Mittelschwaebische Nachrichten

Der Burkini darf zurück an den Strand

Wochenlang streiten die Franzosen erbittert über den Vorstoß einiger Badeorte. Dann fällt das Oberste Verwaltung­sgericht ein Grundsatzu­rteil. Erledigt ist die Sache damit aber noch lange nicht

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Paris Für die Gegner der BurkiniVer­bote in Frankreich ist es ein Erfolg auf der ganzen Linie. Mit juristisch­er Nüchternhe­it nimmt der Pariser Staatsrat die umstritten­e Verordnung des Mittelmeer­ortes Villeneuve-Loubet auseinande­r. Es gebe keine Belege dafür, dass die Ganzkörper-Badeanzüge für Musliminne­n die öffentlich­e Ordnung an den Stränden gefährden, heißt es in der Entscheidu­ng des Obersten Verwaltung­sgerichts. Ein Präzedenzf­all auch für andere Gemeinden, so viel ist klar.

Doch die verkrampft­e Debatte dürfte das nicht beenden. Der Bürgermeis­ter des Ortes in der Nähe von Nizza tritt schnell vor die Kameras: Die Entscheidu­ng des Staatsrats werde die Spannungen weiter anheizen, warnt Lionnel Luca. „Die Islamisier­ung in unserem Land schreitet voran.“Luca und einige andere französisc­he Bürgermeis­ter wollen an dem Verbot festhalten.

Auf der anderen Seite spricht der Leiter des Kollektivs gegen Islamfeind­lichkeit in Frankreich, Marwan Muhammad, von einem „Pyrrhus-Sieg“. Er betont: „Der Schaden ist angerichte­t.“

Was ist los in Frankreich, das sich selbst gerne als „Vaterland der bezeichnet? Ein Stück Bademode ist zum Symbol für die brisante Frage nach der französisc­hen Identität geworden. Und für das schwierige Verhältnis des verunsiche­rten Landes zu seinen Muslimen, der zweitgrößt­en Glaubensge­meinschaft. Die einen halten den Burkini für ein Symptom der Ausbreitun­g eines radikalen Islamverst­ändnisses. Ein Affront für die Re- eine Art Kulturkamp­f am Strand. Die anderen sehen die Debatte als Freifahrts­chein für rassistisc­hes Gedankengu­t und als Stigmatisi­erung aller Muslime.

Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der nach den Terroransc­hlägen offenbar auf eine polternde Law-andOrder-Kampagne setzt, warnte vor einer „Tyrannei der Minderheit­en“. Auch der sozialisti­sche Premier MaMenschen­rechte“ nuel Valls sieht den Burkini als „Zeichen eines politische­n Islamismus, der darauf abzielt, die Republik im öffentlich­en Raum zurückzudr­ängen“. In der Debatte vermengen sich Verunsiche­rung nach den Terroransc­hlägen, Ressentime­nts und die Tradition einer weitgehend­en Trennung von Kirche und Staat, die seit 1905 Gesetz ist.

Das Thema hat mit der Islampubli­k, debatte in den vergangene­n Jahren neue Brisanz gewonnen, schon mehrfach wurden Gesetze verschärft: Seit 2004 sind auffällige religiöse Symbole und Kleidungss­tücke in öffentlich­en Schulen tabu – was vor allem muslimisch­e Mädchen trifft, die ihr Kopftuch abnehmen müssen. Während der Präsidents­chaft Sarkozys verbot das Land die Vollversch­leierung.

Manche schütteln über die Burkini-Debatte nur den Kopf. „Gibt es keine wichtigere­n Fragen?“, ärgerte sich etwa der frühere Kulturmini­ster und Chef des Pariser Instituts der Arabischen Welt, Jack Lang. Er warnt vor Konsequenz­en: Die Muslime würden durch die ständigen Polemiken gedemütigt.

Doch in acht Monaten wird gewählt, und nach den Terroransc­hlägen ist das Land verunsiche­rt. Bürgerlich­e Rechte und Front National machen schon jetzt deutlich, dass sie mit den Themen Sicherheit und Identität punkten wollen. Eine Reihe von Politikern hat umgehend klargemach­t, dass sie das Non des Staatsrats nicht akzeptiere­n werden: Ein Gesetz soll her, um Burkinis verbieten zu können. Klar ist: Der Burkini-Freispruch ist noch nicht endgültig. Sebastian Kunigkeit, dpa

 ?? Foto: Rolf Haid, dpa ?? Der Ganzkörper-Badeanzug, auch Burkini genannt, soll muslimisch­en Frauen ermögliche­n, trotz Verschleie­rung baden zu gehen. Mehrere Gemeinden in Frankreich hatten den Burkini verboten.
Foto: Rolf Haid, dpa Der Ganzkörper-Badeanzug, auch Burkini genannt, soll muslimisch­en Frauen ermögliche­n, trotz Verschleie­rung baden zu gehen. Mehrere Gemeinden in Frankreich hatten den Burkini verboten.

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