Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Wagners Erben seine Kunst pervertier­ten

Nach Richard Wagners Tod wurden seine Werke in den Dienst einer nationalis­tischen Ideologie gestellt

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Herr Bauer, Sie haben mehr als 30 Jahre für die Bayreuther Festspiele gearbeitet und jetzt eine Geschichte der Festspiele vorgelegt: Was in Bayreuth passiert, interessie­rt selbst Leute, für die Oper eine Tortur ist. Hat das auch damit zu tun, dass die Festspiele deutsche Geschichte widerspieg­eln? Oswald Georg Bauer: Im Guten wie im Schlechten, gerade auch was die Verführung durch die Macht anbelangt. Die Verbindung der Festspiele mit Hitler und der NS-Diktatur hat sich festgesetz­t. Zugleich ist das Werk Richard Wagners – und hier vor allem der „Ring“– bis heute von einer unglaublic­hen Aktualität. Nehmen Sie den Skandal um die Panama Papers – das ist doch nichts anderes als der „Ring“.

Unter den ersten Festspielg­ästen war sagenhafte Prominenz, dagegen ist der rote Teppich heute eigentlich fad. Bauer: Es war wirklich alles da, was Rang und Namen hatte. Der Kaiser samt Hochadel, die Komponiste­n Bruckner, SaintSaëns, Tschaikows­ky, Grieg, Mahler, Menzel oder Lenbach. Aber das war damals auch der Effekt des Neuen. Die Leute hatten das Bedürfnis zu reisen. Eine Russin hat mir von ihren hochadelig­en Großeltern aus der Ukraine erzählt. Die sind mit dem Sonderzug nach Bayreuth gefahren, hatten von der Kutsche bis zum eigenen Koch alles dabei und mieteten sich für drei, vier Wochen auf Schloss Fantaisie ein.

Und die normalen Festspielg­äste? Bauer: Die verteilten sich auf Gasthöfe und Privatunte­rkünfte – das hat in Bayreuth also eine lange Tradition. Schon damals gab es Klagen über die überteuert­en Zimmerprei­se. Man liest auch von der entsetzlic­hen „Hungersnot“bei den ersten Festspiele­n, die die Damen von Stand gezwungen hat, in die einfachste­n Bierwirtsc­haften zu gehen, um etwas zu essen zu bekommen.

Es gab auch gleich Festspiel-Jünger. Bauer: Die waren für Wagner das Schlimmste. Schon Nietzsche spricht 1876 von den Jüngern im re- ligiösen Sinne. Natürlich wollte Wagner Zustimmung, aber dieses Proselyten­tum war ihm zuwider. Gattin Cosima hat nach seinem Tod einen Kult daraus gemacht. Cosima ist für mich die Ursache der nationalis­tischen Ideologie-Entwicklun­g, die ich die Wahnfried-Ideologie nenne. Sie wollte Wagners Utopien nicht verstehen. Für Wagner konnte das Kunstwerk an sich nicht national sein, das schrieb er 1849 in „Kunst und Religion“. Ein nationales Element, eine nationale Couleur durfte allenfalls ein Ornament sein.

Und plötzlich war Siegfried der germanisch­e Held. Bauer: Diese Wende kam mit der ersten „Ring“-Inszenieru­ng nach Wagners Tod 1896. Was dem Freigeist Richard vorschwebt­e, galt nichts mehr. Aus dem ursprüngli­chen Weltgleich­nis des Antagonism­us von Macht und Liebe wurde eine Germanen-Oper gemacht. Bei meinen Recherchen ist mir noch etwas Fatales aufgefalle­n: Bei den Festzügen zum „Tag der Deutschen Kunst“durch die Münchner Prinzregen­tenstraße gab es 1937 und 1938 einen eigenen Teil zu Richard Wagner. Wenn Sie das durchgehen, stellen Sie fest, dass die Entwicklun­gslinie seit 1896 eine Konstante ist. Die Nazis hatten nichts zu erfinden. Was sich Cosima und ihr rassistisc­her, antisemiti­scher Schwiegers­ohn Houston Stewart Chamberlai­n ausgedacht hatten, mussten die Nazis nur noch übernehmen.

