Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Film, den man riechen kann
In einer unscheinbaren Berliner Kirche steht die Geruchsmaschine des Künstlers Wolfgang Georgsdorf. Sie könnte nicht nur das Kino auf neue Art erlebbar machen
Berlin Es hört sich an wie der Start der Triebwerke eines Flugzeugs, ein ständiger Luftzug ist zu spüren. Im Zehn-Sekunden-Takt ertönt ein Plopp-Geräusch. Thorsten Batuchka verzieht das Gesicht: „Puh, das stinkt ja ganz schön.“20 Sekunden später entspannen sich seine Gesichtszüge wieder und er lächelt. „Das riecht jetzt wieder toll, es erinnert mich an den Geruch des Waldbodens nach einem Regen.“
Der 47-Jährige aus Köln besucht gemeinsam mit seiner Freundin Johanna das Osmodrama-Festival in Berlin. Im Fokus des Geruchsfestivals steht eine besondere Apparatur: Der Smeller 2.0 – eine digitale Duftorgel des österreichischen Multimediakünstlers Wolfgang Georgsdorf, die auf Tastendruck Gerüche verströmt. Immer wieder haben die Besucher andere Aromen in der Nase, mal riecht es nach Leder und Motoröl, dann nach Fisch und Minze, dann wiederum nach Kot und Schweiß.
Bei dem vierwöchigen Festival testen Georgsdorf und sein Team eine Art der Wahrnehmung, die auch das Kino einmal revolutionieren könnte: Sie unterlegen Filme mit einer Duftspur. Die Premiere von Edgar Reitz’ Film „Die andere Heimat“etwa, der unter anderem in Brasilien spielt. Plötzlich roch das Publikum in Berlin exotische Früchte, wo weit und breit keine waren.
Ein bisschen schummrig ist es immer in dem großen weißen Zelt in der St. Johannes-Evangelist-Kirche, in dem die Duftorgel aufgebaut ist. Aus einer durchlöcherten Metallwand ragen 65-Rohr-Enden ins Zeltinnere. Der Smeller 2.0 ist sechseinhalb Meter breit, drei Meter hoch, anderthalb Tonnen schwer und erinnert an das Innere eines Raumschiffs aus Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker „Alien“. 64 Gerüche hat der Künstler in den Quellkammern der Rohre deponiert, die mit einer Geschwindigkeit von 30 Zentimetern pro Sekunde in den Raum geblasen werden. „Die Grundkomponenten sind die Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser“, sagt Georgsdorf. Hinzu kommen die Gerüche von Tierausscheidungen, technische, kulturelle und menschliche Gerüche und der Duft von Pflanzen, die aus insgesamt 400 Rohrmetern des computergesteuerten Geruchsinstruments strömen.
Wolfgang Georgsdorf ist Medienkünstler, Filmemacher, Autor und Musiker und lebt seit 20 Jahren in Berlin. Geruch habe ihn schon immer fasziniert, da es ein weitgehend unerforschtes Feld der Kunst sei und eine Vielfalt von Korrelationen mit anderen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen darstellt. Seit 25 Jahren arbeitet er an seinem großen „Duftprojekt“.
Den ersten kleinen Smeller baute er 1996. 2012 entstand der Smeller 2.0, der zunächst in einem Museum in Linz ausgestellt war. Wie ein Bild oder eine Melodie sollen seine Kompositionen aus Gerüchen (sogenannte Synosmien) als Kunstwerke funktionieren. Die Stücke heißen „Häuserfugen“, „Eine Kindheit“und „Miniaturen“. Der Geruchssinn finde von allen Sinnen am wenigsten Beachtung, sei aber „viel intimer“als etwa das Sehen. „Wir machen Moleküle zu Gefühlen“, sagt Georgsdorf. „Wir wollen Bilder hinter den Augen entstehen lassen.“
64 Gerüche wechseln sich ab