Mittelschwaebische Nachrichten
„Import-Priester sind keine Lösung“
Die Zahl der Priesterweihen hat ein Rekordtief erreicht. ZdK-Chef Thomas Sternberg, oberster Vertreter der Katholikenbasis, fordert einen radikalen Kurswechsel – nicht nur beim Zölibat
Herr Sternberg, wann gehen der katholischen Kirche in Deutschland die Priester aus? Thomas Sternberg: Im Grunde genommen sind sie bereits jetzt ausgegangen: Schon jetzt fehlen jüngere Pfarrer, um Pfarreien zu besetzen. Zugleich haben die heutigen Priester einen sehr hohen Altersschnitt. Die Situation wird sich künftig also in drastischer Weise verschärfen.
2015 ließen sich nur 58 Männer zu Priestern weihen, ein Allzeittief. Der Priesterberuf gilt vielen offensichtlich als unattraktiv. Sternberg: Sicherlich erscheint der Beruf gegenwärtig nicht als besonders attraktiv. Die Aussichten für Priester sind schließlich ja, dass ihnen die Führung einer großen Zahl von Gemeinden droht und dass sie klassische, persönliche Seelsorge kaum noch leisten können. Der Zölibat ist beileibe nicht der einzige Grund für den Priestermangel.
Wenn es um das Thema Priestermangel geht, wird dennoch immer über eine Lockerung oder Abschaffung des Zölibats diskutiert. Sternberg: Der Zölibat reduziert die Zahl derer, die sich zum Priestertum berufen fühlen, noch einmal ganz erheblich. Denn der Anteil derjenigen von ihnen, der sich auch zur Ehelosigkeit berufen fühlt, ist offensichtlich überaus klein. Wenn es nicht mehr anders geht, dass wir personell in der Seelsorge ausbluten, und wenn es so ist, dass der Zölibat ein Hindernis darstellt, dann muss er, weil weniger wichtig, gelockert werden.
Glauben Sie an einen möglicherweise bald einsetzenden „Franziskus-Effekt“– also daran, dass der beliebte Papst Männer derart begeistert, dass diese in die Priesterseminare eintreten? Sternberg: Ich erinnere mich gut an einen Satz des damaligen Kölner Kardinals Meisner, der 2004 meinte, wir bekämen volle Priesterseminare, weil der bevorstehende Weltjugendtag in Köln die jungen Leute so begeistern würde. Nein, ich glaube nicht an eher kurzfristige Effekte wie einen Franziskus-Effekt.
Was müsste schnell getan werden, um die beständig sinkenden Priesterzahlen in Deutschland zu stoppen? Sternberg: Aus meiner Sicht spricht erstens nichts dagegen, sogenannte viri probati, bewährte Männer, zu Priestern zu weihen. Wir haben jetzt schon sehr gute und engagierte Diakone – das sind verheiratete Männer. Warum in aller Welt sollen sie nicht zu Priestern geweiht werden? Das könnte schnell und zügig entschieden werden. Das Zweite ist die Einführung des Diakonats der Frau. Auch dagegen spricht aus meiner Sicht nichts. Ich weiß nicht, warum das für einige ein offenbar wichtiger Streitpunkt ist. Wir müssen ohnehin eine ganz andere Präsenz von Frauen auch in den seelsorgerlichen Diensten anstreben. Wir müssen etwa dafür sorgen, dass Pastoralreferentinnen auch die sakramentalen Funktionen übernehmen können, die mit ihrer Seelsorgetätigkeit verbunden sind. Ich denke da vor allem an die Krankensalbung.
Die deutschen Bistümer reagieren auf den Priestermangel im Wesentlichen auf zwei Arten: Sie setzen auf ausländische Priester, und sie bilden größere Seelsorgeeinheiten. Der richtige Weg? Sternberg: Wenn unsere Kirche Bestand haben soll in Deutschland, dann geht das nicht über XXL-Pfarreien. Es geht nur, wenn die einzelnen Gemeinden selbst ihre Angelegenheiten in die Hand nehmen können. Andere Länder machen uns das längst vor. Und zu den ausländischen Priestern: Gegen ihren Einsatz habe ich rein gar nichts, allerdings kann man nicht alle Pfarreien einfach mit Import-Priestern ausstatten. Das ist auf Dauer keine Lösung für den Priestermangel in Deutschland.
Am Donnerstag und Freitag diskutieren Sie unter anderem mit Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz bei einer Tagung in Mülheim an der Ruhr über die Zukunft der Kirche. Sternberg: Wir werden darüber sprechen, wie die vom Papst gewünschte „chiesa sinodale“, die „synodale Kirche“, möglich ist. Die evangelischen Kirchen haben eine Synodenstruktur bis in ihre Spitze hinein. Dort ist man es gewohnt, dass Gläubige und Kirchenleitung gemeinsam Entscheidungen treffen. In der katholischen Kirche gibt es das nur zum Teil, in Pfarrgemeindeund Diözesanpastoralräten und den Kirchenvorständen sowie Kirchensteuerräten. Es geht um echte Mitwirkung, um eine dauerhafte Beteiligungsstruktur auf allen Ebenen.
„Wenn unsere Kirche Bestand haben soll in Deutschland, dann geht das nicht über XXL-Pfarreien.“ZdK-Präsident Thomas Sternberg
Wie realistisch ist so etwas denn? Sternberg: Ich glaube, dass dieses Thema auch einer ganzen Reihe von Bischöfen wichtig ist, und dass alle weiterkommen wollen, denen „gemeinsam Kirche sein“ein Anliegen ist. Mit einem Federstrich oder einer Art Palastrevolution wird das freilich nicht erreicht werden können.
Interview: Daniel Wirsching
Zur Person Der nordrhein-westfälische CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg (64) ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), dem Zusammenschluss von Diözesanräten und katholischen Verbänden.