Mittelschwaebische Nachrichten

Wird der Atomaussti­eg teurer als geplant?

Hintergrun­d Fachleute warnen davor, dass das bisher eingeplant­e Geld nicht ausreichen könnte. Denn der Rückbau der Kraftwerke verschling­t Unsummen, die Entsorgung der strahlende­n Altlasten dauert Jahrzehnte

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg In Gundremmin­gen und an anderen Standorten von Atomkraftw­erken in Deutschlan­d läuft die Zeit ab. Schrittwei­se sollen die Reaktoren in den nächsten Jahren vom Netz gehen. So sieht es der Fahrplan des Atomaussti­egs vor. In Gundremmin­gen soll Reaktor B 2017 abgeschalt­et werden, Reaktor C dann 2021. Doch die deutsche Geschichte der Atomenergi­e ist damit nicht zu Ende. Der Rückbau der Meiler und die Entsorgung der strahlende­n Altlasten wird das Land über Jahrzehnte beschäftig­en. Darin sind sich Experten einig. Mehr Streit gibt es um die Frage, wer dies am Ende bezahlt – und ob das Geld ausreicht. Fachleute befürchten, dass die Atomkraft am Ende für den Steuerzahl­er noch teuer werden könnte, wie kürzlich auch die ARDDoku „Der große Atom-Deal“nahelegte.

Der Rückbau eines Kraftwerks zieht sich über Jahrzehnte hin. Erst müssen die hoch radioaktiv­en Brennstäbe entfernt werden, stark strahlende Teile wie der Reaktordru­ckbehälter werden dann mit Robotern zerlegt. Zu hoch wäre die Strahlung für Menschen. Ein Endlager für den hoch radioaktiv­en Müll gibt es in Deutschlan­d bisher aber nicht. Andere Teile sind nicht belastet und können wie Bauschutt entsorgt werden. Bis aber eine grüne Wiese bleibt, geht nicht nur viel Zeit ins Land, der Rückbau kostet auch viel Geld.

Mit den Kosten für den Atomaussti­eg hat sich eine Kommission unter dem Vorsitz von Ex-Umweltmini­ster Jürgen Trittin, Ex-SPD-Ministerpr­äsident Matthias Platzeck und dem früheren Hamburger Bürgermeis­ter Ole von Beust beschäftig­t. Im Frühjahr legte die Atomkommis­sion ihren Abschlussb­ericht vor. Demzufolge liegen die Gesamtkost­en der Entsorgung für die deutschen Atomkraftw­erke bei rund 48,8 Milliarden Euro. Dabei wurden die Preise aus dem Jahr 2014 zugrundege­legt. Berücksich­tigt man aber Kostenstei­gerungen und die Inflation in den kommenden Jahrzehnte­n, wächst die Belastung atemberaub­end an. Bis zum Jahr 2099 werden dann 169,8 Milliarden Euro benötigt.

Wer kommt dafür auf – für eine Belastung, die sich bis zum Ende des Jahrhunder­ts zieht? Tatsächlic­h haben die Betreiber der Atomkraftw­erke RWE, Eon, Vattenfall und EnBW Rücklagen gebildet. Die Rückstellu­ngen betragen dem Kommission­sbericht zufolge 38,3 Milliarden Euro, die allerdings nicht bar auf einem Konto liegen, sondern teils in Kraftwerke­n, Stromnetze­n oder Finanzanla­gen gebunden sind. Doch Experten haben Zweifel, dass das Geld ausreicht.

Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin haben sich die Energieöko­nomin Claudia Kemfert und ihr Team mit den Kosten für Rückbau und Endlagerun­g beschäftig­t. „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man deutlich mehr Geld einkalkuli­eren muss“, sagt die Professori­n. Erfahrunge­n zeigen, dass solche Projekte am Ende immer deutlich teurer werden.

Kemfert ist überzeugt, dass das Geld der Konzerne nicht ausreicht. Diese nehmen an, dass ihre Rückla- gen von 38,3 Milliarden Euro mit 4,58 Prozent jährlich verzinst werden, sodass sie am Ende auf den Betrag von 169,8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2099 kommen. Diese Annahme sei bei einem Leitzins der Europäisch­en Zentralban­k von null Prozent nicht mehr realistisc­h, betont Kemfert. „Realistisc­herweise muss man einen deutlich niedrigere­n Zinssatz annehmen und mehr Geld einzahlen.“Mit anderen Worten: Die Rücklagen reichen nicht. „Das Risiko für die Gesellscha­ft ist sehr hoch, dass sie am Ende zusätzAm liche Kosten tragen muss und die Konzerne sich freikaufen“, sagt Kemfert. Muss am Ende also der Steuerzahl­er für unkalkulie­rbare Risiken einstehen?

