Mittelschwaebische Nachrichten
Ein liebenswertes Ungeheuer
Als Stürmer war Horst Hrubesch wegen seiner Kopfbälle gefürchtet. Als Trainer der Olympia-Auswahl war er verehrt. Jetzt hat er seinen Stuhl geräumt
Vor einigen Jahren begann jedes dritte Fußballer-Interview mit „Ich sag mal so“, wahlweise regional eingefärbt auch „Ich sach ma so“. Bekanntester Vertreter der „Ich-sach-ma-soFraktion“war Andy Brehme, Schütze des deutschen WM-Siegtreffers 1990. Sofort dahinter kam Horst „Hotte“Hrubesch. Was Brehme heute treibt, lässt sich nicht sagen. Was Hrubesch bis Samstagnacht gemacht hat, weiß die halbe Welt. Der 65-Jährige stand als Trainer der deutschen Olympia-Auswahl im Finale von Maracanã ein letztes Mal am Spielfeldrand.
Zur Feier des Anlasses trug er ein schwarzes T-Shirt, das ihm über den Bauch hing. Selten war Hrubesch so gut gekleidet. Wozu sich auch besser anziehen? Alles, was Hrubesch in seinem Leben angefangen hat, geriet zur Arbeit. Auch in Maracanã rann ihm der Schweiß aus den nassen Haaren.
Hrubesch kletterte als gelernter Dachdecker noch auf Häusern herum, während er nebenbei Handball und Fußball spielte. Mit 24 landete er bei Rot-Weiß Essen. Ein Kleiderschrank, der jedes Kopfballduell gewann. „Manni Banane, ich Kopf – Tor“, skizzierte er sein Spiel, als Manfred Kaltz ihm beim Hamburger SV die Bälle servierte. „KopfballUngeheuer“taufte ihn die Branche damals. So ist er Nationalspieler und 1980 Europameister geworden.
Das Kantige hat er in sein Trainerleben mitgenommen. Es wurde keine große Karriere. Tirol, Rostock, Dresden, Wien, Samsunspor – kurze Stationen. Kerle wie Hrubesch landen irgendwann beim Deutschen Fußball-Bund. Im Mutterhaus versammeln sich Trainer, die nicht mehr vom FC Bayern träumen, die einen festen Arbeitsplatz schätzen, zu denen der Fußball-Nachwuchs dennoch aufschaut. Typen wie Hrubesch, die dem aufgeregten Fußball-Betrieb mit der Gelassenheit des leidenschaftlichen Anglers begegnen, der es in der Disziplin des privaten Dorschfangs zum gefragten Buchautor gebracht hat. „Horst ist einfach ein Mensch. Er kommt bei den Jungs gut an, ist immer ehrlich zu ihnen, auch wenn das dann nicht jeder in dem Moment gerne hört. Er sagt klare Worte, nimmt einen dann aber auch wieder in den Arm“, hat Hansi Flick, viele Jahre Löw-Assistent, Hrubeschs Wesen nach dem verlorenen Finale in Rio zusammengefasst.
Den verheirateten Vater zweier Söhne haben die Auftritte seiner Jungs in Rio und die abschließende Silbermedaille für die Mannschaft ein wenig mit den Härten versöhnt, die ein Kopfball-Ungeheuer und Fußballmann alter Schule im Kreis der Konzept-Trainer erlebt. „Ich sach ma“, hat Hrubesch Samstagnacht gesagt, „ich bin mein Leben lang infrage gestellt worden, aber es hat immer gereicht.“Er hofft, dass der DFB noch einen Job für ihn findet. Jetzt aber geht „Hotte“erst einmal angeln. Anton Schwankhart