Mittelschwaebische Nachrichten
Sie glaubte an den Sohn
Berühmtheit Gottfried Keller entwickelte sich vom Protestanten zum Atheisten. Seine Mutter hatte es schwer mit ihm
Mindelzell Die Mutter des Schweizer Schriftstellers und Dichters Gottfried Keller war eine bewundernswerte Frau. Schon in jungen Jahren Witwe geworden, stand sie mit zwei kleinen Kindern, Gottfried und Regula, allein da. Die Drechslerei wollte sie als Lebensgrundlage erhalten, deshalb heiratete sie einen Mitarbeiter, der das Geschäft weiterführen konnte. Schnell stellte sich heraus, dass er weder ein Geschäftsmann noch ein idealer Lebenspartner geschweige denn den Kindern ein Vaterersatz sein konnte. Sie besaß den Mut, sich von ihm zu trennen.
Sorgen bereitete ihr Sohn Gottfried. Er konnte gut zeichnen und malen, deshalb wäre er gerne Kunstmaler geworden. Weil er sich jedoch an einer Protestversammlung beteiligt hatte und man ihn als Rädelsführer betrachtete, musste er die Schule verlassen. Ein Jahr hielt er sich bei einem Onkel auf. Er spürte die Grenzen seiner Malkunst, deshalb begab er sich nach München, einem künstlerischen Zentrum der damaligen Zeit. Von der Mutter unterstützt, blieb er zwei Jahre in München. Kein einziges seiner Bilder wurde in eine Ausstellung aufgenommen. Kein Bild konnte er verkaufen. Nach zwei erfolglosen Jahren kehrte er zur Mutter nach Zürich zurück. Inzwischen hatte er zu dichten begonnen. Die Gedichte fanden viel Anklang.
Die Stadt Zürich bewilligte auf Bitten der Mutter Gottfried ein Reisestipendium. Er geht zum Studium nach Heidelberg. Die Begegnung mit dem Philosophen Feuerbach führt den aus dem reformierten Protestantismus zwinglianischer Prägung zum Atheismus. Gottfried Keller verliert den Glauben und wird nie mehr zum Glauben seiner Kindheit zurückkehren. Die Malerei hat er inzwischen aufgegeben. Er wendet sich nun völlig der Dichtkunst und der Schriftstellerei zu. Es waren wirkliche Hungerjahre, die er in Heidelberg und in Berlin verbracht hat. Die Mutter unterstützt ihn und auch die Schwester lässt ihn nicht im Stich. Es ist eine äußerst fruchtbare Zeit. „Der grüne Heinrich“entsteht. Der erste Band „Die Leute von Seldwyla“kann er veröffentlichen. Verschiedene andere Projekte werden skizziert so „Sinngedichte“.
Nach Zürich 1855 zurückgekehrt, lebt er mit Mutter und Schwester sehr zurückgezogen. Die Buchveröffentlichungen fanden ein gutes Echo. Sie verschafften ihm Ansehen, sodass der Rat der Stadt ihn zum Stadtschreiber wählte. Damit hatte er, sehr zum Trost der Mutter, mit 41 Jahren endlich ein gesichertes Einkommen.
Es stand ihm auch eine eigene Wohnung im Stadtschreiberhaus zu. Mutter und Schwester zogen zu ihm. Die Mutter starb mit 77 Jahren, ohne vorher krank gewesen zu sein. Der Verlust der Mutter traf den Dichter sehr. Hatte sie doch immer an ihn geglaubt, obwohl ihr Glaube auf harte Proben gestellt worden war.
Den Ruhm ihres Sohnes konnte sie nicht mehr erleben. Das Amt des Stadtschreibers gab er nach 15 Jahren auf, um fortan als freier Schriftsteller arbeiten zu können, denn das Amt des Stadtschreibers ließ ihm keine Zeit, seinen schriftstellerischen Neigungen nachzugehen. Als Gottfried Keller 1890 im Alter von 71 Jahren starb, konnte er auf ein reiches schriftstellerisches Lebenswerk zurückblicken. Dies ist auch seiner Mutter zu verdanken. In seinen Werken kann man da und dort seine dankbare Liebe entdecken. (gsch)