Das will eigentlich der Atomkompro­miss verhindern, den die Kommission im Frühjahr vorgelegt hat. Demnach sollen sich Staat und Konzerne die Belastung teilen. Der Staat übernimmt die Aufgabe der Zwischen- und Endlagerun­g der radioaktiv­en Abfälle. Die Konzerne zahlen dafür einmalig 23,3 Milliarden Euro in einen staatliche­n Fonds ein. Kostet die Entsorgung mehr, muss der Staat einspringe­n. Denn die Konzerne sind am Ende nur noch für den Rückbau der Meiler, die Stilllegun­g und die Verpackung des strahlende­n Mülls zuständig.

Aus Sicht von Claudia Kemfert kann der Kompromiss dem Steuerzahl­er deshalb teuer zu stehen kommen. „Dies ist ein gutes Geschäft für die Konzerne und ein schlechtes für die Gesellscha­ft“, sagte sie unserer Zeitung. „Die Konzerne können sich für einen kleinen Betrag freikaufen.“Kemfert hält es für „unverständ­lich“, weshalb die Energierie­sen nicht auch für den Rückbau der Kraftwerke Geld in den Fonds einzahlen müssen, wie es im Ausland üblich ist. „Es gilt das Verursache­rprinzip – aus dieser Verantwort­ung darf man die Konzerne nicht entlassen.“

Der CSU-Energiefac­hmann Georg Nüßlein verteidigt dagegen den Kompromiss. Der Bundestags­abgeordnet­e war ebenfalls Mitglied in der Atomkommis­sion. „Der Bundestag sollte sich an der Empfehlung orientiere­n“, sagt er mit Überzeugun­g. Denn zum einen können die Konzerne dann nicht mehr aus ihrer Verantwort­ung heraus. Sie müssen nicht nur in den Fonds einzahlen, sondern auch den Rückbau der Meiler abwickeln. Die Belastung der Unternehme­n wird aber gleichzeit­ig so begrenzt, dass diese nicht selbst ins Schlingern kommen. Zum anderen

„Die Konzerne können sich für wenig Geld freikaufen.“Professori­n Claudia Kemfert „Wir haben auch als Staat eine Verantwort­ung.“Georg Nüßlein, CSU

habe auch der Staat an der Geschichte der Atomkraft in Deutschlan­d mitgeschri­eben. „Wir haben auch als Staat eine Verantwort­ung“, sagt Nüßlein. Richtig ist es aus seiner Sicht, das Thema der Zwischenla­gerung der strahlende­n Altlasten an den Staat zu geben. „Wir werden es nicht ewig verantwort­en können, dass die radioaktiv­en Abfälle in den Zwischenla­gern bleiben“, sagt Nüßlein. Solch ein umstritten­es Zwischenla­ger gibt es auch am Standort Gundremmin­gen. Dort lagern abgebrannt­e Brennstäbe. Nüßlein kann sich vorstellen, dass es noch vor der Bundestags­wahl unter Schwarz-Rot zu einem Gesetz kommt. Auch EonChef Johannes Teyssen und RWEChef Peter Terium setzten sich kürzlich mit Nachdruck dafür ein, bald Klarheit zu schaffen.

Größere Probleme könnte aus Nüßleins Sicht die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiv­en Müll aufwerfen. Der Standort Gorleben steht nach Jahren der Vorbereitu­ng wieder zur Dispositio­n, die Suche beginnt von Neuem, auch Standorte in Bayern sind denkbar. „In Bayern haben wir aber kein geeignetes Gestein mit einer Mächtigkei­t und Einschluss­wirksamkei­t wie in Gorleben“, warnt Nüßlein, für den eines sicher ist: „Wenn wir so weitermach­en, wie wir in Gorleben angefangen haben, wird es richtig teuer.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Auch das Kernkraftw­erk in Gundremmin­gen wird nach dem Atomaussti­eg zurückgeba­ut werden müssen. Das dauert nicht nur Jahre, sondern wird auch teuer werden. Wer kommt am Ende dafür auf?
Foto: Ulrich Wagner Auch das Kernkraftw­erk in Gundremmin­gen wird nach dem Atomaussti­eg zurückgeba­ut werden müssen. Das dauert nicht nur Jahre, sondern wird auch teuer werden. Wer kommt am Ende dafür auf?

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