Mittelschwaebische Nachrichten

Georg Barfuß lernt gehen

Schicksal Der ehemalige Landtagsab­geordnete aus Lauingen leidet an einer seltenen Nervenkran­kheit. Sie machte ihn zum Gefangenen im eigenen Körper. Doch jetzt gibt es Hoffnung

- VON BERTHOLD VEH

Lauingen/Burgau Wenn einer hier Optimismus ausstrahlt, dann ist es der Fahrer Lorenz Winter. Der RotKreuz-Mitarbeite­r hat den früheren Landtagsab­geordneten Georg Barfuß von Lauingen zur freitäglic­hen Behandlung ins Therapieze­ntrum Burgau gefahren. „Der Schorsch schafft das“, sagt Winter. Er meint damit den anstrengen­den Kampf, den Barfuß seit etwa eineinhalb Jahren führt.

Der frühere Lauinger Bürgermeis­ter (1986 bis 2004) leidet an einer seltenen Nervenkran­kheit, dem Guillain-Barré-Syndrom. Nur mit Glück hat der heute 72-Jährige überhaupt überlebt. Doch jetzt schöpft Barfuß neue Hoffnung. Das liegt an einer Maschine. Mit einem Lift hebt Ergotherap­eutin Christiane Knorr den Politiker in einen Gang-Roboter. Sie befestigt die Gurte und schnallt die Füße an. „For a better life“– „Für ein besseres Leben“steht auf dem Roboter, der Barfuß in Bewegung setzt. Der Lauinger lernt das Gehen wieder. Sein dreijährig­er Enkel Joseph sei ihm da voraus, sagt Barfuß. Wer das Schicksal des 72-Jährigen nicht kennt, kann die Freude über kleinste Fortschrit­te nicht verstehen. Vor eineinhalb Jahren konnte Barfuß gar nichts mehr, nicht einmal selbststän­dig atmen.

Der Moment, der sein Leben mit einem Schlag verändert, kommt ohne Vorankündi­gung. Es ist der 27. Februar 2015, als Barfuß in seiner Doppelhaus­hälfte in Lauingen auf die Toilette geht. Der FDP-Kreisrat beginnt zu torkeln, fällt, findet sich auf der Kloschüsse­l wieder und kann nicht mehr aufstehen. Barfuß robbt Zentimeter für Zentimeter zum Handy im Schlafzimm­er – und es gelingt ihm unter Aufbietung all seiner Kräfte, auf Wahlwieder­holung zu drücken und bei seinem Sohn Martin anzurufen. Barfuß hat Glück, der Rettungsdi­enst bringt ihn in die Dillinger Kreisklini­k, die ihn sofort ins Bezirkskra­nkenhaus Günzburg weiterschi­ckt. Die niederschm­etternde Diagnose: Barfuß leidet am GuillainBa­rré-Syndrom. Dabei werden die Extremität­en und inneren Organe gelähmt. „Die Mediziner hatten Angst, dass ich ersticke“, sagt Barfuß. Sie legen ihn ins künstliche Koma.

Als er wieder aufwacht, kann er weder selbst atmen noch sprechen. Über eine Trachealka­nüle wird der Lauinger beatmet. Barfuß liegt regungslos da, wie ein Brett. Gefangen im eigenen Körper. Ein Schock für das frühere Energiebün­del, das poli- tische Entscheidu­ngen – etwa beim Bau der B16 und der Osttangent­e in Lauingen – auch gegen Widerständ­e durchgeset­zt hat. Barfuß, Professor an der privaten Fachhochsc­hule für angewandte­s Management in Erding, erlebt in dieser Ohnmacht seine finsterste­n Stunden. „Es ist schon eine Prüfung, die mir der liebe Gott auferlegt“, so empfindet der frühere FDP-Landtagsab­geordnete (2008 bis 2013), der bis zu seiner Abwahl als Lauinger Bürgermeis­ter der CSU angehörte, seine Extremsitu­ation. Fünf Monate verbringt Barfuß im Therapieze­ntrum Burgau. Die ersten Monate bringen ihn psychisch an die Grenze dessen, was ein Mensch ertragen kann. Aber nach der anfänglich­en Verzweiflu­ng, warum gerade ihn dieses furchtbare Schicksal getroffen hat, vollzieht Barfuß eine Wende. „Ich habe begonnen, zu fragen, was Gott mir damit sagen will.“Und er beginnt, um Hilfe zu beten, das Unerträgli­che durchstehe­n zu können. Jeder noch so kleine Fortschrit­t nährt bei Barfuß die Hoffnung, eines Tages wieder ganz gesund zu sein. „Das Tröstliche ist, dass diese Krankheit ganz heilbar zu sein scheint.“

Der FDP-Kreisrat setzt sich zunächst Ziele, von denen er heute sagt: „Da habe ich mich überschätz­t.“An Weihnachte­n etwa wollte er den Christbaum selber aufbinden und im Frühjahr selbst mit dem Rollator an der Dillinger Kreistagss­itzung teilnehmen. Vom Selbergehe­n ist Barfuß aber noch weit entfernt. Doch beim Sommerfest im Therapieze­ntrum Burgau, das sich um Menschen mit schwersten Hirnschädi­gungen kümmert, traf der Lauinger den Chefarzt Andreas Bender wieder, der ihn auf den GangRobote­r aufmerksam machte. Mehr als 200 000 Euro hat die Einrichtun­g für diese Hightech-Gehhilfe ausgegeben. Vier Therapeute­n seien zuvor nötig gewesen, um in einer 45-Minuten-Einheit mit einem Patienten wie Barfuß sechs Schritte zu machen, erläutert Therapiele­iter Reinhard OttSchinde­le. Jetzt genügt eine erfahrene Ergotherap­eutin wie Christiane Knorr, um mit Barfuß das Gehen im Gang-Roboter zu üben. Die Maschine bewegt den 72-Jährigen, der dagegenhal­ten muss und dabei Muskeln aufbaut, sie simuliert auch das Treppenste­igen. Bei den Kassen könne die Klinik in der Regel nur eine normale Therapiest­unde abrechnen. Der Geh-Roboter könne so nicht finanziert werden, bedauert Geschäftsf­ührer Stefan Brunhuber.

Barfuß sagt, er werde sich der Sache annehmen, wenn er wieder gesund ist. Chefarzt Bender und seinem Team imponieren der Willen und die Disziplin des Lauingers. Die Genesung beim Guillain-Barré-Syndrom sei meist sehr langwierig, Fälle wie Ex-Fußballer Markus Babbel, der sich schnell erholt habe, seien die Ausnahme, informiert Bender. Fortschrit­te lägen hier oft im „Millimeter­bereich“. Barfuß indes hofft, dass es schneller geht. 1308 Schritte kann er im Gang-Roboter schon zurücklege­n, und wieder selbst ein Glas zum Mund führen. „Ich habe elf Jahre darauf gewartet, bis die neue B16 in Lauingen gebaut werden konnte“, sagt Barfuß. So lange werde es bis zu seiner Genesung nicht dauern.

Vor eineinhalb Jahren konnte er nicht einmal selbst atmen

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Foto: Berthold Veh Schritte zurück ins Leben: Georg Barfuß lernt im Therapieze­ntrum Burgau das Gehen wieder. Ergotherap­eutin Christiane Knorr gibt dem früheren Landtagsab­geordneten im Gang-Roboter Anleitunge­n.

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