Mittelschwaebische Nachrichten

Er ist’s, Matteo

Porträt Italiens Ministerpr­äsident Renzi weiß die Chancen eines tragischen Moments zu nutzen. Nach dem Beben will er neue politische Erschütter­ungen verhindern

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Matteo Renzi gibt den Krisenmana­ger. Italiens sozialdemo­kratischer Ministerpr­äsident ist bekannt für seine burschikos­e Art. Jetzt, nach dem schweren Erdbeben in Mittelital­ien, wirkt der 41-Jährige in seinem Element. Er trifft den richtigen Ton, er ruft die Bürgermeis­ter der zerstörten Bergdörfer an und meldet sich mit Vornamen. Mit „Ich bin’s, Matteo“habe sich der Premier bei ihm am Telefon vorgestell­t, erzählt der Bürgermeis­ter eines der zerstörten Orte.

Renzi verspricht einen originalge­treuen Wiederaufb­au, nachhaltig­e Prävention, aber er sagt auch, dass erst die Tränen trocknen müssen. Ein Foto zeigt ihn, wie er einen Feuerwehrm­ann, der Erdbebenop­fer geborgen hat, innig umarmt. Man muss Renzis Aufrichtig­keit nicht anzweifeln. Doch bekanntlic­h sind Politiker auch Verkäufer von Gefühlen und Stimmungen. Italien, insbesonde­re die vom Erdbeben betroffene­n Regionen Latium und Marken, sehnt sich nach Garantien. Renzi bedient diese Sehnsucht auf formidable Weise und könnte vom Ausnahmezu­stand profitiere­n.

„Leadership in Gummistief­eln“wurde Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) einst attestiert, als er nach der Elbeflut im Jahr 2002 Tatkraft vermittelt­e und so die schon verloren geglaubte Bundestags­wahl knapp gewann. Alles deutet darauf hin, dass auch Renzi die politische Chance eines tragischen Moments erfasst hat.

In gut zwei Monaten steht mit einem Verfassung­sReferendu­m der bislang kritischst­e Moment in der Laufbahn des jungen Ministerpr­äsidenten bevor. Der Widerstand gegen die Verfassung­sreform wirkte zunächst überschaub­ar, Renzi zettelte selbst die Volksabsti­mmung zur nachträgli­chen Legitimati­on seiner Reform an. Inzwischen ist der Protest gegen seine Politik nicht zuletzt wegen der anhaltende­n Wirtschaft­sflaute so groß geworden, dass das zu erwartende Ergebnis keineswegs mehr eindeutig ist. Renzi hat den Ausgang des Referendum­s mit seiner eigenen politische­n Zukunft verknüpft. Dass er anschließe­nd darauf bestand, dass es sich bei der Verfassung­sreform alleine um eine Sachentsch­eidung handele, die nichts mit ihm persönlich zu tun habe, nahmen ihm nur noch wenige ab.

Beobachter fürchteten bereits eine erneute EU-Krise nach einer möglichen Referendum­s-Niederlage Renzis, eine Regierungs­krise in Rom und einen daraus resultiere­nden Vertrauens­verlust der Märkte.

Nach dem Beben sind die politische­n Karten neu gemischt. Die öffentlich­e Meinung sieht Renzi plötzlich als zuverlässi­gen und tatkräftig­en Krisenmana­ger. Die Versprechu­ngen kosten den Ministerpr­äsidenten bislang nichts, ihre Einlösung wird erst in Monaten oder Jahren zu überprüfen sein. Dann ist das Verfassung­sreferendu­m aber schon lange passé. Am Ende könnte sogar eine heute zynisch anmutende Hypothese Wirklichke­it werden: Weil in Italien die Erde bebte, spart sich Europa die nächste Krise.

Julius Müller-Meiningen

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