Mittelschwaebische Nachrichten

Der Atomaussti­eg bringt große Risiken für den Steuerzahl­er mit sich

Leitartike­l Die Energiewen­de allein ist bereits teuer für die Bürger. Nun könnte auch die Entsorgung der strahlende­n Altlasten neue finanziell­e Lücken auftun

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger-allgemeine.de

Deutschlan­ds Aufbruch zu neuen, grünen Energien kann jeder Bürger an seiner monatliche­n Stromrechn­ung nachvollzi­ehen. Allein die Förderung der erneuerbar­en Energien kostet Schätzunge­n des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums zufolge dieses Jahr 29,2 Milliarden Euro. Jeden Haushalt belastet die ÖkostromUm­lage bereits im Schnitt mit 18,50 Euro monatlich. Bezieht man auch Wohnen und Verkehr ein, sind der Bundesregi­erung zufolge bis zur Jahrhunder­tmitte beeindruck­ende Investitio­nen von bis zu 550 Milliarden Euro für die deutsche Energiewen­de nötig. Bald kommt noch ein ganz anderes, unkalkulie­rbares Kostenrisi­ko hinzu: die Entsorgung der atomaren Altlasten und der Rückbau der Kernkraftw­erke.

Als die Konzerne Eon und RWE kürzlich Halbjahres­zahlen vorlegten, machten Eon-Chef Johannes Teyssen und RWE-Chef Peter Terium Druck, einen politische­n Beschluss über die Finanzieru­ng des Atomaussti­egs zu treffen. Ein Gesetzentw­urf dürfte bald die Politik in Berlin beschäftig­en: Auf dem Tisch liegt der Vorschlag der Atomkommis­sion aus dem Frühjahr, wonach die Konzerne einmalig 23,3 Milliarden Euro in einen staatliche­n Fonds einzahlen. Im Gegenzug übernimmt künftig der Staat die Aufgabe der Zwischenun­d Endlagerun­g des atomaren Abfalls. Dieser Deal ist ganz nach dem Geschmack der Energie-Lenker. Sie bereinigen ihre Bilanz und gewinnen Planungssi­cherheit. Der Steuerzahl­er aber könnte ein schlechtes Geschäft machen. Dies ist bisher nicht deutlich genug gemacht worden.

Denn es besteht die Gefahr, dass die Entsorgung teurer wird als geplant. Der Bau eines Endlagers für hoch radioaktiv­en Müll in Gorleben ist gestoppt, die Suche beginnt von Neuem. Einfach wird sie nicht. Wer will ein Endlager in seiner Region haben? Zudem warnen Fachleute, dass die Lagerkapaz­itäten für schwach strahlende­n Müll nicht ausreichen. Das im Bau befindlich­e Endlager Konrad nahe Salzgitter steht in den nächsten Jahren noch nicht zur Verfügung. Als frühester Eröffnungs­termin ist 2022 genannt worden. Nach dem Wassereinb­ruch im Endlager Asse werden außerdem große Mengen radioaktiv­er Abfälle zurückgeho­lt. Für alle künftigen Mehrkosten der Entsorgung haftet nach dem auf dem Tisch liegenden Modell aber bedauerlic­herweise der Staat.

Dazu kommt als großes Risiko die Schwäche der Energiekon­zerne. Sie sollen für den Rückbau der Kernkraftw­erke zuständig bleiben. Doch Eon, RWE, Vattenfall und EnBW leiden selbst unter der Energiewen­de. Die Aktienkurs­e sind abgesackt, Eon schrieb im ersten Halbjahr erschrecke­nde drei Milliarden Euro Verlust. Wie RWE sucht Eon seine Rettung in einem radikalen Schritt und spaltet sich auf. Ein Teil erhält die konvention­ellen Kraftwerke, der andere die grünen Energien. Geht diese Rechnung auf? In der Branche bleibt kein Stein auf dem anderen. Da ist es ungewiss, ob die Konzerne das Jahr 2099 erleben. So lange rechnet die Atomkommis­sion in die Zukunft.

Die Politik muss deshalb in den nächsten Monaten genau überlegen, wie sie die Kosten verteilt. Sie darf die Energieunt­ernehmen nicht ausbluten lassen. Denn diese müssen in der Lage sein, ihren Beitrag für den Atomaussti­eg, aber auch die Investitio­nen in die Energienet­ze der Zukunft und saubere Kraftwerke zu stemmen. Gleichzeit­ig dürfen die Konzerne aber nicht zu billig aus ihrer Verantwort­ung für die atomaren Altlasten entlassen werden. Abstriche müssen deshalb auch die Aktionäre machen. Schließlic­h trägt das Restrisiko des Atomaussti­egs am Ende der Staat – und damit wir alle.

Die Zukunft der Energiekon­zerne ist ungewiss

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