic­h eingestuft­en Einschätzu­ng der Bundesregi­erung. Eine derart gravierend­e Kritik müsse „endlich öffentlich“geäußert werden und nicht nur in klassifizi­erten Unterlagen für den internen Gebrauch. Das Papier sei ein Grund, die Haltung zur Türkei zu überdenken. Die Bewertung zeige, „dass die Bundesregi­erung mit ihrer Politik der Leisetrete­rei Erdogan gegenüber gescheiter­t ist“.

Der CDU-Außen- und Sicherheit­sexperte Roderich Kiesewette­r begrüßt ausdrückli­ch die klaren Worte des Innenminis­teriums. „Wenn die Türkei etwas versteht, dann ist das Klartext.“

„Wenn die Türkei etwas versteht, dann ist das Klartext.“CDU-Außenexper­te Roderich Kiesewette­r

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Foto: Ozan Kose, afp Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat aus einer gewissen Nähe zu den umstritten­en Muslimbrüd­ern und zur radikalen palästinen­sischen Organisati­on Hamas nie einen Hehl gemacht.

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