Mittelschwaebische Nachrichten
Saudi-Arabien will auch ohne Öl Geld verdienen
Das Land möchte seine Wirtschaft umkrempeln. Dabei sollen Frauen eine Rolle spielen. Bisher bleiben die Pläne aber vage
Riad Sieben Billionen Rial soll der Fonds des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman groß werden. Mehr als 1600 Milliarden Euro. So viel wie das Bruttoinlandsprodukt Italiens, der drittgrößten Wirtschaft in der Eurozone. Der weltweit größte staatliche Investitionsfonds soll dazu beitragen, in SaudiArabien bis 2030 nicht weniger als eine wirtschaftliche Kehrtwende zu schaffen. In einem Land, das jahrzehntelang nur das Öl kannte. Und sagenhaft reich wurde. An Geld fehlte es nie. Bis letztes Jahr.
Plötzlich klaffte ein Loch von umgerechnet 87 Milliarden Euro im Staatshaushalt. Die niedrigen Ölpreise – die auch durch den Spitzenexporteur Saudi-Arabien mitverursacht wurden – belasten die Wirtschaft. Doch ein Programm soll das Land aus der Abhängigkeit befreien: „Vision 2030“haben es die Männer im Präsidentenpalast getauft. Die Wirtschaft soll damit auf neue Standbeine gestellt werden.
Die einzelnen Maßnahmen der „Vision 2030“seien aus wirtschaftlicher Sicht „überreif“, sagt Oliver Oehms, der Chef der Außenhandelskammer in Riad. Die fetten Jahre der Ölmonarchie seien vorbei und die Durchführung der Reformen würde eine große Herausforderung.
Denn Riad muss sparen. Subventionen für Wasser und Benzin wurden bereits abgebaut. Dies hätten Privatleute und Unternehmen zu spüren bekommen. Eine weitere Kürzung der staatlichen Hilfen sei zu erwarten. Das Rekorddefizit von 2015 werde in diesem Jahr wohl noch deutlicher ausfallen. „Man kann davon ausgehen, dass es sich im zweistelligen Prozentbereich bewegen wird.“
Dabei zweifeln Experten nicht am Sinn der einzelnen Bestandteile des im April vorgestellten Plans. Die günstige Energieversorgung des Landes solle für den Ausbau des Industriesektors genutzt werden. Zentral sind auch geplante Privatisierungen zur Steigerung von Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung. Ob sich das ultrakonservative Königreich damit auch gesellschaftlich modernisiert, bleibt aber fraglich. Auf dem Arbeitsmarkt sehen die saudischen Herrscher auch ein Potenzial, das sie bislang weitgehend vernachlässigt haben: die Frauen. Diese seien „ein großer Vorteil“, heißt es im Reformpapier.
Mehr als die Hälfte aller Universitätsabschlüsse in Saudi-Arabien werde von Frauen gemacht. „Wir werden ihre Talente weiter fördern“, schreiben die Verfasser des Papiers. So modern sich das für die Saudis anhört, so vorsichtig scheint das angestrebte Ziel. Frauen sollen künftig statt 22 Prozent der Arbeitskräfte 30 Prozent stellen. Um ihr
Bisher dürfen Frauen noch nicht Auto fahren
wirtschaftliches Potenzial aber wirklich auszuschöpfen, müsste das Land den Frauen unter anderem das Autofahren erlauben und sie damit unabhängiger machen. Das tut es nach wie vor nicht.
Infrage steht außerdem der ambitionierte Zeitplan. So sagte Mohammed bin Salman – der mehr und mehr zum Gesicht des Landes wird – in einem Fernsehinterview, Saudi Arabien könne schon 2020 ohne Öl leben. Für ein Land, dem (noch) die Basis für die Diversifizierung fehlt, ein Ding der Unmöglichkeit. „Auch wenn die Maßnahmen logisch erscheinen, wird der Zeitrahmen für ihre Erfüllung wahrscheinlich erweitert werden müssen“, schreibt Simon Henderson von der Denkfabrik Washington Institute. Ihm zufolge wird der Erfolg auch davon abhängen, ob die Saudis tatsächlich im Privatsektor arbeiten wollen. Momentan bevorzugten sie die weniger fordernden Beamtenjobs.
Die „Vision 2030“bleibt auch einige Monate nach ihrer Vorstellung noch immer vage. Es gab einige Milliarden-Investments – unter anderem für den US-Fahrdienst Uber –, die dem Programm zugerechnet werden. Doch solche fanden auch schon vorher statt. „In der Tat gibt es viele Fragen, die noch gestellt und beantwortet werden müssen“, schreibt der US-Experte Henderson. Und es sei ungewiss, „ob Mohammed bin Salman und sein Stab die notwendigen Reaktionen parat haben“. Benno Schwinghammer, dpa