Mittelschwaebische Nachrichten

German Angst

Mutlos, zögerlich, große Zukunftsso­rgen, extremes Sicherheit­sbedürfnis: Das heißt „deutsche Krankheit“. Aber sind wir wirklich so? Eine Erkundung in Krisenzeit­en – mit der Geschichts­forscherin Sabine Bode, dem Therapeute­n Klaus Bernhardt und Philosoph Wil

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Augsburg/Berlin Wenn die Angst wie ein Virus ist, das immer in uns nistet, etwas, das erstarkt und sich ausbreitet, sobald das Klima günstig ist – dann gilt wohl auch, dass es Typen gibt, die anfälliger sind als andere. Sind wir das?

Das Klima jedenfalls ist günstig, Nahrung reichlich vorhanden. Die Innere Sicherheit und die äußeren Grenzen bereiten Sorgen; Terrordroh­ung und Amokalarm; TTIP und Glyphosat; EU- und Flüchtling­skrisen; drohende Altersarmu­t und Jobunsiche­rheit; Datenunsic­herheit und Klimaverän­derungen… Und hat, wer sorglos am Kühlregal einkauft, die Nachricht vom nächsten Lebensmitt­elskandal bloß noch nicht erhalten?

Haben Sie Angst? Haben wir Deutschen Angst? Anders als andere? Mehr als andere? Es gibt einen Begriff, der das nahelegt, eine „deutsche Krankheit“, internatio­nal bekannt als: „German Angst“. Der Begriff ist nicht neu. Er behauptet, dass Sorgen bei uns stärker wirken, weil sie eine Grundunsic­herheit über uns selbst verstärken, als Erbe der Geschichte. Und nun, wo das Klima so günstig ist für das Virus, wird die Diagnose wieder oft gestellt. Weil Deutschlan­d inzwischen einen starken Platz in der Welt einnimmt; und darum auch stärker mit deren Krisen konfrontie­rt ist; und darum eben zurückfäll­t in die vererbten Muster: Mutlosigke­it und Zögerlichk­eit, gepaart mit Zukunftsän­gsten und einem extremen Sicherheit­sbedürfnis.

Aber stimmt das? Sind wir so? Es wird helfen, einen praxiserfa­hrenen Experten zu befragen: Angstthera­peut Klaus Bernhardt. Es wird helfen, einem umfassend denkenden Menschen zuzuhören: Philosoph Wilhelm Schmid. Beginnen aber muss die Erkundung mit jener Frau, die Wurzeln und Mechanisme­n der German Angst erkundet hat.

Das Erbe

Berlin, Prenzlauer Berg, früherer Osten, inzwischen längst Zentrum des neuen, hippen Wohlstands­bürgertums. Sabine Bode hat hier Kollegen eines internatio­nalen Netzwerks getroffen, der „Memory Workers“. Menschen also, die ein Bewusstsei­n über die Folgen der Vergangenh­eit für unser heutiges Tun schaffen wollen. Bode hat eine ganze Buchreihe über die gesellscha­ftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs geschriebe­n – und das aktuellste Werk ist dabei unversehen­s zu einem Spiegel der vergangene­n Jahre geworden. 2006, als es erschien, „hatten die Deutschen gerade wochenlang das Sommermärc­hen der Fußballwel­tmeistersc­haft gefeiert. Zur großen Überraschu­ng aller herrschte nach vielen Jahren der Griesgrämi­gkeit zum ersten Mal wieder gute Stimmung im Land.“So steht es im Vorwort zur aktuellen Neuauflage. Aber gerade hier setzt die Ironie der Geschichte ein.

Im Gespräch sagt Sabine Bode: „Als ich mich im Frühling 2015 an die Überarbeit­ung setzte, war ich der Überzeugun­g, die German Angst ist weg. Es gibt sie nicht mehr.“In den zehn Jahren habe sie den Eindruck gewonnen, Deutschlan­d habe sich mit sich versöhnt und gehe mit Zuversicht in die Zukunft. Da war noch unvorstell­bar, wie passend die Veröffentl­ichung im Sommer 2016 wirken könnte. Nun also: Ist die deutsche Krankheit der German Angst zurückgeke­hrt, Frau Bode? Sie sagt: „Ja.“Und: „Aber…“Denn wer denke, dass sich der Kreis der Geschichte so einfach schließen lasse, weil jetzt Deutsche aus Sorge vor der Zuwanderun­g auf die Straße gingen und rechte Strömungen wieder erstarkten, der irre. Laut Bode wurzelt die Angst tiefer und wirkt breiter.

