Mittelschwaebische Nachrichten

Schnitzelj­agd mal ohne Pokémons

Geocaching Das Tannheimer Tal gilt als Dorado für die Schatzsuch­e mit Satelliten­daten. So geht’s

- VON FREDDY SCHISSLER

Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit: Ein schöner Satz ist das, geäußert einst von Schriftste­ller Erich Kästner. Weil für Sepp Schiffer ziemlich schnell klar war, dass darin nicht nur ein Funken, sondern ein ganzer Haufen an Wahrheit steckt, hat er ihn am Eingang des Hotels Schwarzer Adler in Tannheim (Tirol) verewigt. Dieses Haus führen seine Frau Ellen, die „Chefin“, und er seit einer halben Ewigkeit. Ihre Kindheit ist also ein paar Jährchen her, und verbracht haben sie sie in Köln, der Metropole des Rheinlands. Später machten sich beide auf den Weg ins Allgäu und ins Tannheimer Tal. Und doch scheint zumindest im Sepp noch ein Kind zu schlummern. Oder besser eine kindliche Begeisteru­ng.

Sein Herz schlägt für Männerspie­lzeug, fürs Sammeln und Jagen, und auch dafür, Rätsel zu lösen. An seinen Vorlieben lässt er die Gäste des Schwarzen Adlers und andere Urlauber teilhaben. Zum Beispiel beim Geocaching. 300 kleine Kapseln, sogenannte Caches, haben Mitarbeite­r in der Gegend versteckt. Sie sollen mithilfe eines GPS-Geräts oder des Handys entdeckt werden. Diese moderne Art der Schnitzelj­agd oder Schatzsuch­e zieht immer mehr in ihren Bann.

Doch die Fahrt beginnt woanders. In einer Oberallgäu­er Gemeinde öffnet uns Sepp Schiffer das Tor zu einer großen Halle. Was wir sehen, dürfte manches Männerherz höher schlagen lassen: Eine Flotte von Porsche-Traktoren, knallrot, und in allerbeste­m Zustand. Der Blick fällt außerdem auf einen alten Eicher-Traktor und auf ein Motorrad mit Beiwagen der Marke Zündapp KS 601, auch grüner Elefant genannt. Wenn das Wetter passt und Sepp Schiffers Spieltrieb wieder mal zu groß wird, hängt er kurz entschloss­en einen Zettel an die InfoWand des Hotels: „Morgen Vormittag nach dem Frühstück Traktoraus­flug ins Oberallgäu.“

Wir allerdings wollen an diesem Wochenende Tannheim ansteuern, um den Trend Geocaching auszuprobi­eren. Um das Geheimnis seiner Beliebthei­t zu lüften. Vermutlich hätte mein 16-jähriger Sohn nur gelangweil­t den Kopf geschüttel­t beim Vorschlag, das Wochenende ausschließ­lich wandernd mit seinen Eltern zu verbringen. Das Wort Geocaching freilich zeigt Wirkung – und ich bekomme seine Zusage. Also schlagen wir zu dritt bei Ellen und Sepp Schiffer auf. Nach einer Stunde wissen wir, dass bei dieser elektronis­chen Schatzsuch­e anhand von geografisc­hen Koordinate­n versteckte Kapseln, die Caches (auf

Deutsch geheimes Lager, Depot) mit einem GPS-Gerät, das wir in der Lobby des Schwarzen Adlers bekommen, gesucht werden müssen. Wird man fündig, öffnet man die Kapsel und nestelt ein Logbuch heraus, in das man seinen Namen und die Fundzeit einträgt. Könne auch gut sein, sagt Sepp Schiffer, dass wir auf eine versteckte Box stoßen, in

der sich kleine Erinnerung­sstücke befinden. Der Geocacher darf sich darin bedienen, muss aber im Gegenzug ein eigenes Accessoire hinterlass­en.

Wir sind nicht die einzigen Teilnehmer der Schnitzelj­agd in diesem familiären Vier-Sterne-Hotel. Übrigens: Das Hotel selbst ist eine kleine Schatztruh­e, weil man an fast jeder Ecke interessan­te Gegenständ­e entdeckt – einen alten Vespa-Roller, ein Lauffahrra­d, einen Kinderwage­n aus längst vergangene­n Zeiten oder ein Oldtimer-Motorrad.

Wie gesagt: Es haben sich noch andere Geocaching-Freunde im Schwarzen Adler eingemiete­t. Sie sind aus einigen hundert Kilometern Entfernung angereist, weil sie im Tannheimer Tal bei über 300 versteckte­n Caches ihre Fundquote besonders rasch erhöhen können. Uns bestärkt das in der Hoffnung, zumindest einen Cache aufzustöbe­rn. Um es vorwegzune­hmen: Unsere Quote wird zweistelli­g, die Stimmung innerhalb der kleinen Familiengr­uppe spätestens nach dem fünften Erfolgserl­ebnis prächtig bis euphorisch, der Sohn rebelliert kein einziges Mal. Schon eher die Ehefrau – zumindest am Anfang der Tour. Sie hat beim Wandern gern klare Vorstellun­gen, welchen Weg wir wann und wo und wie nehmen. Mit Widerspruc­h weiß sie nicht wirklich umzugehen.

Nun freilich meldet sich nach wenigen Metern das GPS-Gerät zu Wort: Es besteht auf der Abzweigung nach rechts. Die Ehefrau aber will nach links, dort, wo die Sonne scheint und keine Straße, sondern ein Feldweg zum Wandern einlädt. Das GPS-Gerät hingegen will uns auf die schattige Seite des Tals führen. Wir benötigen eine kurze Auszeit, um Sinn und Zweck einer Geocaching-Tour zu besprechen. Die Ehefrau ist schließlic­h einsichtig, Sohn und Vater atmen auf. Und dann piepst das GPS-Gerät plötzlich. Wir sind nah dran am ersten Cache. Wo wir uns befinden? Nun ja, direkt neben einem Misthaufen. Die Suche auf selbigem ist komplizier­t und zunächst erfolglos. Bis ein paar junge Wanderer vorbeikomm­en, verdutzt unser Misthaufen-Interesse beobachten, sich nach entspreche­nder Erklärung als CachingKen­ner entpuppen und schließlic­h auf eine abgesägte Stange gleich neben dem Misthaufen deuten. In solch einer Öffnung, meinen sie, verstecke man bei dieser modernen Schnitzelj­agd gerne die schmalen Kapseln.

Volltreffe­r! Unser erster Fund, wenn auch mit fremder Hilfe. Die anderen Kapseln, Hülsen und Kästchen finden wir alleine. Jeder aus unserem Trio hat sein Erfolgserl­ebnis. Mal unter einem Steinhaufe­n, mal direkt hinter einem Brückenpfe­iler, mal unter einer Sitzbank. Bei der müssen wir zwar zwei sich just dort ausruhende ältere Wanderer bitten, kurz aufzustehe­n. Dafür werden sie von uns im Schnellver­fahren in die Geocaching-Geheimniss­e eingeweiht.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich alles verstanden haben – Sinn und Zweck dieses neuen Zeitvertre­ibs beispielsw­eise. Da dürfte es ohnehin verschiede­ne Sichtweise­n geben. Meine ist schnell formuliert: Geocaching eignet sich prima, um pubertiere­nde Jugendlich­e in die Berge zu locken – und auch, um die Dominanz der Ehefrau zu schmälern.

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Fotos: oh Im Tannheimer Tal verstecken sich jede Menge Schätze, die Wanderer beim Geocashing finden können.

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