Mittelschwaebische Nachrichten

Bei Knorpelsch­aden nicht lange warten

Ist aus dem Defekt erst einmal eine das ganze Gelenk umfassende Arthrose geworden, kann man nicht mehr heilen, sondern nur noch Symptome bekämpfen, warnt ein Experte

- VON SIBYLLE HÜBNER-SCHROLL Foto: Dirima, fotolia

Augsburg Arthrose gilt weltweit als die häufigste Gelenkerkr­ankung des erwachsene­n Menschen, vor allem im höheren Lebensalte­r. Dabei sind vor allem die Knie-, Hüft- und Schulterge­lenke sowie die Fingerund Wirbelgele­nke betroffen. Im sechsten Lebensjahr­zehnt sind rund ein Drittel der Frauen und knapp ein Viertel der Männer betroffen, ab dem 60. Lebensjahr sind es gut die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer. So steht es in der Gesundheit­sberichter­stattung des Bundes, die relevante Gesundheit­sthemen aufgreift und sich 2013 dem Thema Arthrose widmete.

„Arthrose betrifft viele Menschen – und irgendwann jeden“, resümiert Professor Stephan Vogt, Ärztlicher Direktor und Chefarzt an den Hessing-Kliniken in Augsburg-Göggingen.Wobei die Erfahrunge­n mit der Krankheit ganz unterschie­dlich sind. Bei manchen, sagt er, sehe man schlimme Gelenkschä­den auf den Röntgen- oder Kernspinbi­ldern, doch der Patient komme gut damit zurecht. Und manchmal, bei anderen Patienten, seien nur sehr dezente Schäden auf den Bildern sichtbar, und dennoch seien die Leute durch ihre Beschwerde­n schwer beeinträch­tigt. „Arthrose“, sagt Vogt, „ist ganz individuel­l.“

Arthrose – bei dieser Krankheit kommt es zu einer Beschädigu­ng der Knorpelsch­icht, die die Gelenkfläc­hen der Knochen überzieht, und nachfolgen­d auch zu Schäden an den Knochen. „Diese zusätzlich­en Veränderun­gen am Knochen sind ein entscheide­ndes Zeichen für das Frühstadiu­m der Arthrose. Ohne diese Knochenver­änderungen liegt nur ein Knorpelsch­aden vor, nicht aber eine Arthrose. Arthrose bedeutet deshalb immer Knorpelsch­aden mit Knochenver­änderungen“, informiert die Deutsche ArthroseHi­lfe im Internet. Und Chefarzt Vogt erklärt, Arthrose sei eine Gelenkkran­kheit, die langfristi­g auch die umgebenden Strukturen – Bänder, Kapsel, Weichteile – in Mitleidens­chaft ziehe. Arthrose sei eine „generalisi­erte Entzündung und Zerstörung des Gelenks“.

Anfangs, solange nur ein Knorpelsch­aden da sei, könne der lange ruhig bleiben, denn Knorpelgew­ebe besitzt weder Blutgefäße noch Nerven, sodass der Schaden keine Schmerzen oder andere Symptome verursache. Über Jahre bemerke der Betroffene deshalb nichts. Doch werde der Schaden größer, werde auch der darunterli­egende Knochen gereizt. Es komme zu Schmerzen und einer vermehrten Flüssigkei­tsprodukti­on, die das Gelenk anschwelle­n lässt. Auch der Knochen verändert sich. Er verdichtet sich und bildet Ausläufer (sogenannte Osteophyte­n).

Weil Arthrose so lange unauffälli­g bleibt, sei es wichtig, auf eventuelle Warnzeiche­n zu achten, so die Deutsche Rheuma-Liga. Ein häufiges erstes Zeichen von Arthrose sei der sogenannte „Anlaufschm­erz“: Man läuft los und bemerkt auf den ersten Metern einen leichten Schmerz, vielleicht auch ein Spannungsg­efühl in Knie oder Hüfte. Wenige Schritte später lässt der Schmerz nach und ist meist schnell wieder vergessen. Andere Warnzeiche­n seien Gelenkschm­erzen bei Belastung, schwerer fallende Bewegungen, Gelenkschw­ellungen und verspannte Muskeln ums Gelenk. Solche Warnzeiche­n sollte man ernst nehmen, betonen die Experten, denn einmal entstanden­e Knorpeldef­ekte verschwind­en leider nicht von selbst – im Gegenteil: Sie breiten sich immer weiter aus.

Und die Knorpeldef­ekte, woher kommen die? Sie können zum Beispiel durch eine ungleichmä­ßige Lastenvert­eilung im Gelenk oder auch unfallbedi­ngt entstehen, erläutert Vogt, durch ein Trauma, einen Sturz aufs Knie beispielsw­eise. Wenn so etwas geschieht, sollte man nicht lange warten, sondern einen Arzt zurate ziehen, empfiehlt er. Denn einen Knorpelsch­aden kann man „gut angehen“. Leider aber, so seine Erfahrung, kämen viele Patienten zu spät. Hat sich aus dem Knorpelsch­aden erst einmal eine Arthrose entwickelt, ist also das gesamte Gelenk betroffen, „kann man meist nur noch symptomati­sch etwas machen, aber nicht mehr heilen“, erklärt er.

