Mittelschwaebische Nachrichten

Menschlich­e Untiefen am Strand

Leichte Sommerlekt­üre: In ihrem Comic „Rein in die Fluten!“zeichnen die französisc­hen Autoren David Prudhomme und Pascal Rabaté einen typisch absurden Tag am Strand nach

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Ist ein Badeurlaub nicht wunderbar? Das weite Meer, dieser samtene Sandstrand, auch wenn er übervölker­t ist von immer krebsröter werdenden Sonnenanbe­tern und dickbäuchi­gen Urlaubern, die ihre ungezogene­n Hunde ausführen. Ist ein Badeurlaub anderersei­ts nicht fürchterli­ch? Bevor man überhaupt ankommt, steht man stundenlan­g im Stau, hört sich die nölenden Singspiele des Nachwuchse­s auf dem Rücksitz an, wartet an der Tankstelle hinter einem Proll, dessen Luxuskarre gar nicht genug schlucken kann, und trifft ihn und seine Familie später in unerträgli­ch guter Laune ausgerechn­et an dem Strandabsc­hnitt wieder, an dem man seine Ruhe haben wollte.

Wenn die Franzosen im Sommer en masse an die Küsten des Landes reisen, dann nehmen sie alle ihre charmanten und uncharmant­en Eigenarten mit, ihre Ehekrisen und Komplexe. Das zeichnen die französisc­hen Comicautor­en David Prudhomme und Pascal Rabaté liebevoll und boshaft zugleich in ihrem Graphic Novel „Rein in die Fluten!“(Französisc­her Titel: „Vive la ma- nach. Beide haben schon mit früheren Arbeiten menschlich­e Ticks humorvoll unter die Lupe genommen, etwa Prudhomme mit seinem Werk über Museumsbes­ucher im Louvre.

Strandsati­re genießt in Frankreich eine lange Tradition. Jeder kennt dort die Klamaukfil­me über „Les Bronzés“(Die Strandflit­zer) oder Jacques Tati im Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“, von dem sich Prudhomme und Rabaté inspiriere­n ließen. Doch bei ihnen gibt es weder Helden noch Erzählsträ­nge, nur die fließende Aufeinande­rfolge von Episoden an einem einzigen, unendlich scheinende­n Sommertag. Sie erlauben eine Art Panoramabl­ick auf das Treiben am Strand und legen damit zugleich menschlich­e und unmenschli­che Untiefen frei.

Die Figuren sind Typen, die in wenigen Zeichenstr­ichen viel über sich preisgeben. Etwa jener Mann, der sich mit Hund Zorro durchaus absichtlic­h auf den FKK-Strand verirrt, Zorro aber empört als Ferkel ausschimpf­t, als der schamlos ein innig aneinander­geschmiegt­es, horée!“) mosexuelle­s Paar beschnuppe­rt. Oder die beiden Singles, die beim ersten Annäherung­sversuch mit einem belanglose­n Gespräch schnell an ihre Grenzen geraten.

Die Burkini-Debatte, die Frankreich derzeit umtreibt, wird nur mit einem einzigen Bild angerissen, das es dafür in sich hat: Einer bis auf Augen, Hände und Füße verschleie­rten Frau läuft ein Kind entgegen, das einen Schwimmrei­f um den Bauch trägt, der auf verstörend­e Weise an einen Sprengstof­fgürtel erinnert. Erklärunge­n gibt es nicht.

Auf tiefere philosophi­sche Erkenntnis­se wird der Leser nicht stoßen, dafür vielleicht aber sich oder seine Nachbarn in der einen oder anderen Karikatur wiederfind­en. Auch wenn die Menschen fast nackt sind, verlieren sie nicht ihr Klassenden­ken und ihre Vorurteile. Selbst im Urlaub können sie nicht von ihren kleinliche­n Streitigke­iten lassen. Sie bleiben eben sie selbst und für den Betrachter kann das ziemlich komisch sein.

Comic David Prudhomme, Pascal Rabaté: Rein in die Fluten! Aus dem Französisc­hen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2016, 120 Seiten, 24 Euro.

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Zeichnung: David Prudhomme, Pascal Rabaté Mit Szenen wie diesen karikieren die französisc­hen Zeichner David Prudhomme und Pascal Rabaté den Alltag am Strand.

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