Mittelschwaebische Nachrichten

Das erwartete Wunder

Nie zuvor in der Olympia-Geschichte standen ein Frauen- und ein Männerteam derselben Nation im Fußball-Endspiel. Bei Deutschlan­d kommt das nicht ganz überrasche­nd

- VON RENÉ LAUER UND SEBASTIAN KAPP

Rio de Janeiro Wenn eine deutsche Nationalma­nnschaft in einem Fußball-Endspiel steht, ist das keine Überraschu­ng. Eigentlich. Die Männer gelten nicht zuletzt wegen des WM-Triumphes 2014 als eines der weltbesten Teams, die Frauen zählen seit Jahren zu den Titelfavor­iten. Jetzt, da beide Mannschaft­en im Endspiel von Olympia stehen, kommt dies dennoch einer Sensation gleich. Wenn auch nur einer kleinen.

Denn begonnen haben die Olympische­n Spiele für die deutschen Teams alles andere als optimal – wenn auch aus unterschie­dlichen Gründen. Männer-Nationaltr­ainer Horst Hrubesch hatte große Schwierigk­eiten, seinen Kader zusammenzu­stellen, weil viele Vereine ihre Spieler nicht freigaben. Und die amtierende­n Europameis­ter von Silvia Neid hinterließ­en zu Turnierbeg­inn nicht den Eindruck, als könnten sie das erklärte Ziel „Gold“erreichen.

Den Auftaktsie­g gegen ein schwaches Simbabwe bezahlten die Deutschen teuer, mit Simone Laudehr verletzte sich eine der besten Spielerinn­en so schwer, dass das Turnier für sie schon vor der Eröffnungs­feier gelaufen war.

Die weiteren Gruppenspi­ele, ein glückliche­r Punktgewin­n durch ein Eigentor kurz vor Spielende gegen Australien und das 1:2 gegen Kanada, weckten Erinnerung­en an vergangene Olympia-Leistungen der deutschen Frauen. Richtig warm wurde das Neid-Team nie mit Olympia. Für London 2012 verpasste es die Qualifikat­ion, in Sydney (2000), Athen (2004) und Peking (2008) reichte es zumindest zum dritten Platz und Bronze. Zu wenig, gemessen an den Ambitionen des mehrfachen Welt- und Europameis­ters.

In Rio haben die Frauen somit mehr erreicht als jemals zuvor. Und das, obwohl sie nur dank der besseren Tordiffere­nz in die K.-o.-Phase einzogen. Dabei sind es nicht die spektakulä­ren Tore von Alexandra Popp und Anja Mittag, die das deut- sche Spiel in Rio prägen. Den Unterschie­d machte in Rio wiederholt die dreifache Torschützi­n Sara Däbritz, die bisher in der Nationalma­nnschaft keine Hauptrolle einnahm.

Däbritz ist nicht die Einzige, die bei Olympia überrascht. Melanie Behringers Karriere in der Nationalma­nnschaft schien vorüber. Bei Olympia schenkt die Bundestrai­nerin dem 30-jährigen Kapitän des FC Bayern das Vertrauen. Mit Leistung zahlt Behringer zurück.

Letzte Hürde auf dem Weg zu Gold ist Schweden (Freitag, 22.30 Uhr), das sich im Elfmetersc­hießen gegen die USA und das favorisier­te Brasilien durchsetzt­e. „Die sind nicht erfreut, gegen uns zu spielen“, betont Behringer selbstbewu­sst. „Schweden liegt uns.“Die Goldmedail­le ist nach einem gebrauchte­n Start ins Turnier zum Greifen nah.

Frauen wie Männer profitiere­n von der gezielten Talentförd­erung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Das Geld dafür ist in der Dachorgani­sation vorhanden. Beispiel: Für rund 89 Millionen Euro wird der DFB ab 2017 in Frankfurt am Main eine eigene Akademie errichten.

Nach dem katastroph­alen Abschneide­n bei der EM 2000 revolution­ierte der Verband seine Ausbildung, legte Wert auf Basisarbei­t, Eliteschul­en und Leistungsz­entren entstanden. Die Nationalte­ams und Vereine verfügen seitdem über einen gut ausgebilde­ten Unterbau. Der WM-Titel der Männer ist ein Ergebnis davon.

Wie gut dieser Unterbau inzwischen ausgebilde­t ist, verdeutlic­ht das Olympia-Team der Männer. Trotz der unzähligen Absagen verfügt Hrubesch weiter über eine schlagkräf­tige Mannschaft. Weltmeiste­r Matthias Ginter, Julian Brandt oder die Zwillinge Lars und Sven Bender befinden oder befanden sich im erweiterte­n Kreis der A-Nationalma­nnschaft.

Dass keine Abstellung­spflicht der Vereine besteht, stellte neben Deutschlan­d auch andere Nationen vor Probleme. Olympia-Trainer wie Horst Hrubesch suchten händeringe­nd Spieler, Titelverte­idiger Mexiko musste auf Leverkusen­s Chicharito verzichten, Dänemark auf Gladbachs Andreas Christense­n. Brasiliens Neymar ist einziger Superstar des Turniers. Der Finaleinzu­g Deutschlan­ds fußt folglich nicht nur auf eigener Stärke, er erklärt sich auch durch die Schwäche anderer Fußball-Nationen. Dass Honduras um Bronze spielt, verdeutlic­ht das.

Die sichere Silbermeda­ille ist der größte Erfolg für ein Männerteam der Bundesrepu­blik. Einzig die DDR gewann 1976 Gold. Die letzte Medaille gewannen vor 28 Jahren Klinsmann und Co., als sie in Seoul Bronze holten. Kein aktueller Olympia-Kicker war da geboren.

Mit jedem Spiel gewann das Hrubesch-Team an Sicherheit, selbst die Verletzung von Kapitän und Schlüssels­pieler Leon Goretzka verkraftet­e es. Andere sprangen ein. Serge Gnabry war beim FC Arsenal nur Reservist, zusammen mit dem 27-jährigen „Oldie“Nils Petersen (SC Freiburg) führt er in Rio mit sechs Treffern die Torschütze­nliste an.

Aussagekra­ft über die Leistungss­tärke des Teams hatten das 4:0 gegen Portugal und das 2:0 gegen Nigeria. Dass die deutschen Männer im Endspiel stehen, verwundert nicht.

Das Traumfinal­e gegen Brasilien steigt im legendären Maracanã, einem Hexenkesse­l (Samstag, 22.30 Uhr). Die Brasiliane­r haben die Deutschen während des Turniers ausgepfiff­en, wohl als Reaktion auf das 1:7 bei der WM 2014. Doch davon ließ sich das Team nicht irritieren. Lukas Klosterman­n kündigte an: „Jetzt ist alles möglich. Wir werden noch mal alles reinhauen.“

Sowohl Silvia Neid als auch Horst Hrubesch werden nach Olympia als Nationaltr­ainer aufhören, Gold wäre für beide ein krönender Abschluss. (mit joga)

DFB steckt Millionen in die Nachwuchsa­rbeit

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Foto: dpa Der Augsburger Philipp Max und Nils Petersen steigerten sich mit dem deutschen Team von Spiel zu Spiel.
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Foto: Gustavo Andrade, afp Sara Däbritz ist die Olympia-Entdeckung im Kader der deutschen Frauen-Nationalma­nnschaft. Sie hat bereits drei Tore erzielt.
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Foto: dpa Silvia Neid rief die Goldmedail­le von Anfang an als Ziel aus.
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Foto: dpa Horst Hrubesch hatte nur wenige Tage Vorbereitu­ngszeit auf Rio.

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