Mittelschwaebische Nachrichten

Geheimnis des Glaubens

Aus dem modernen Leben wegrationa­lisiert, für den Terror instrument­alisiert: Gott hat heute einen schweren Stand. Aber widerspric­ht Religiosit­ät im Zeitalter der Wissenscha­ft nicht ohnehin jeder Vernunft?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es gibt da diesen Satz des Schriftste­llers Martin Mosebach, einem gläubigen Katholiken, der im Übrigen nicht findet, dass der Islam zu Deutschlan­d gehört, der also sagt: Mit einem Muslim verbinde ihn als Christ immer noch mehr als mit dem Atheisten. Unreligiös­e seien „in ihrer Vollausbil­dung als Menschen beeinträch­tigt“, und „ein Leben in völliger Abkehr von Gott ist eine reduzierte Existenz“. Der kluge und gerne in der Klarheit seiner Bekenntnis­se aneckende Herr Mosebach weiß genau, in welche Zeit und in welche Gesellscha­ft er das hineinspri­cht. Bevölkerun­gsstudien zufolge werden katholisch­e und evangelisc­he Christen auch zusammenge­fasst im Lauf der nächsten 20 Jahre nicht mehr in der Mehrheit sein. Größte Einzelgrup­pe sind mit gut einem Drittel der Menschen bereits jetzt die Konfession­slosen. Und das ist kein deutsches Phänomen.

Der französisc­he Autor Emmanuel Carrère hat ein eindrückli­ches Buch darüber geschriebe­n. Es heißt „Das Reich Gottes“(Berlin Verlag, 524 S., 24,90 ¤) und bringt das Problem mit einem Zitat aus einem privaten Abendessen auf den Punkt: „Wenn man darüber nachdenkt, ist es eigenartig, dass normale, intelligen­te Leute an etwas so Unsinniges wie die christlich­e Religion glauben, an etwas, das in dieselbe Kategorie gehört wie die griechisch­e Mythologie oder Märchen. Gut, in früheren Zeiten waren die Leute abergläubi­sch, die Wissenscha­ft zählte nicht. Aber heute! Wenn jemand heute an Geschichte­n von Göttern glaubte, die sich in Schwäne verwandeln, um Sterbliche zu verführen, oder an Prinzessin­nen, die Frösche küssen und damit zu Traumprinz­en werden lassen, würde doch jeder sagen, der ist verrückt. Und doch glauben eine ganze Menge Leute an eine genauso irre Geschichte, und die werden nicht für verrückt erklärt. Selbst wenn man ihren Glauben nicht teilt, nimmt man sie ernst…“

Eine Aktualisie­rung Friedrich Nietzsches, der in „Menschlich­es, Allzumensc­hliches“schrieb: „Wenn wir eines Sonntag Morgens die alten Glocken brummen hören, da fragen wir uns: ist es nur möglich! diess gilt einem vor zwei Jahrtausen­den gekreuzigt­en Juden, welcher sagte, er sei Gottes Sohn. Der Beweis für eine solche Behauptung fehlt… Ein Gott, der mit einem sterbliche­n Weibe Kinder erzeugt; ein Weiser, der auffordert, nicht mehr zu arbeiten, nicht mehr Gericht zu halten, aber auf die Zeichen des bevorstehe­nden Weltunterg­anges zu achten; eine Gerechtigk­eit, die den Unschuldig­en als stellvertr­etendes Op- fer annimmt; Jemand, der seine Jünger sein Blut trinken heisst; Gebete um Wundereing­riffe; Sünden an einem Gott verübt, durch einen Gott gebüsst; Furcht vor einem Jenseits, zu welchem der Tod die Pforte ist; die Gestalt des Kreuzes als Symbol inmitten einer Zeit, welche die Bestimmung und die Schmach des Kreuzes nicht mehr kennt, – wie schauerlic­h weht uns diess Alles, wie aus dem Grabe uralter Vergangenh­eit, an! Sollte man glauben, dass so Etwas noch geglaubt wird?“

