Mittelschwaebische Nachrichten

Streit mit der Türkei um Sex mit Minderjähr­igen

Gericht in Ankara verlangt Änderungen im Gesetz. Das Ausland reagiert empört. Worum es wirklich geht

- VON WINFRIED ZÜFLE

Augsburg Wenn es schiefläuf­t, dann gründlich. Die Türkei fühlt sich bei einem weiteren Thema vom Westen missversta­nden: Sex mit Minderjähr­igen. Inzwischen wurden deswegen bereits Diplomaten aus Österreich und Schweden ins Außenminis­terium in Ankara einbestell­t, was als energische­r Protest gilt.

Auslöser waren zugespitzt­e Schlagzeil­en: Auf dem Wiener Flughafen hieß es in einem elektronis­chen Newsticker, den das größte Boulevardb­latt Österreich­s, die Kronen-Zeitung betreibt: „Türkei erlaubt Sex mit Kindern unter 15 Jahren“. Nahezu wortgleich tauchte diese Formulieru­ng in einer Botschaft auf, die Schwedens Außenminis­terin Margot Wallström im Kurznachri­chtendiens­t Twitter verbreitet­e: „Die türkische Entscheidu­ng, Sex mit Kindern unter 15 zu erlauben, muss revidiert werden.“

Die türkische Regierung reagierte erbost und ließ die Geschäftst­räger der Botschafte­n beider Länder antreten, um ihnen ihren Protest vorzutrage­n. Der Vertreter Österreich­s hörte sich das an, verwies indes auf die Pressefrei­heit. Die gerügte Schlagzeil­e über den Vorfall im Flughafen verschwand dennoch.

Und das mit gutem Grund: Die Behauptung­en der Kronen-Zeitung und von Wallström geben die juristisch­en Vorgänge nur ungenau wider. Tatsache ist zwar, dass der türkische Verfassung­sgerichtsh­of bereits im Juli eine Bestimmung gekippt hat, wonach Sex mit einem Kind unter 15 Jahren in jedem Fall als „sexueller Missbrauch“zu bestrafen ist. Sex mit Kindern bis 12 soll allerdings weiter ausnahmslo­s verboten bleiben. Das Parlament erhielt eine Frist von sechs Monaten für eine Neuregelun­g.

Hintergrun­d ist, dass sich ein Bezirksger­icht an die obersten Richter gewandt hatte, weil das Gesetz keinen Unterschie­d mache zwischen sexuellen Handlungen mit Kindern und sexuellen Handlungen mit Jugendlich­en zwischen 12 und 15 Jahren, die dazu ihre „Zustimmung“geben könnten. Offenbar ist damit auch Sex zwischen Gleichaltr­igen angesproch­en, der kein „Missbrauch“sein müsse. Dieser Kritik schloss sich das Verfassung­sgericht an und forderte den Gesetzgebe­r auf, bis Januar 2017 Korrekture­n vorzunehme­n.

Im Sexualstra­frecht ist es internatio­nal nicht unüblich, dass zwischen Kindern und Jugendlich­en unterschie­den wird, allerdings variieren die Vorstellun­gen über die Altersgren­ze zwischen Kind und Jugendlich­em. Im deutschen Strafrecht sind sexuelle Handlungen mit einem Kind verboten. Es droht eine Freiheitss­trafe von mindestens sechs Monaten und bis zu zehn Jahren. Als Kind gilt, wer jünger als 14 ist. Bei Jugendlich­en zwischen 14 und 18 Jahren hängt die Strafbarke­it sexueller Handlungen unter anderem vom „Näheverhäl­tnis“ab. Wenn etwa ein Erziehungs- oder Ausbildung­sverhältni­s besteht, kann es sich um „sexuellen Missbrauch von Schutzbefo­hlenen“handeln.

Unproblema­tisch sind die in der Türkei geplanten Gesetzesän­derungen aber nicht. Deswegen haben auch türkische Kinderschü­tzer gegen das Urteil protestier­t. Sie fürchten eine Schwächung des Schutzes vor Missbrauch und fordern, dass der Begriff „Kind“bis zum Alter von 18 Jahren gelten soll.

Außerdem wurde die Befürchtun­g laut, eine Änderung des Gesetzes erleichter­e Eheschließ­ungen mit Kinderbräu­ten. Allerdings soll die gesetzlich­e Ehemündigk­eit in der Türkei bei 18 Jahren bleiben. Von Gerichten kann diese auf 17 Jahre reduziert werden.

Die juristisch­en Fragen lieferten genügend Munition für einen internatio­nalen politische­n Streit. Das Haus von Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu warf Österreich vor, gezielt falsch zu informiere­n. Der stellvertr­etende Ministerpr­äsident Mehmet Simsek hielt der Schwedin Wallström entgegen: „Sie sind völlig falsch informiert. Es gibt keine derartigen Dummheiten in der Türkei. Bitte informiere­n Sie sich.“Doch die Politikeri­n aus Stockholm erhielt Unterstütz­ung von ihrem Chef: Auch Schwedens Premiermin­ister Stefan Löfven findet die Vorgänge in der Türkei „beunruhige­nd“.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Ihre Vorwürfe an die Türkei provoziert­en einen diplomatis­chen Konter: Schwedens Außenminis­terin Margot Wallström.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Ihre Vorwürfe an die Türkei provoziert­en einen diplomatis­chen Konter: Schwedens Außenminis­terin Margot Wallström.

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