Mittelschwaebische Nachrichten
Gabriel lässt TTIP links liegen
Warum der SPD-Chef die Verhandlungen über das Abkommen mit den USA für gescheitert erklärt hat. In der CDU nutzt die Führung die Aktion für eine Retourkutsche
Berlin Er hat’s endlich getan. Fast beiläufig wischt Sigmar Gabriel vier Buchstaben vom Tisch, die ihm seit Jahren zu schaffen machen. Die Verhandlungen für TTIP, das Freihandelsabkommen der EU mit den USA, seien „de facto gescheitert“, „da bewegt sich nix“. Typisch flapsiger Gabriel-Jargon. Er sagt es vor Bürgern und im Sommerinterview mit dem ZDF (wir berichteten). Spricht da der Wirtschaftsminister oder der SPD-Chef? Und warum tut er es gerade jetzt?
Politiker der Union sind jedenfalls empört. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte, der Eiertanz, den Gabriel zwischen Parteivorsitz und Wirtschaftsminister vollführe, sei nur schwer erträglich. „Als Wirtschaftsminister muss man ihn daran erinnern, dass sein Amtseid dem deutschen Volk gilt, nicht der SPD oder gar der Parteilinken.“Gabriel, so Tauber weiter, sei verpflichtet, für Arbeitsplätze zu streiten und für die Interessen deutscher Unternehmen. Deswegen sei seine Haltung zum Freihandel und vor allem zu TTIP grundfalsch, kritisierte der Generalsekretär.
Doch dass aus TTIP in absehba- Zeit etwas wird, daran gibt es schon lange Zweifel. Schließlich rücken die US-Präsidentschaftswahlen näher und die Interessen hüben und drüben liegen weit auseinander. Die Mehrheit der Deutschen sieht das Abkommen kritisch – insofern kann Gabriel mit seinem „da bewegt sich nix“leicht Punkte sammeln.
Außerdem setzt der SPD-Chef sich so von der Kanzlerin ab, die am Montag über ihren Regierungssprecher ausrichten lässt, dass die Ver- handlungen ja noch nicht beendet seien. Distanz zu Angela Merkel, die sucht der Vizekanzler gerade auch in anderen Bereichen. In der Flüchtlingspolitik habe man sie „zum Jagen tragen“müssen, sagt er, und nimmt das CSU-Wort „Obergrenze“in den Mund.
Gabriel hat das Problem eines Junior-Koalitionspartners im Wahlkampf: Irgendwie muss Wechselstimmung her, obwohl man ja selbst mitverantwortlich war und ist. Herer raus kommt leicht ein Schlingerkurs. Gabriel hielt sich zuletzt links, sprach viel von Gerechtigkeit, zeigte Rechten den Stinkefinger und schlug sich in der Fusion der Handelsketten Edeka und Kaiser’s Tengelmann auf die Seite der Gewerkschaft. Dabei wie auch jetzt bei TTIP muss er sich den Vorwurf anhören, er stelle die Partei vor sein Amt als Wirtschaftsminister.
Und dann sind da noch die SPD mit ihren Umfragewerten, die K-Frage und die kleine TTIPSchwester Ceta. Für das Abkommen mit Kanada wirbt Gabriel weiterhin eifrig, viele Parteilinke und zuletzt auch Berlins Regierungschef Michael Müller haben dagegen Bedenken.
Alles hängt irgendwie miteinander zusammen: Gabriel will Kanzlerkandidat werden, aber manch ein Sozialdemokrat macht ihn für maue Umfragewerte um die 22 Prozent persönlich verantwortlich. Ein Parteikonvent am 19. September, bei dem es um Ceta geht, könnte zur Abstimmung über den Parteichef selbst werden – erst recht, wenn die SPD bei den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern abschmiert. (dpa)