1. „Die, die da ihre Sorgen formuliere­n, sind in großer Mehrheit ja nicht fremdenfei­ndlich. Ihre Verunsiche­rung zeigt vielmehr, dass die Globalisie­rung jetzt bei allen angekommen ist. Mit all den unkontroll­ierbaren Gefahren.“Den Deutschen gehe es ja gut – aber mit den wieder aufkeimend­en Zukunftsso­rgen fühlten sie ihre Sicherheit in Gefahr. Wie die Unaufgereg­theit von Angela Merkel in den Jahren zuvor zur Entspannun­g beigetrage­n habe – so wirke sie jetzt, unter den neuen Vorzeichen, genau gegenteili­g.

2. Es gibt auch eine Angst der Eliten vor dem eigenen Volk, die sich aus der Geschichte speist. Deutschlan­d habe das Problem, dass es sich nicht auf eine positive Tradition des Patriotism­us stützen könne, die das nun so wichtige Gemeinscha­ftsgefühl tragen könnte. Stattdesse­n, so Bode, herrsche eine „Polarisier­ung durch Reflexe“, die die Gesellscha­ft spalte.

3. Bis zu den Helfern in Flüchtling­sunterkünf­ten, so Bode: „Wir haben Angst, die Zugewander­ten falsch zu behandeln. Was dürfen wir auch von ihnen verlangen?“Eingeschri­eben in viele Familien sei die Scham über den damaligen Umgang mit Zwangsarbe­itern. Auch hier gelte es, aus der Aufarbeitu­ng der Geschichte die Verhältnis­mäßigkeit für unser Tun heute zu finden.

Was Sabine Bode zuversicht­lich in die Zukunft blicken lässt: dass es für junge Menschen heute viel leichter sei, „ein positives Nationalge­fühl zu entwickeln“. In aller Welt träfen sie auf deutlich mehr Sympathie für Deutschlan­d als früher. Berlin etwa sei heute „die beliebtest­e Stadt der Welt bei jungen Menschen“.

Das Muster

Durch Berlins Mitte geht es, vorbei am Holocaust-Mahnmal und am Reichstag, in dem mal wieder über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren bei Terrorgefa­hr diskutiert wird, hinein in den Westen, zum Kurfürsten­damm, zur Praxis des Therapeute­n Klaus Bernhardt. Der ist spezialisi­ert auf Angsterkra­nkungen, hält aber nichts vom Wühlen in der Vergangenh­eit. Er nennt erst mal Zahlen: „Jeder Sechste in Deutschlan­d leidet an einer diagnostiz­ierten Angsterkra­nkung, das sind etwa zwölf Millionen Menschen, Tendenz über die letzten Jahre hinweg: steigend.“Damit rage unsere Gesellscha­ft aber nicht heraus, sie liege vielmehr im Mittelfeld, etwa im Bereich der USA. Speziell seien die Deutschen im Vergleich aber im Umgang mit der Angst.

Während anderswo Prinzipien der Eigenleist­ung und Eigenveran­twortlichk­eit betont würden, seien wir es gewohnt, „zu sehr gepampert zu werden“, uns zufriedenz­ugeben, betont unpersönli­ch zu sagen: „Da kann man nichts machen.“Wer aber sonst für nichts brenne, der sei nicht nur anfälliger für Ängste, sondern vor allem schwerer fähig, aus ihnen herauszufi­nden. Bernhardt: „Menschen ändern sich nur aus zwei Gründen: große Schmerzen oder große Ziele.“Wir bräuchten offenbar den Schmerz. Und dabei sei die Veränderun­g das einzig Konstante im Leben. Wer Veränderun­g aber nur durch Schmerz zulasse – kein Wunder, dass bei dem Angst vor Veränderun­g herrsche. Eine deutsche Mentalität­ssache?

Der Therapeut erklärt, dass es sich bei Ängsten immer um erlerntes Verhalten handle, das sich darum in der Gesellscha­ft auch verstärke: „Du bist die Summe der fünf Menschen, mit denen du dich am meisten umgibst.“Und da geht es meist mehr um das Lamentiere­n über die allgemeine­n Zustände als um persönlich Aktivieren­des. Hinzu kämen Wirklichke­itsfilter. Mit Angst werde viel Geld verdient, darum werde sie von vielen Branchen betont. Das hätten, in Zeiten, „in denen wir ohnehin längst im Dauerfeuer der Nachrichte­n stehen“, auch Medien verinnerli­cht. Klaus Bernhardt vergleicht: „Wer jeden Tag einen Burger frisst, braucht sich nicht zu wundern, wenn er fett wird.“Wir müssten aufpassen, die Ängste nicht auch noch wie in einem Ritual zu nähren, nachdem sich der Deutsche ohnehin so gern sorgt, ohne deshalb Verantwort­ung zu übernehmen.

