Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich glaube, ich habe meine Schwiegerm­utter getötet“

Messerstec­her-Prozess Ein Gutachter gibt Einblick in die Psyche des Täters. Mental krank ist der Angeklagte nicht, völlig Herr seiner Sinne war er zum Tatzeitpun­kt aber auch nicht. Wann das Urteil in diesem Fall gesprochen werden soll

- VON ADRIAN BAUER

Memmingen/Ellzee Der Prozess um die Messerstec­herei von Ellzee vor dem Memminger Landgerich­t geht langsam auf sein Ende zu. Neben letzten Zeugenauss­agen ging es gestern um die Persönlich­keit des Angeklagte­n und seinen Geisteszus­tand zur Tatzeit.

Am Mittwoch und Donnerstag haben zahlreiche Zeugen das Bild zum Tattag und zur Beziehung zwischen dem Angeklagte­n, seiner Frau und der Schwiegerm­utter abgerundet. Der Ehemann des Opfers und dessen Mutter ließen zum Abschluss noch einmal kein gutes Haar am Angeklagte­n. Er habe seine Tochter tyrannisie­rt, sagte der Schwiegerv­ater. Wie seine Frau stellte er den 29-Jährigen als Alleinschu­ldigen für die schlechte und zwischenze­itlich nicht existente Beziehung zur Tochter dar. Außerdem habe der Angeklagte nicht nach biblischen Grundsätze­n gelebt, sagte der 56-Jährige, der wie alle Familienmi­tglieder den Zeugen Jehovas angehört. Als man noch miteinande­r sprach, hatte er den Schwiegers­ohn in einem dreistündi­gen Telefonat auf die in der Bibel hinterlegt­en Grundsätze zum Eheleben aufmerksam gemacht.

Unterschie­dliche Aussagen zum Gemütszust­and des Angeklagte­n lieferten Polizisten im Zeugenstan­d. Kurz nach der Tat hatte der Mann telefonisc­h die Rettungskr­äfte alarmiert: „Ich glaube, ich habe meine Schwiegerm­utter getötet“, sagte er dem Polizisten, der den Notruf entgegenna­hm. Insgesamt wirkte der Mann dabei noch relativ gefasst. Erst als er festgenomm­en wurde, brachen die Emotionen aus ihm heraus, sagte ein Kriminalpo­lizist, der am Tattag die Vernehmung geführt hatte: „Er war völlig aufgelöst, wir mussten mehrfach unterbrech­en, weil er Weinkrämpf­e hatte.“Die Hauptsorge des Mannes galt seinen Kindern. Nach dem Zustand des Opfers habe er aber kein einziges Mal gefragt, sagte der Polizist.

Dieses Verhalten passt für Gutachter Norbert Ormanns zur Persönlich­keit des Angeklagte­n. Der Leiter der forensisch­en Psychiatri­e am Bezirkskra­nkenhaus in Kaufbeuren hatte mehrere Gespräche mit dem 29-Jährigen geführt und beschreibt ihn als Menschen mit einer narzisstis­chen Persönlich­keitsstruk­tur. Der Angeklagte zeige wenig Einfühlung­svermögen, suche die Schuld für Probleme bei anderen und zeige wenig Ansätze von Selbstkrit­ik. Er sei fixiert auf sich selbst und die Personen, die ihm wichtig sind – speziell seine Kinder und mit Abstrichen seine Ehefrau, analysiert­e Ormanns. Das zeige sich unter anderem darin, dass der Angeklagte im Gerichtssa­al mehrfach in Tränen ausbrach, wenn von seinen Töchtern die Rede war. Auch in einem Brief, den er aus der Haft an seine Mutter schickte, klagte er darüber, dass seine Frau ihm die Kinder weggenomme­n habe und er sie seit Monaten nicht mehr in den Arm nehmen konnte. Berichte über die Verletzung­en des Opfers riefen dagegen keine Gefühlsaus­brüche hervor.

Eine Erkrankung im psychiatri­schen Sinne konnte Ormanns aber nicht erkennen. Allerdings seien im Verhalten des Angeklagte­n am Tattag Anzeichen für eine akute Belastungs­reaktion zu erkennen. Startpunkt sei der Moment, in dem er in seiner Wohnung bei Ulm den Zettel gelesen hat, auf dem seine Frau ihm mitteilte, dass sie mit den Kindern bei ihrer Mutter sei. An die Ereignisse der Fahrt nach Ellzee erinnere sich der Mann nur bruchstück­haft – für Ormanns ebenfalls ein Anzeichen für die Belastungs­reaktion.

Nach den Jahren des schlechten Verhältnis­ses zur Schwiegerm­utter hätte deren Ansage, dass die Kinder nicht mit ihm kämen, wohl den Ausbruch der Aggression­en bewirkt, sagte der Gutachter: „Er hatte wohl keine Strategien, um damit umzugehen.“Durch den psychische­n Ausnahmezu­stand sei die Steuerungs­fähigkeit gemindert gewesen.

Der Prozess geht am kommenden Montag mit den Schlussvor­trägen von Staatsanwa­ltschaft, Nebenklage und Verteidigu­ng weiter. Verteidige­r Harald Müller hatte am ersten Verhandlun­gstag bereits angekündig­t, dass man nachweisen werde, dass der Angeklagte seine Schwiegerm­utter nicht habe töten wollen und dass er nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen schwerer Körperverl­etzung zu verurteile­n sei. Das Urteil will die Strafkamme­r um Richterin Brigitte Grenzstein dann am Donnerstag verkünden.

„Er hatte wohl keine Strategien, damit umzugehen.“ Der Gutachter über den Angeklagte­n „Er war völlig aufgelöst. Wir mussten mehrfach unterbrech­en.“ Kriminalpo­lizist über die Vernehmung

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Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Am 6. Oktober vergangene­n Jahres stach der Angeklagte auf seine Schwiegerm­utter ein. Am kommenden Donnerstag soll das Urteil zum Vorwurf des versuchten Mordes fallen.

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