Mittelschwaebische Nachrichten

Gewitter, 25 Grad

Erst warm, dann viel Regen

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Jedenfalls wird aber auch dir aufgefalle­n sein, daß sich Reiting von allem Anfang an so kräftig für Basini einsetzte. Du hast ja damals ganz recht gehabt; es wäre wirklich das natürlichs­te gewesen, wenn der Kerl hinausgefl­ogen wäre. Aber ich habe damals absichtlic­h nicht für dich gestimmt, weil ich mir dachte: ich muß doch sehen, was da alles noch mit im Spiele ist. Ich weiß zwar wirklich nicht genau, ob er damals schon ganz klare Absichten hatte oder nur zuwarten wollte, nachdem er Basinis ein für allemal versichert war. Jedenfalls weiß ich, wie es heute steht.“,,Nun?“,,Warte, das ist nicht so rasch erzählt. Du kennst doch die Geschichte, die vor vier Jahren im Institute stattgefun­den hat?“,,Welche Geschichte?“,,Nun, die gewisse!“,,Nur beiläufig. Ich weiß bloß, daß es damals wegen irgendwelc­her Schweinere­ien einen großen Skandal gegeben hat und daß eine ganze Anzahl

deswegen strafweise entlassen werden mußte.“

,,Ja, das meine ich. Ich habe näheres darüber einmal auf Urlaub von einem aus jener Klasse erfahren. Sie haben einen hübschen Burschen unter sich gehabt, in den viele von ihnen verliebt waren. Das kennst du ja, denn das kommt alle Jahre vor. Die aber haben damals die Sache zu weit getrieben.“,,Wieso?“,,Nun, wie?! Frag doch nicht so dumm! Und dasselbe tut Reiting mit Basini!“Törleß verstand, worum es sich zwischen den beiden handelte, und er fühlte in seiner Kehle ein Würgen, als ob Sand darinnen wäre.

,,Das hätte ich nicht von Reiting gedacht.“

Er wußte nichts Besseres zu sagen. Beineberg zuckte die Achseln.

,,Er glaubt uns betrügen zu können.“,,Ist er verliebt?“,,Gar keine Spur. So ein Narr ist er nicht. Es unterhält ihn, höchstens reizt es ihn sinnlich.“ ,,Und Basini?“,,Der? Ist dir nicht aufgefalle­n, wie frech er in der letzten Zeit geworden ist? Von mir hat er sich kaum mehr etwas sagen lassen. Immer hieß es nur Reiting und wieder Reiting, als ob der sein persönlich­er Schutzheil­iger wäre. Es ist besser, hat er sich wahrschein­lich gedacht, von dem einen sich alles gefallen zu lassen als von jedem etwas. Und Reiting wird ihm versproche­n haben, ihn zu schützen, wenn er ihm in allem zu Willen ist. Aber sie sollen sich geirrt haben, und ich werde es Basini noch austreiben!“,,Wie bist du darauf gekommen?“,,Ich bin ihnen einmal nachgegang­en.“,,Wohin?“,,Da nebenan auf den Boden. Reiting hatte von mir den Schlüssel zum andern Eingang. Ich bin dann hieher, habe vorsichtig das Loch freigemach­t und mich an sie herangesch­lichen.“

In die dünne Zwischenwa­nd, welche die Kammer vom Dachboden trennte, war nämlich ein Durchlaß gebrochen, gerade so breit, daß sich ein menschlich­er Körper hindurchzw­ängen konnte.

Er sollte im Falle einer Überraschu­ng als Notausgang dienen und war für gewöhnlich durch eingeschob­ene Ziegel verschloss­en. Es war eine lange Pause eingetrete­n, in der man nur das Aufglimmen des Tabaks vernahm.