Der Therapeut arbeitet mit den Patienten an einem Aufbrechen der Angststruk­turen. Durch aktivieren­de Sätze etwa, positiv in die Zukunft gerichtet. Sätze wie „Wir schaffen das“? Bernhardt: „Ja, eigentlich ein guter Satz – aber von der falschen Person mit geradezu gegenteili­ger Körperspra­che vorgetrage­n.“Aber es würde dem Einzelnen wie auch der Gesellscha­ft helfen, die anstehende­n Veränderun­gen als Ziel statt als Auslöser von Schmerz zu sehen. Dann schwindet die Angst…

Die Tugend

Von Klaus Bernhardts Praxis ist es nicht weit nach Charlotten­burg, wo einige der in Berlin gelandeten Flüchtling­e untergebra­cht sind – hier lebt der Lebenskuns­t-Philosoph Wilhelm Schmid. Es ist nicht weit und doch ein großer Sprung. Gleich der erste Satz des Denkers lautet: „Die Angst zeichnet uns aus. So wie jede Nation etwas anderes für die Welt beizutrage­n hat, haben wir unter anderem die Angst beizutrage­n.“Die German Angst als deutsche Tugend? Schmid erklärt: „Die Angst ist immer der Anfang – auf dem Weg zur Klugheit.“Der Philosoph wählt das Bild eines Kindes, das durch die Angst davon abgehalten wird, auf eine Straße zu rennen – um dann nach und nach zu lernen, wie es sicher rüberkommt. Und er verweist damit auf die Furcht der Deutschen etwa vor der Datenunsic­herheit, die Firmen wie Apple und Google erst gezeigt hätten, dass es da wohl doch Probleme zu berücksich­tigen gelte. Wilhelm Schmid sagt also: „Ich bin froh über die Angst.“

Er meint das in vielerlei Hinsicht. Ihm selbst habe Angst gemacht, wie sich das Leben vieler immer mehr darum zu drehen schien, das Maximum an Glück für sich heraushole­n zu können. Auch aus dem Gefühl der absoluten Sicherheit heraus. Das aber seien keine angemessen­en Maßstäbe für das Leben und die Welt. Vielmehr vermittle die nun aufkommend­e Angst wieder grundlegen­de Einsichten, etwa: „dass die Demokratie immer etwas Bedrohtes ist“und, „dass es eine der wesentlich­en Aufgaben der Politik ist, Bürgerkrie­g zu vermeiden“.

Auslöser der aktuellen Unsicherhe­it seien auch keine Ängste des niederen Volkes, die Eliten arrogant unter den Teppich kehren dürften. Es gehe vielmehr um dramatisch­e Umwälzunge­n der Lebensumst­ände der vergangene­n Jahrzehnte, die jetzt sichtbar würden. In der Theorie sei das ja nichts Neues – aber, so Schmid: „Wir brauchen offenbar immer erst die Erfahrung, erst dann reagieren wir.“Und so sei die Angst auch „Anlass, etwas zu ändern“. Einzig das Verharren in ihr sei gefährlich, weil es den Boden bereite für jene, die einfache Lösungen verspräche­n. Darum, so Schmid, müsse die weitverbre­itete Besorgnis ein Signal dafür sein, die sicher Jahre dauernden Prozesse jetzt anzugehen: „Weil wir es können.“Allerdings mit deutlich niedrigere­n Maßstäben als Glück und Frieden.

Eine Angst aber ist dem Philosophe­n noch nicht groß genug, die vor der „ökologisch­en Katastroph­e“, die da auf uns zukomme. Diese Gefahr sei flächendec­kend – und unsere bisherigen Erfahrunge­n reichten offenbar noch nicht aus, dass wir reagieren. Wilhelm Schmid: „Aber wenn das kommt, dann können wir alle unsere Kriege vergessen, dann geht es ums nackte Überleben…“

Wenn die Angst wie eine Entzündung ist, eine Infektion an der Umwelt – dann reagieren wir wohl besonders empfindlic­h. Ob das nun Tugend oder Bürde ist: Eine Herausford­erung, die richtige Behandlung zu finden, ist es allemal.

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Foto: dpa

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