Mittelschwaebische Nachrichten
Dauerlicht macht Mäuse alt und krank
Forschung Sind die Ergebnisse der Tierstudien auf Menschen übertragbar? Das ist unklar. Aber auf jeden Fall sei der Hell-Dunkel-Rhythmus auch für unsere Gesundheit wichtig, sagt ein Experte
Leiden Licht in der Nacht kann krank machen – das belegen neue detaillierte Analysen an Mäusen. Auf monatelanges Dauerlicht reagierten die Tiere mit Entzündungsreaktionen, Muskelschwund und frühen Anzeichen von Osteoporose, wie ein niederländisches Forscherteam im Fachjournal Current Biology berichtet. Alle beobachteten Veränderungen seien typische Anzeichen zunehmender Gebrechlichkeit, wie sie normalerweise als Alterungsfolge entstehe. Wie stark die zugrunde liegenden Mechanismen auch beim Menschen wirkten, sei noch unklar.
In der Studie stecke immens viel Arbeit, das Ergebnis sei unstrittig und „unbedingt ernst zu nehmen“, sagt der Berliner Schlafmediziner Dieter Kunz, der nicht an der Studie beteiligt war. Auch wenn es sicher Unterschiede zu den Prozessen beim Menschen gebe: „Es ist ein deutlicher Hinweis, dass der Hell-Dunkel-Rhythmus für die Gesundheit eine erhebliche Rolle spielt.“Der Mechanismus biete zum Beispiel eine mögliche Erklärung dafür, dass Knochenbrüche und Osteoporose manche Menschen früher und stärker treffen als andere, erklärt Kunz, Chefarzt an der Klinik für Schlafund Chronomedizin des Berliner St. Hedwig-Krankenhauses.
Die Wissenschaftler um Johanna Meijer vom University Medical Center in Leiden hatten mehr als 100 Mäuse 24 Wochen lang unter Dauerlicht gehalten und verschiedene gesundheitsrelevante Messwerte erfasst. Hirnaktivitätsmessungen über Elektroden im Kopf der Tiere zeigten, dass die tageszeitabhängigen Veränderungen im neuronalen Muster der inneren Uhr um etwa 70 Prozent vermindert waren. Die Skelettmuskulatur der Mäuse wurde schwächer, es gab Anzeichen für Knochenabbau, und bestimmte Entzündungswerte im Körper waren erhöht.
Dauerlicht sei in der Lage, über eine Kaskade von Effekten zu Gebrechlichkeit ähnlich der alterungsbedingten zu führen, lautet das Fazit der Forscher. „Unsere Studie zeigt, dass der natürliche Hell-DunkelRhythmus wichtig für die Gesundheit ist“, betont Meijer. Ein Abweichen davon sei weit weniger harmlos als lange angenommen. Im Tierversuch war der Effekt umkehrbar: Wurden die Tiere wieder einem natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus ausgesetzt, schwanden die Symptome binnen zwei Wochen wieder. Die tageszeitabhängigen Wechsel im Aktivitätsmuster der inneren Uhr erreichten wieder ihre ursprüngliche Intensität.
Für den Menschen sei das eher nicht vorstellbar, betont der Berliner Experte Kunz. Bei den wohlbehütet lebenden Mäusen sei nur ein einzelner Faktor – die Beleuchtung – verändert worden. „Bei einem Schichtarbeiter spielen viele zusätzliche Aspekte eine Rolle, ein verändertes Familienleben oder Ernährung und Schlaf zur falschen Zeit“, erklärt der Schlafforscher. „Die Erfahrung bei Schichtarbeitern zeigt, dass auch bei Rückkehr zu einem normalen Lebensrhythmus langfristige Folgeschäden bleiben.“
Umso wichtiger sei es, den HellDunkel-Rhythmus als wichtige Einflussgröße für die Gesundheit wahrzunehmen, sagt Kunz. „Zu wenig Licht am Tag dürfte dabei ähnliche Folgen haben wie zu viel Licht in der Nacht.“Für die moderne schlaf- und rhythmusgestörte Gesellschaft werde die Problematik bisher zu wenig berücksichtigt.
Es werde noch zu wenig darauf geachtet, welchen Lichtmengen Menschen im Tag-Nacht-Verlauf ausgesetzt sind, betonen auch die Forscher um Meijer: Drei Viertel der Weltbevölkerung lebten in Re- gionen mit nächtlicher Beleuchtung. Viele Menschen weltweit seien Nachtarbeiter. Und in Pflegeheimen und auf Intensivstationen sei Dauerlicht üblich. Bei diesen Patienten könnten sich dadurch ohnehin ablaufende Alterungsprozesse noch verstärken, so die Befürchtung.
In Pflegeheimen sei es angebracht, das Licht in den Zimmern nachts nicht nur zu dimmen, sondern ganz auszuschalten, sagt auch Kunz. Die Analogie der Studiensituation zu Intensivstationen kann er dagegen nicht nachvollziehen: „24 Wochen im Leben einer Maus entsprechen Jahren im Leben eines Menschen.“So lange liege niemand auf der Intensivstation. In weiteren Analysen müsse nun geprüft werden, inwieweit die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind.
Der Tag ist ein uralter und extrem effektiver Taktgeber für Lebewesen. Andere Faktoren wie Nahrungsangebot und Temperatur schwanken, die Sonne aber geht morgens immer auf. Beeinflusst wird dieser Rhythmus seit einigen Jahren nicht mehr nur von Kunstlicht, sondern zusätzlich von Smartphones und Tablet-PCs, die abends oft noch über Stunden genutzt werden. Vor allem ihr Blaulichtanteil wirkt über die Retina auf die innere Uhr und signalisiert den neuronalen Schaltkreisen, es sei noch helllichter Tag.
Eine im Mai veröffentlichte Studie zeigte, dass Menschen in Deutschland weniger schlafen als die in vielen anderen Nationen. Bei Erwachsenen gilt chronischer Schlafmangel als eine Ursache für Depressionen. Forscher haben gezeigt, dass Tiefschlaf nicht nur das Erinnerungsvermögen des Gehirns stärkt, sondern auch das des Immunsystems: Im Tiefschlaf gehen die am Tag erworbenen Informationen über Erreger in den Langzeitspeicher des Abwehrsystems über. Auch zum Körpergewicht und zu Leiden wie Diabetes und Krebs gibt es Verbindungen. (dpa)
Zusätzliche Aspekte bei Schichtarbeitern