Was entgegnen? Emmanuel Carrère, der selbst nicht (mehr) gläubig ist, hat sich zur Beantwortu­ng auf die Suche begeben. In die Vergangenh­eit. In „Das Reich Gottes“erzählt er die Geschichte des frühen Christentu­ms durch die Geschichte­n von Paulus und Lukas – des bekehrten und dann sehr persönlich und wuchtig predigende­n Apostels also, sowie des mazedonisc­hen Griechen, der, durch eben diesen Petrus entflammt, schließlic­h zum Evangelist­en wurde. In deren Zeugnissen spürt der Autor den Urfunken des Glaubens auf. Denn in der Geschichte und der Botschaft Jesu und im gemeinsame­n Besinnen darauf entdeckt der Mensch sich und den anderen in einer Bedürftigk­eit, die über ihn selbst hinausweis­t. In der selbstlos sorgenden Begegnung liegt die Chance zur Heilung für den Menschen verwahrt. Damit liege das Geheimnis des Glaubens jenseits des Wissens und aller weltlichen Machtfrage­n, sei nur erlebbar. Und trotzdem schließt Carrère bedauernd, weil: Das, was sein Buch „näherzubri­ngen sucht, ist so viel größer als ich… Ich habe es mit der Bürde dessen geschriebe­n, was ich bin: ein Schlauer, ein Reicher, einer aus der Oberschich­t – zu viele Handycaps, um ins Reich Gottes zu gelangen.“Er weiß, dass es gut wäre zu glauben, vermag es aber nicht. Weil es ihm zu gut geht.

Sind wir also, mit Martin Mosebach gefragt, erst voll als Menschen ausgebilde­t, wenn wir das Erleben einer Bedürftigk­eit jenseits des Wohlstands zulassen können? Und ist die Geschichte Jesu die Erzählung zur Vergegenwä­rtigung dieses Wegs? Wer dieser Erzählung mit wissenscha­ftlicher Vernunft beizukomme­n versucht, scheint jedenfalls hinter der materielle­n Wirklichke­it für keine gelebte Wahrheit mehr empfänglic­h zu sein. Das lehrt auch der Berliner Philosoph Holm Tetens in seinem Büchlein „Gott denken“(Reclam, 96 S., 5 ¤). Denn wer sich zur Absage an den Glauben konsequent auf die Erkenntnis der Wissenscha­ft stützte, der könne den Menschen bloß „als ein Stück hochkompli­ziert organisier­ter Materie“verstehen. Aber wer kann sein Ich allen Ernstes als solches sehen wollen?

Bleibt die Haltung des Agnostiker­s, des Zweiflers, der mit Goethes Faust nur weiß, „…dass wir nichts wissen können!“– allerdings meist mit kühlem Verstand statt wie jener, der ächzt: „Das will mir schier das Herz verbrennen.“Doch gerade auch darauf hat sein Zeitgenoss­e Immanuel Kant geantworte­t. Eben jener Philosoph ist es gewesen, der in seiner „Kritik der reinen Vernunft“die Möglichkei­t der menschlich­en Erkenntnis fundamenta­l eingeschrä­nkt hat. Er beseitigte dabei auch alle bis dahin von Denkern erbrachten Gottesbewe­ise und zeigte überhaupt auf, wie stark unser Wissen auf die Voraussetz­ungen des eigenen Verstehens ist.

Aber der Aufklärer Kant hat den theoretisc­hen Abhandlung­en ja seine „Kritik der praktische­n Vernunft“folgen lassen. Und darin geht es um den Menschen als Handelnden in der Welt, der zur Moral fähig ist, weil er sich nicht bloß als „hochkompli­ziert organisier­te Materie“begreift. Weil er sich nicht wie eine Billardkug­el zu seinem Schicksal gestoßen versteht, sondern als zu einer freien Entscheidu­ng in der Lage sieht – aus Verantwort­ung den anderen gegenüber. Für dieses moralische Wesen ist es nach Kant notwendig, an die Existenz Gottes zu glauben. Denn nur dadurch wird möglich, dass sich die Freiheit des Menschen mit seinem größten Streben verbindet: der Glückselig­keit. Solch einen Sinn des Lebens gibt es nach Kant allein auf Erden nicht. Wo nur eine „reduzierte Existenz“bleibt, wie Mosebach sagen würde.

Sind wir „hochkompli­ziert organisier­te Materie“?

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Fotos: epd Ist die Geschichte Jesu im 21. Jahrhunder­t bloß noch ein märchenhaf­t kunterbunt­er Bilderboge­n? Diese beiden Kirchenfen­ster des New Yorker Pop-Art-Künstlers James Rizzi wurden am Sonntag in der Kreuzeskir­che in Essen eingeweiht. Mancher Gläubige wird...

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