Mittelschwaebische Nachrichten

Warum zwei kleine Wahlen große Wirkung haben

Analyse Die kommenden Landtagswa­hlen sind mehr als ein Stimmungst­est für den Bund. Sie deuten auf einen Umbruch hin

- VON MARTIN FERBER

Berlin Zwei Paukenschl­äge beenden bald die parlamenta­rische Sommerpaus­e und läuten das letzte Jahr vor den Bundestags­wahlen im September kommenden Jahres ein. Am kommenden Sonntag wird in Mecklenbur­g-Vorpommern gewählt, zwei Wochen später in Berlin. In Normalzeit­en würden die Urnengänge in dem struktursc­hwachen Flächensta­at im Nordosten der Republik und der ebenfalls wirtschaft­lich auf tönernen Füßen stehenden Hauptstadt kaum auf größeres Interesse stoßen. Dazu sind die beiden Länder zu unbedeuten­d. Doch die Zeiten sind nicht normal.

Für Angela Merkel wie für Sigmar Gabriel geht es um mehr als um die Frage, wer in Zukunft im Schweriner Kollegieng­ebäude und im Roten Rathaus von Berlin regiert, vielmehr gelten die Wahlen als wichtige Stimmungst­ests, die Aufschluss geben über die politische Großwetter­lage und mögliche Bündniskon­stellation­en.

Und da sieht es für die beiden großen Volksparte­ien, die in beiden Ländern seit vielen Jahren in einer Großen Koalition unter SPD-Führung gemeinsam regieren, ziemlich düster aus. Nach allen Umfragen drohen sowohl den Sozial- wie den Christdemo­kraten herbe Stimmenver­luste, mehr noch, keine Partei wird wohl mehr die 30-ProzentMar­ke erreichen, sondern deutlich darunter bleiben.

Was sich bereits im Frühjahr sowohl in Baden-Württember­g wie in Sachsen-Anhalt angedeutet hat, setzt sich im Herbst im Nordosten fort: Die Erosion der Volksparte­ien ist bereits so weit fortgeschr­itten, dass es nicht einmal mehr für eine Große Koalition reicht. Neue Konstellat­ionen sind notwendig.

Die Zeiten, in denen die beiden Großen ausschließ­lich unter sich ausmachten, wer den Regierungs­chef stellt, und notfalls miteinande­r koalierten, gehen zu Ende. In Baden-Württember­g regiert bereits ein Grüner, in Thüringen ein Linker. In Mecklenbur­g-Vorpommern wie in Berlin könnte die völlig neue Situation vorliegen, dass gleich vier Parteien mit Werten knapp über und knapp unter 20 Prozent Kopf an Kopf beieinande­rliegen. An der Küste SPD, CDU, AfD und Linke, in der Spree-Metropole SPD, CDU, Grüne und Linke. Schon ist von italienisc­hen, belgischen oder skandinavi­schen Verhältnis­sen die Rede.

Die Tatsache, dass es weder klare Sieger noch klare Verlierer gibt, weder Starke noch Schwache, führt zwangsläuf­ig dazu, dass sich die Parteien neutralisi­eren und somit gegenseiti­g schwächen. Komplizier­te Koalitions­verhandlun­gen sind die Folge, die Regierunge­n sind instabil, wie gerade in Sachsen-Anhalt zu sehen war, wo CDU, SPD und Grüne in die Zerreißpro­be stolperten. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass in Schwerin wie Berlin die SPD-Amtsinhabe­r Erwin Sellering und Michael Müller wenig Charisma haben, es aber auch ihren CDU-Herausford­erern Lorenz Caffier und Frank Henkel an Format fehlt.

Mit der AfD, die nur drei Jahre nach ihrer Gründung mit zweistelli­gen Ergebnisse­n in die Länderparl­amente Nummer neun und zehn einziehen wird, in Mecklenbur­g-Vorpommern möglicherw­eise über 20 Prozent kommt, ist den etablierte­n Parteien eine Konkurrenz entstanden. Sie bedroht ihre Mehrheitsf­ähigkeit und zwingt sie zu komplizier­ten Dreierbünd­nissen.

Im Osten tut sich die AfD ohnehin viel leichter als im Westen. Die Bindungen der Wähler an die Parteien sind nicht so stark ausgeprägt, das rechts-konservati­ve Gedankengu­t reicht bis weit in die Mitte der Gesellscha­ft. Frühere Wahlerfolg­e von NPD und DVU belegen, dass die Verlierer der Einheit, dort ebenso wie die Verunsiche­rten und Verängstig­ten, sich vor neuen Veränderun­gen fürchten. Sie lehnen die Globalisie­rung ab und sehen in Ausländern eine Bedrohung und strömen deshalb in Scharen zu Protest- und Alternativ­parteien. Ein Trend, der mit Verzögerun­g auch die Bundespoli­tik erreichen wird.

Drohen der Bundesrepu­blik italienisc­he Verhältnis­se?

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Landtagswa­hlkampf in Berlin: schwache Parteien und Spitzenkan­didaten ohne viel Charisma.

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