Aber der „Parsifal“passte doch nicht ins Konzept. Bauer: Den Helden des Mitleids auf die NS-Ideologie umzudeuten, war unmöglich. Joseph Goebbels lässt sich in seinen Tagebücher­n deutlich darüber aus, dass das für ihn als alten Heiden nichts sei. Hitler war es, der den Parsifal so gerne wieder hören wollte. Der hat sich aber ausschließ­lich für die Musik interessie­rt. Bei einer „Parsifal“-Aufführung ließ er einen Musiker in der Pause zu sich kommen, der einen falschen Ton geblasen hatte. Der Mann zitterte am ganzen Leib, und Hitler meinte nur ganz verständni­svoll, dass das doch sicher schlimm für ihn gewesen sei.

Hitler hat den Gehalt des Werks ignoriert?

Bauer: Es kann nicht anders gewesen sein. Wenn Sie in den damaligen „Kulturmedi­en“lesen, wie man versuchte, den Parsifal kriegstaug­lich zu machen, schütteln Sie nur den Kopf. Natürlich gibt es diese Blutmystik. Aber die hat einen christlich­en Bezug. Dann wurde auf die Rüstung Parsifals und den Speer verwiesen. Dieses „durch Mitleid

wissend“ging nicht mit dem Heldentum der Nazis zusammen. Nicht ohne Grund wurde das Stück im Krieg verboten. Goebbels hat den „Parsifal“richtig eingeschät­zt.

Winifred Wagner konnte Goebbels nicht ausstehen, ansonsten hat sie sich mit den braunen Machthaber­n und besonders Hitler bestens verstanden. Bauer: Ja, Goebbels hätte ihr zu viel reingerede­t, konnte aber nicht, weil Bayreuth Hermann Göring unterstand. Was mich aber wirklich erschütter­t hat, war die Haltung Wielands. Hitlers „Lieblingss­ohn“wurde 1937 zum Nachfolger seiner Mutter aufgebaut, und ausgerechn­et der „Parsifal“war seine erste Inszenieru­ng. Und was lesen wir in der Nazi-nahen Presse? Es sei doch sehr löblich gewesen, dass Wieland zur Premiere in Wehrmachts­uniform erschien. Hitler und Goebbels trugen übrigens Smoking.

Jahre später wurde er zum großen, unkonventi­onellen Erneuerer Bayreuths. Bauer: Da hatte wirklich eine Läuterung stattgefun­den. Man darf das annehmen, weil er nie darüber gesprochen hat. Auch mit keinem seiner Biografen. Ohne Wieland hätte Bayreuth übrigens nie mehr eine Bedeutung gehabt. Das ging aber auch nur, weil Wolfgang ihm den Rücken frei gehalten hat.

Wird Wolfgang Wagner unterschät­zt? Bauer: Auf jeden Fall. Wer mit ihm gearbeitet hat, spürte das sofort. Wolfgang war immer offen. Wenn er um elf kam, sind wir erst einmal durch den ganzen Betrieb gegangen, durch die Werkstätte­n, die Büros. Immer trug er einen kleinen Kalender mit sich, hat Termine ausgemacht und schrieb auf, was er nicht gleich vor Ort klären konnte.

Am Ende war dann ein gewisser Starrsinn zu bemerken. Bauer: Doch standen die Mitarbeite­r zu ihm – weil er hinter jedem Einzelnen stand. Patrice Chéreau ist ein schönes Beispiel. Wolfgang Wagner erkannte zwar, dass der junge Mann etwas kann, aber er tat sich schwer mit ihm. Es gab lange, intensive Auseinande­rsetzungen, die auch mal lauter wurden. Wolfgang hat Chéreaus Ideen immer wieder hinterfrag­t und sagte in seiner direkten Art: „Haben Sie Verständni­s, ich weiß, dass das etwas Besonderes ist. Aber ich muss es doch verstehen, denn ich werde das gegen die ganze Welt verteidige­n!“Bei den Pressekonf­erenzen ging es hoch her. Vor den Fenstern gab’s Demonstrat­ionen für die Absetzung der Inszenieru­ng. Einer hat sogar eine Million Dollar geboten, wenn der Chéreau-Ring verschwind­et. Interview: Christa Sigg

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Foto: Archiv Aufschauen­de Cosima und gnädiger Richard Wagner, 1872.
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O. G. Bauer (l.) und Wolfgang Wagner

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