Mittelschwaebische Nachrichten

Wer macht denn nun die Außenpolit­ik?

Analyse Nicht nur im Umgang mit der Türkei wird offensicht­lich, wie unterschie­dlich Union und SPD ticken

- VON MARTIN FERBER

Berlin Für Thomas de Maizière wäre es ein Leichtes, sich wegzuducke­n und hinter der am Vortag von Regierungs­sprecher Steffen Seibert ausgegeben­en offizielle­n Sprachrege­lung der Bundesregi­erung zu verstecken. Auch er könnte von einem „Büroverseh­en“sprechen und einem untergeord­neten Sacharbeit­er die Schuld dafür geben, dass sein Haus in einer Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage der Linksfrakt­ion zu der Einschätzu­ng kam, dass sich die Türkei seit 2011 zur „zentralen Plattform für islamistis­che Gruppierun­gen in der Region“entwickelt habe.

Doch Thomas de Maizière verteidigt ausdrückli­ch die Darstellun­g seines Hauses – und gibt damit den Spekulatio­nen, dass es sich bei dieser umstritten­en Beurteilun­g nicht um ein Versehen, sondern um eine gezielte Aktion handle, neue Nahrung. „Das, was dort vertraulic­h dargestell­t wurde, ist eine pointierte Darstellun­g eines Teilaspekt­s türkischer Wirklichke­it“, sagt er in einem Interview mit dem RBB. Zuvor schon hatte sein Staatssekr­etär Ole Schröder, der auch die Antwort der Bundesregi­erung unterschri­eben hatte, den Vorgang verteidigt: „Wenn es Informatio­nen einer nachgeordn­eten Behörde im Zuständigk­eitsbereic­h der Bundesregi­erung gibt, dann ist das Parlament darüber zu informiere­n, wenn das Parlament danach fragt.“Solche Informatio­nen dürften „nicht einfach unterdrück­t werden“.

Damit ist der Konflikt zwischen dem CDU-Innenresso­rt und dem SPD-Außenminis­terium, der gleichzeit­ig auch ein Konflikt zwischen dem Bundesnach­richtendie­nst und dem diplomatis­chen Dienst ist, in der Welt. Und damit wird auch ein grundsätzl­icher Dissens zwischen Union und SPD in Grundfrage­n der Außenpolit­ik deutlich. Die Koalitionä­re tun sich immer schwerer, eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Linie zu finden, wenn es um die Haltung Deutschlan­ds auf der internatio­nalen Bühne geht.

Das hat auch mit der Person von Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier zu tun. Für viele Christdemo­kraten spricht er zu wenig Klartext und nimmt zu viel Rücksicht. Schon seit längerem sind Stimmen aus der Union zu hören, die dem deutschen Chefdiplom­aten vorwerfen, vor allem gegenüber dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin und dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zu zurückhalt­end aufzutrete­n.

Besonders deutlich werden die Differenze­n im Umgang mit dem Kremlchef. Während Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) einen strikten Abgrenzung­skurs fährt, an den westlichen Sanktionen festhält, die Nato-Präsenz an der Ostgrenze des Bündnisgeb­iets ausbaut und das Verhalten Russlands in Syrien zynisch nennt, sucht Steinmeier demonstrat­iv den Dialog mit Moskau, fordert eine Lockerung der Sanktionen, wirft der Nato schon einmal „Säbelrasse­ln“vor und träumt von einem Wiederaufb­au Syriens, bei dem Russland und Deutschlan­d „Hand in Hand“arbeiten.

Auch in der Türkei-Politik werden die Rufe aus der Union lauter, die Zusammenar­beit mit Ankara auf den Prüfstand zu stellen und Konsequenz­en aus dem zunehmend autoritäre­n Verhalten Erdogans zu ziehen. Das Dilemma ist dabei allerdings, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel selber den Deal mit der Türkei ausgehande­lt hat und sich ein zu forsches Auftreten nicht leisten kann. Am Donnerstag verteidigt sie in einem von der CDU verbreitet­en Video-Interview die Zusammenar­beit mit der Türkei. Das EUFlüchtli­ngsabkomme­n spiele eine „große Rolle“im Kampf gegen die Fluchtursa­chen, den Menschensc­hmuggel und das Schleppert­um. Da argumentie­rt Merkel genauso pragmatisc­h und realpoliti­sch wie ihr Außenminis­ter. Auch wenn sie nun weiß, wie ihr eigener Geheimdien­st die Türkei einschätzt.

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Foto: Sören Stache, dpa Die Minister Thomas de Maizière und Frank-Walter Steinmeier mit der Kanzlerin. Wer steht wofür in der Außenpolit­ik?

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