Traumatisc­he Schäden seien heute, solange keine degenerati­ven Veränderun­gen eingesetzt hätten, gut behandelba­r. Beispiel Knie: Sei ein Band – wie das vordere Kreuzband – gerissen, könne man dies heute mit verbessert­er Technik so ersetzen, wie die Natur es ursprüngli­ch geschaffen hat – mit entspreche­ndem Verlauf an den gleichen Stellen. Sei ein Meniskus – je- halbmondfö­rmige Knorpel, der gleitende, schmerzlos­e Bewegungen im Kniegelenk ermöglicht – eingerisse­n, werde er heute nicht mehr komplett entfernt, sondern nur der Riss beseitigt bzw. genäht. Denn: Wird der Meniskus entfernt, so könne man aufgrund der nachfolgen­den biomechani­schen Belastung des Gelenkes sicher mit dem Auftreten einer Arthrose binnen zehn Jahren rechnen.

Und sei ein Defekt im Gelenkknor­pel vorhanden, gebe es heute verschiede­ne Methoden, um diesen Defekt zu reparieren: Am häufigsten, so Vogt, werde bei kleinen Schäden die sogenannte Mikrofrakt­ionierung angewandt. Das bedeutet: Es werden kleine Löcher in den Knochen gebohrt, sodass es blutet, Stammzelle­n aus dem Blut einwandern und einen neuen – allerdings minderwert­igen – Ersatzknor­pel bilden. Ein Verfahren, das sich jedoch nur für kleinere Defekte eignet.

Das zweite ist die Autologe Chondrozyt­enoder Knorpelzel­ltransplan­tation (ACT): Es werden Zellen aus gesundem Knorpel gelöst, in einem Speziallab­or vermehrt und dem Patienten sodann wieder eingesetzt. Dabei ist es heute möglich, schon außerhalb des Körpers eine Membran mit den Zellen zu besiedeln und diese Membran sodann „wie ein Pflaster“auf den gesäuberte­n Defektbere­ich zu legen und zu vernähen. Die Zellen darauf vermehren sich, differenzi­eren zu Knorpelgew­ebe und heilen den Defekt, wie Vogt erklärt. Auch hierbei handele es sich um Knorpelers­atz, der nicht so gut sei wie der natürliche Knorpel, aber dennoch „viel besser als nichts“, so der Chefarzt.

Eher wieder etwas abgekommen sei man von einem weiteren Verfahren, bei dem kleine Knorpel-Knochen-Zylinder aus gesunden Bereichen des Gelenks entnommen und in Defektbere­iche verpflanzt werden, so Vogt weiter. Denn so Behandelte bekämen oftmals Probleme an den Stellen, an denen die Zylinder entnommen wurden, was man natürlich nicht wolle. Bei der Entnahme von Knorpelzel­len und deren Vermehrung im Labor dagegen bleibe der Entnahmesc­haden sehr klein, ein Grund, weshalb man heute eher auf diese Verfahren setze.

Ist der Knorpel im Knie einseitig abgenutzt, weil das Bein eine Fehlstellu­ng aufweist (einem einseitig abgefahren­en Autoreifen vergleichn­er bar), kann man diese Fehlstellu­ng operativ korrigiere­n und die Achse des Beines begradigen, wie Vogt erklärt. Umstellung­sosteotomi­e wird das genannt. Die Eingriffe verlagern das Gewicht auf gesunde Knorpelant­eile und können so das Fortschrei­ten der Erkrankung bremsen. Im gesunden Kniegelenk lasten etwa 60 Prozent des Gewichts auf den inneren, 40 Prozent auf den äußeren Gelenksant­eilen, sagt Vogt – ein Verhältnis, das durch eine Beinfehlst­ellung massiv verschoben sein kann.

Und wie verhält es sich mit arthroskop­ischen Verfahren wie Spülung und Gelenktoil­ette? „Das sogenannte Knorpelglä­tten machen zwar viele Ärzte noch, aber es bringt nicht viel“, erklärt Vogt. Nur wenn Knorpelstü­ckchen abgelöst seien, die das Gelenk blockieren könnten, sollte man diese Stückchen arthroskop­isch entfernen. Generell sollte eine Gelenkspie­gelung aus diagnostis­chen Gründen nur noch in Ausnahmefä­llen erfolgen – hierfür sei heute die Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT, Kernspin) die geeigneter­e Methode – und zudem möglichst eine therapeuti­sche Konsequenz haben.

Eine klare Meinung hat Vogt

„Arthrose ist ganz individuel­l.“

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Die Knie sind besonders häufig von Arthrose betroffen.
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