Mittelschwaebische Nachrichten
Ettenbeuren tut Kriegskindern aus der Ukraine gut
Warum eine kleine Gruppe von traumatisierten Buben und Mädchen im Kammeltal wieder auflebt
Ettenbeuren Heute steht Valeria im Mittelpunkt. Sie hat sich ihre schöne Bluse mit den aufgestickten Mohnblumen angezogen und freut sich einfach nur. Die anderen Kinder tanzen für sie, tragen selbst geschriebene Gedichte vor, rappen für sie, haben ihr ein Plakat gemalt. Diesen dreizehnten Geburtstag wird sie wohl nie vergessen, wohl aber aus einem anderen Grund: Valeria war noch nie so weit von zu Hause weg, hat noch nie so viel Wohlstand gesehen und genießt eine bisher nie gekannte Gastfreundschaft. Sie gehört zu einer Gruppe von 22 Buben und Mädchen aus der Ostukraine, die seit einer guten Woche einen Erholungsurlaub im Jugendtagungshaus der Katholischen Jungen Gemeinde in Ettenbeuren verbringen.
Die Kinder stammen aus einem Gebiet, in dem gerade wieder die Kämpfe zwischen prorussischen Rebellen und der Armee aufgeflammt sind. Viele Gelegenheiten, so etwas wirklich Schönes wie diese Geburtstagsfeier zu erleben, hatten sie bisher nicht. Doch nun fühlen sie, wie das Leben auch sein kann: leichter, unbeschwerter, ohne Krieg und Streit. „Ich freue mich so sehr, dass ich hier sein darf“, sagt Valeria schüchtern und zurückhaltend. Am morgigen Sonntag geht es wieder zurück in die schwierige Heimat.
In Ettenbeuren sind sie alle aufgeblüht, sagt Betreuerin Elena Larina. Sie ist Vorsitzende des 2014 gegründeten Vereins Ukraine-Kinderhilfe Augsburg. Er hat sich zum Ziel gesetzt, Kinder und Jugendliche zu unterstützen, die durch den Bürgerkrieg traumatisiert oder behindert sind. Viele haben ihre Eltern oder Verwandte verloren und leben in Pflegefamilien. Die darf man sich nicht als Pärchen mit zwei bis drei Kindern vorstellen, sondern als eine Art Kleingruppe, in der jeweils rund ein Dutzend Buben und Mädchen leben, oder besser gesagt leben müssen. Andere wiederum sind bei Verwandten untergekommen, während Vater und Mutter im Bürgerkriegsgebiet zurückgeblieben sind. Sie müssen täglich bangen, dass den Eltern nichts passiert. Rund 5000 Kinder mussten laut offiziellen Angaben aus dem Osten der Ukraine fliehen. Sie alle hätten es wohl verdient, einen solchen Erholungsurlaub spendiert zu bekommen, doch die Augsburger Kinderhilfe und ihre Partnerorganisation Messengers of Peace („Friedensbotschafter“) können nur wenigen einen kurzen Ferientrip nach Deutschland ermöglichen. Ohnehin ist dies erst die zweite Reise nach Schwaben.
Die ländliche Idylle von Ettenbeuren scheint sich segensreich auf das Gemüt der Kinder auszuwirken, findet Elena Larina. Wenn sie von einem der Ausflüge ins Schwimmbad, den Zoo oder das Legoland zurückkommen, verschwinden sie sofort im angrenzenden Wald. Viele waren anfangs aggressiv, ängstlich und verschlossen, trauten sich nicht, alleine zu schlafen. Doch die Freundlichkeit der Menschen hier, die Aufgeschlossenheit der Erwachsenen und die Begegnungen mit anderen Kindern haben offenbar den Panzer aufgebrochen, der sich um manche kleine Seele gebildet hat. Begegnen, das geht ganz leicht: „Im Schwimmbad sind sie sofort mit anderen Kindern in Kontakt gekommen, auch wenn sie sich nicht verständigen konnten“sagt Elena Larina, „aber Kinder sind einfach kommunikativ“. Worte sind nicht immer wichtig, doch auf lange Sicht hilfreich. Deshalb bekommen die Betreuerinnen und Betreuer wieder zu hören, dass die Buben und Mädchen nun Englisch oder Deutsch lernen wollen, um sich besser verständigen zu können. Den Kontakt in den Westen möchten sie nicht abreißen lassen.
Sie haben hier erlebt, dass Erwachsene deutlich offener sein können, als sie es gewohnt sind. Sie haben im Legoland verblüfft festgestellt, wie viele ältere Kinder mit Behinderung in Deutschland leben. Lelna Larina: „In der Ukraine werden sie nicht so gut betreut wie hier und sterben früh.“In Ettenbeuren hätten die Kinder regelrecht aufgeatmet und die ungewohnte Freiheit genossen. „Hier fühlten sie sich herzlich willkommen.“Gerne hätte die kleine Gruppe, zu der auch Pädagogen und Therapeuten gehören, mit Gruppen aus dem Ort etwas organisiert, doch das klappte nicht: Ferienzeit. Und: Trotz McDonald’s, Cornflakes und Nutella wollten sie eine Stück Heimat nicht missen: Auf ausdrücklichen Wunsch der Kinder wurde am Donnerstag Borschtsch gekocht.