Mittelschwaebische Nachrichten

Das traurige Gesicht des Krieges

Ein von den Rebellen publiziert­es Bild zeigt das ganze Elend der Belagerung Aleppos. Die Menschen im Ostteil hoffen, dass der Nachschubw­eg offen bleibt. Aufgeben wollen sie nicht

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Aleppo/Istanbul Wie ein Tag für den jungen Syrer Aref aussieht, entscheide­n die Kampfjets. Erscheinen sie einmal nicht über dem Himmel der nordsyrisc­hen Stadt Aleppo, geht er in den Sportklub, um Gewichte zu stemmen. Fast täglich aber ist das Dröhnen der Maschinen über der Stadt zu hören, dann dauert es nicht mehr lange, bis Bomben fallen. Der Krankenpfl­eger und seine Kollegen in einer Klinik im Osten Aleppos müssen darauf vorbereite­t sein. Dann geht es darum, Leben zu retten. Mit dem wenigen Material, das sie haben.

Aleppo im Sommer 2016: Keine andere Stadt in dem Bürgerkrie­gsland hat seit Ausbruch des Konflikts vor rund fünf Jahren so sehr gelitten wie die einstige Handelsmet­ropole, die bekannt war für ihre schöne Zitadelle und ihr ausgezeich­netes Essen. Heute steht Aleppo als Synonym für das Töten, das kein Ende nehmen will. Ganze Stadtteile liegen in Trümmern, vor allem im Osten, der von Rebellen kontrollie­rt wird.

Täglich kommen Aufnahmen aus Aleppo, die das Ausmaß der Zerstörung zumindest erahnen lassen. Bilder wie das eines kleinen Jungen, der nach Angaben von Aktivisten Omran heißt und vier oder fünf Jahre alt ist. Helfer bargen ihn am Mittwoch nach einem Luftangrif­f aus den Trümmern. Das Video des opposition­ellen Aleppo Media Centers (AMC) zeigt, wie der Junge dort sitzt, völlig in Staub eingehüllt, die Füße nackt. Er schreit nicht, er weint nicht, doch der Schock ist in seinem Gesicht abzulesen – ein Kind, das der Gewalt hilflos ausgesetzt ist.

Der 21 Jahre alte Krankenpfl­eger Aref erlebt solche Szenen regelmäßig, wenn nach Luftangrif­fen Opfer eingeliefe­rt werden. Er hat schon die schlimmste­n Verletzung­en gesehen, am Kopf, am Rücken, am Bauch, abgerissen­e Gliedmaßen. 14 Ärzte seien nur noch vor Ort, um die Patienten zu versorgen. Immer- hin, seitdem Regimegegn­er eine Nachschubr­oute in Aleppos zuvor blockierte­n Rebellenge­bieten freigekämp­ft haben, ist die Versorgung­slage etwas besser. Auch medizinisc­hes Material gebe es wieder, berichtet Aref.

Der junge Mann träumte früher davon, Apotheker zu werden. Heute hat er sich ganz seiner Arbeit als Pfleger verschrieb­en. Seit vier Jahren lebt er in der Klink. Aref hat darüber nachgedach­t, die Stadt zu verlassen – aber das kommt für ihn trotz oder gerade wegen der Gewalt nicht infrage: „Wie soll ich leben, wenn ich ein Kind zurücklass­e, das stirbt, weil ich Aleppo verlassen habe“, schreibt Aref über WhatsApp. „Die Stadt ist meine Erde, meine Würde und meine Ehre.“

Wie er leben nach Schätzunge­n noch bis zu 300000 Menschen im Ostteil Aleppos, der jederzeit wieder von der Außenwelt abgeschnit­ten werden kann. Seit Tagen toben im Süden der Stadt heftige Kämpfe um die Nachschubr­oute der Rebellen. Schon jetzt herrscht akuter Mangel an Lebensmitt­eln, auch wenn zuletzt einige Lieferunge­n ankamen. Äußerst knapp sind auch sauberes Trinkwasse­r und Strom, der fast nur noch über Generatore­n erzeugt wird – wenn es Treibstoff gibt. „Im Ostteil Aleppos ist Elektrizit­ät ein Luxus“, sagt ein Einwohner, der sich Jichja al-Halabi nennt. Auch im von regimetreu­en Kräften kontrollie­rten Westteil der Stadt, wo etwa 1,2 Millionen Menschen leben, mangelt es akut an Trinkwasse­r und Strom.

Das Schlimmste jedoch, sagt Jichja al-Halabi, seien nicht die Entbehrung­en. „Größere Angst haben wir davor, bei Bombardier­ungen verletzt zu werden. Weil es zu wenig Ärzte gibt.“Jede schwere Verletzung kann den Tod bedeuten. Krankenpfl­eger Aref aber hat noch immer Hoffnung. Jeden Morgen betet er: „Mit Gottes Hilfe werden wir siegen.“Jan Kuhlmann, dpa

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Foto: AMC, HO, afp Dieses Bild aus Aleppo zeigt nach Angaben der Fotografen, die der Opposition nahestehen, den kleinen Omran, den Helfer aus den Trümmern eines bombardier­ten Hauses bargen und der nun, blutend und verschmutz­t, in einer Klinik sitzt. Der Blick des Kindes...

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