Mittelschwaebische Nachrichten

Der letzte Hüter der D-Mark

Auch nach seiner Zeit als Bundesbank-Chef setzte sich Hans Tietmeyer für stabile Preise ein. Nun wird der „Greenspan Europas“85

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Frankfurt/Main Hans Tietmeyer hat die Staatsschu­ldenkrise im Euroraum kommen sehen. Jahre bevor hoch verschulde­te Staaten und klamme Banken die Einheitswä­hrung an den Rand des Scheiterns katapultie­rten, hatte der frühere Bundesbank-Präsident solide Staatsfina­nzen, grundlegen­de Reformen und eine engere politische Union angemahnt.

Der Diplom-Volkswirt mit preußische­r Disziplin war von 1993 bis 1999 der letzte Bundesbank-Chef mit der ganzen Machtfülle der D-Mark – und der erste, der im Rat der Europäisch­en Zentralban­k, kurz EZB, sein Gewicht für Deutschlan­d in die Waagschale warf. Am heutigen Donnerstag wird Tietmeyer 85 Jahre alt.

Er folgte auf Helmut Schlesinge­r an der Spitze der Bundesbank. Der Ökonom scheute keinen Konflikt mit der Regierung und kritisiert­e mehrfach wirtschaft­spolitisch­e Entscheidu­ngen. So bezeichnet­e der gebürtige Westfale die Währungsum­stellung in der DDR 1990 im Verhältnis 1:1 als großen Fehler.

Als CDU-Mitglied verfasste er 1982 für den damaligen FDP-Wirtschaft­sminister Otto Graf Lambsdorff das „Lambsdorff-Papier“, das den Bruch der soziallibe­ralen Regierung und den Sturz von Bundeskanz­ler Helmut Schmidt (SPD) einleitete. Auch nach seiner Zeit in Frankfurt ließ die Sorge um den Euro Tietmeyer nicht zur Ruhe kommen. Insider nannten ihn die „Ikone der Geldpoliti­k“oder, in Anlehnung an den Präsidente­n der US-Notenbank Alan Greenspan, den „Greenspan Europas“.

Sein Wort hatte Gewicht. Das nutzte der Marktliber­ale, um unermüdlic­h für eine politische Union Europas zu werben, die den Euro absichern sollte. Die hohen Defizite vieler Eurostaate­n und die Aufweichun­g des Euro-Stabilität­spaktes waren Tietmeyer ein Dorn im Auge. 2005 betonte er im ZDF, Europa habe in der Fiskaldisz­iplin große Probleme: „Das heißt, es geht darum, dass die Länder, die heute große Defizite und hohe Schuldenst­ände haben, nachhaltig­e Korrekture­n vornehmen, die das Defizit – vor allem von der Ausgabense­ite her – begrenzen.“Nur so könne Vertrauen bei den Menschen und den Investoren geschaffen werden.

Tietmeyer begann seine Karriere 1962 als Beamter im Bonner Wirtschaft­sministeri­um. Zwanzig Jahre später wechselte er als Staatssekr­etär ins Finanzmini­sterium. Als persönlich­er Beauftragt­er bereitete er für Bundeskanz­ler Helmut Kohl (CDU) die internatio­nalen Wirtschaft­sgipfel vor. Die terroristi­sche RAF scheiterte 1988 mit einem Anschlag auf ihn. Nach seiner Zeit in Frankfurt saß Tietmeyer in zahlreiche­n Gremien und Aufsichtsr­äten.

Als Vorsitzend­er des Kuratorium­s der Initiative Neue Soziale Marktwirts­chaft trieb der zweifache Vater zwölf Jahre lang die Erneuerung der Marktwirts­chaft voran. Sein Nachfolger Wolfgang Clement lobte ihn beim Amtsantrit­t: „Ich fühle mich geehrt und bin stolz, die Nachfolge von Prof. Dr. Tietmeyer antreten zu dürfen – eines Mannes, der sich große Verdienste um Deutschlan­d erworben hat.“

Jörn Bender, dpa

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Foto: Klaus Franke, dpa Die terroristi­sche RAF scheiterte 1988 mit einem Angriff auf Hans Tietmeyer. Eine Maschinenp­istole hatte sich verklemmt.

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