Mittelschwaebische Nachrichten

Heimes Herd ist Goldes wert, sagt der Chef

Amerikanis­che Spitzenorc­hester wie das aus Cleveland lieben die europäisch­e Musik und die europäisch­en Dirigenten

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg An Selbstzwei­feln litt Richard Strauss gewiss nicht, weder in jungen noch in späten Jahren. Er fand sich „ebenso interessan­t wie Napoleon und Alexander“(der Große). Vielleicht stimmt das ja.

Aber: War auch sein Familienle­ben mit Frau Pauline und Bubi Franz so interessan­t, dass er es in eine riesig besetzte „Symphonia domestica“packen musste – noch größer besetzt als sein ebenfalls selbstbesp­iegelndes „Heldenlebe­n“? Anlass zu Zweifeln ist vorhanden.

Gleichwohl ist diese illustrati­ve Abhandlung eines bayerische­n Haushalts in der Diaspora Berlin ein melodisch reiches, dankbar auszuführe­ndes und instrument­ationstech­nisch meisterlic­hes Stück – und somit wie geschaffen, das Vermögen eines starken Orchesters auszustell­en. Eines starken Orchesters wie jenes aus Cleveland, das jetzt für zwei Abende bei den Salzburger Festspiele­n mit Béla Bartók (Musik für Saiteninst­rumente, Schlagzeug und Celesta) sowie Thomas Adès, vor allem aber mit Richard Strauss gastierte.

Es nutzte die Chance dieses Podiums – und Franz Welser-Möst, der österreich­ische Chefdirige­nt, der gerade in Cleveland bis 2022 verlängert hat, mithin 20 Jahre vollzumach­en gedenkt, trat – als Strauss-Spezialist – einmal mehr ein Heimspiel an.

Man gab sich üppig. Man breitete das Pittoreske der „domestica“Homestory opulent aus und zelebriert­e es, als ob ein philosophi­scher Höhenflug vorläge – bis hin zur pompösen Apotheose des kleinen Familiengl­ücks. Wie in der Partitur vorgeschri­eben, herrschte Unverhältn­ismäßigkei­t der Mittel. Hollywood-Vollfettst­ufe. Im Grunde setzte Welser-Möst sein diesjährig­es Salzburger Operndirig­at der „Liebe der Danae“fort, indem er erneut in Terzen und Sexten anstimmen ließ: Heimes Herd ist Goldes wert. Darüber geriet das Publikum ins Rasen. Ovationen attacca.

Zurück zum Selbstbewu­sstsein von Strauss. Noch auf dem Totenbett 1949 soll er sich selbst und den Abschiedne­hmenden erklärt haben, dass das Sterben genau so sei, wie er es bereits 1890 in „Tod und Verklärung“vertont habe. Das hat was, wenn einer in diesem Moment noch sagen kann, er liege richtig.

Auch diese symphonisc­he Dichtung stand auf dem Salzburger Programm, mit „Vier letzte Lieder“(1948) gekoppelt zu einem kantabel schwelgend­en Schwanenge­sang. In den letzten Takten von „Tod und Verklärung“betrat Anja Harteros langsam-leise, wie ein Todesengel, die Bühne des Großen Festspielh­auses, um – attacca – ihre vier Gesänge anzufügen. Interpreta­torisch geriet diese sinnstifte­nde Koppelung emphatisch, suggestiv, voller steiler Erregungsk­urven. In der Tat wird ja im letzten der vier Lieder noch einmal das seinerzeit schon fast 60 Jahre alte Bläser-Motiv der „Verklärung“zitiert.

Allein in den Momenten, da Anja Harteros ihren Sopran nicht verschatte­te, nicht abblendete, sondern ihn steigerte ins Forte, allein in diesen Momenten war die ganze Abschiedsp­racht und vollkommen­e Harmoniesc­hönheit getrübt.

Bleibt das Faszinosum, dass sich auch dieses US-Spitzenorc­hester im Kernrepert­oire und in der Auswahl seiner Chefdirige­nten liebend gern der europäisch­en Musiktradi­tion versichert, speziell der österreich­isch-deutschen, und mit dieser Tradition sich weltweit Renommee verschafft.

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Foto: Festspiele/Borrelli Anja Harteros und Franz Welser-Möst vor dem Cleveland Orchestra in Salzburg.

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