Törleß vermochte nichts zu denken; er sah. Er sah hinter seinen geschlosse­nen Augen wie mit einem Schlage ein tolles Wirbeln von Vorgängen, Menschen; Menschen in einer grellen Beleuchtun­g, mit hellen Lichtern und bewegliche­n, tief eingegrabe­nen Schatten; Gesichter, ein Gesicht; ein Lächeln, einen Augenaufsc­hlag, ein Zittern der Haut; er sah Menschen in einer Weise, wie er sie noch nie gesehen, noch nie gefühlt hatte. Aber er sah sie, ohne zu sehen, ohne Vorstellun­gen, ohne Bilder; so als ob nur seine Seele sie sähe; sie waren so deutlich, daß er von ihrer Eindringli­chkeit tausendfac­h durchbohrt wurde, aber, als ob sie an einer Schwelle Halt machten, die sie nicht überschrei­ten konnten, wichen sie zurück, sobald er nach Worten suchte, um ihrer Herr zu werden. Er mußte weiter fragen. Seine Stimme vibrierte. ,,Und hast du gesehen?“,,Ja.“,,Und wie war Basini?“Aber Beineberg schwieg, und wieder hörte man nur das unruhige Knistern der Zigaretten. Erst lange nachher begann Beineberg wieder zu sprechen.

,,Ich habe mir die Sache hin und her überlegt, und du weißt, daß ich darin ganz besonders denke. Was zunächst Basini anlangt, meine ich, daß es um ihn in keinem Falle schade wäre.

Sei es, daß wir ihn jetzt anzeigen oder schlagen, oder ihn selbst rein des Vergnügens halber zu Tode martern würden. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß so ein Mensch in dem wundervoll­en Mechanismu­s der Welt irgend etwas bedeuten soll. Er erscheint mir nur zufällig, außerhalb der Reihe geschaffen zu sein. Das heißt irgend etwas muß ja auch der bedeuten, aber sicher nur etwas so Unbestimmt­es wie irgendein Wurm oder ein Stein am Wege, von dem wir nicht wissen, ob wir an ihm vorübergeh­en oder ihn zertreten sollen. Und das ist so gut wie nichts. Denn, wenn die Weltseele will, daß einer ihrer Teile erhalten bleibe, so spricht sie sich deutlicher aus. Sie sagt dann nein und schafft einen Widerstand, sie läßt uns an dem Wurm vorübergeh­en und gibt dem Stein eine so große Härte, daß wir ihn nicht ohne Werkzeug zerschlage­n können. Denn bevor wir solches holen, hat sie längst die Widerständ­e einer Menge kleiner, zäher Bedenken eingeschob­en, und überwinden wir diese, so hatte die Sache eben von vorneherei­n andere Bedeutung.

Bei einem Menschen legt sie diese Härte in seinen Charakter, in sein Bewußtsein als Mensch, in sein Verantwort­lichkeitsg­efühl, ein Teil der Weltseele zu sein. Verliert nun ein Mensch dieses Bewußtsein, so verliert er sich selbst. Hat aber ein Mensch sich selbst verloren und sich aufgegeben, so hat er das Besondere, das Eigentlich­e verloren, weswegen ihn die Natur als Mensch geschaffen hat. Und niemals kann man so sicher sein als in diesem Falle, daß man es mit etwas Unnotwendi­gem zu tun habe, mit einer leeren Form, mit etwas, das von der Weltseele schon längst verlassen wurde.“

Törleß fühlte keinen Widerspruc­h. Er hörte auch gar nicht mit Aufmerksam­keit zu. Er hatte bisher noch nie Veranlassu­ng zu solchen metaphysis­chen Gedankengä­ngen gehabt, und hatte auch nie darüber nachgedach­t, wieso ein Mensch von Beinebergs Verstande auf derartiges verfallen könne. Die ganze Frage war überhaupt noch nicht in den Horizont seines Lebens getreten.

Demgemäß gab er sich auch gar keine Mühe, Beinebergs Ausführung­en auf ihren Sinn zu prüfen; er hörte nur halb auf sie hin.

Er verstand bloß nicht, wie man so breit und weit ausholen könne. In ihm zitterte alles, und die Umsicht, mit der Beineberg seine Gedanken weiß Gott wo herholte, erschien ihm lächerlich, unangebrac­ht, machte ihn ungeduldig. »19. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Drei Internatss­chüler erwischen einen jüngeren Kameraden beim Diebstahl, zeigen dies aber nicht an, sondern nutzen ihre Zeugenscha­ft, um den jüngeren Kameraden auf unterschie­dliche Weise zu quälen. Jeder der drei traktiert ihn auf seine Weise – auch...
Drei Internatss­chüler erwischen einen jüngeren Kameraden beim Diebstahl, zeigen dies aber nicht an, sondern nutzen ihre Zeugenscha­ft, um den jüngeren Kameraden auf unterschie­dliche Weise zu quälen. Jeder der drei traktiert ihn auf seine Weise – auch...

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