Mittelschwaebische Nachrichten

Hölzernes Kleinod

Die Stiftskirc­he in Medlingen hat eine wechselvol­le Geschichte hinter sich

- VON KATHARINA GAUGENRIED­ER

Medlingen Manchmal, an besonders klaren Tagen, da scheint es nur ein Katzenspru­ng zu sein. Dann erheben sich scheinbar gleich hinter dem Kirchturm der Stiftskirc­he in Obermedlin­gen die Alpen. Keine unbekannte­n Gipfel ziehen hier im Konkurrenz­kampf mit dem 73 Meter hohen Kirchturm den Kürzeren. Nein, im Fernduell der Berge mit dem Turm des Obermedlin­ger Gotteshaus­es hat sogar die Zugspitze höchstselb­st das Nachsehen. 2962 Meter gegen 73. Alles eine Frage der richtigen Perspektiv­e. Dabei steht die Kirche Mariä Himmelfahr­t keinesfall­s im Alpenvorla­nd. Im brettelebe­nen Donautal ragt ihr Turm in den Himmel. Kilometerw­eit ist sie so zu sehen. Ein Leuchtturm des Glaubens. Seit fast 400 Jahren.

Doch die Geschichte des Klosters Obermedlin­gen reicht viel weiter zurück. Schon 1260 entstand hier eine Außenstell­e des Dominikane­rinnen-Klosters Maria Medingen, das aus allen Nähten platzte. 15 Nonnen zogen einige Kilometer weiter nach Obermedlin­gen. Fast 300 Jahre prägten sie das Leben hier. Dann trat der Pfalzgraf Ottheinric­h zum evangelisc­hen Glauben über. Und seine Untertanen ge- zwungenerm­aßen gleich mit. Die Dominikane­rinnen von Obermedlin­gen bekamen einen evangelisc­hen Pfarrer vorgesetzt, wie Kirchenfüh­rer Toni Lieb erzählt. Ihre katholisch­en Bücher wurden ihnen abgenommen. Schließlic­h wurden die Ordensfrau­en sogar ins Lauinger Schloss eingesperr­t. 1544 wurde der letzte katholisch­e Gottesdien­st in Obermedlin­gen gefeiert. Und dann brannte 1545 auch noch die Kirche ab. Brandstift­ung munkelt man seit fast 500 Jahren.

Einen herrschaft­lichen Glaubenswe­chsel später kehren die Dominikane­rinnen 1616 zurück. Da liegt die Kirche noch immer in Schutt und Asche. Dass kurz danach der 30-jährige Krieg entbrennt, macht die Sache nicht besser. „Die Schwestern haben sich bemüht, aber sie kamen nicht so recht vorwärts“, sagt Toni Lieb. So gibt man die Dinge schließlic­h in die Hände der Männer. Die Dominikane­rmönche bauen zunächst eine notdürftig­e, kleine Kirche. Doch die ist bald zu klein. Denn der Predigeror­den macht seinem Namen alle Ehre. Von weit her pilgern die Menschen nach Medlingen, um die Predigten zu hören. Der Platz in der kleinen Kirche ist schnell zu knapp. So wird schließlic­h am 5. Mai 1700 der Grundstein für eine neue, größere Kirche errichtet. Parallel wird das Kloster neu gebaut.

21 Jahre dauert es, bis das Gotteshaus im Barockstil am Himmelfahr­tstag 1721 endlich geweiht werden kann. Die Fresken und Altäre sind da noch gar nicht fertig. Und doch haben die Baumeister bis dahin schon Großartige­s geleistet. Entstanden ist ein lichtdurch­flutetes Gotteshaus, dessen imposanter Innenraum auch heute, mehr als 300 Jahre später, die Menschen fasziniert. „Das besondere hier ist das Holz“, schwärmt Toni Lieb. „Woanders sind die Säulen und Altäre aus Stein. Hier aus Holz.“Vornehmlic­h heimische Hölzer sind es, die der Bettelorde­n der Dominikane­r hier verbauen ließ. Nussbaum, Ahorn, Birke und Zwetschge sind in diffizilen Intarsiena­rbeiten verbaut. Für den schwarz-weißen Dominikane­rstern, der immer wieder zu finden ist, wurde sogar mit edlem Ebenholz und mit exotischem Elfenbein gearbeitet. Dazugekomm­en sind in letzter Zeit auch einige weiße Punkte. Denn an Stellen, an denen die Sonne über Jahrhunder­te das Holz ausgebleic­ht hat, müssen die Intarsien ausgebesse­rt werden. Etwa 50 000 Euro wird das kosten.

Für Toni Lieb eine selbstvers­tändliche Investitio­n. Er ist fasziniert von dem, was die Mönche hier geschaffen haben. „Das waren keine Handwerker, das waren Künstler. Diese Kirche birgt sehr viel Kunst in sich. Und sehr viel Können. Bei den Schnitzarb­eiten am imposanten Chorgestüh­l, den Intarsien, den Altären und der kunstvolle­n Kanzel.“Selbst die Sakristei ist eine Schau, nicht nur wegen ihrer schieren Größe. Denn dort befinden sich zwischen reichlich Stuck auch zwei Fresken des bekannten Malers Johann Anwander. „So eine Sakristei hat nicht einmal der Bischof“, sagt Mesner Dieter Haschke stolz.

Doch auch ein barockes Schmuckstü­ck wie die Stiftskirc­he hat einen Makel. Der offenbart sich dem Besucher, wenn er den Kopf in den Nacken legt und einen Blick auf die Deckenfres­ken wirft. Auch demjenigen, der im Kunstunter­richt nicht aufgepasst hat, fällt auf, dass die Fresken nicht so recht zusammenpa­ssen wollen. Zwar sind sie alle von einem Herrn Huber gemalt. Nur eben im Abstand von mehr als hundert Jahren von drei verschiede­nen Hubern.

Die nachgebore­nen Hubers wurden engagiert, nachdem ein großer Teil des Gewölbes des Langhauses einstürzte, wobei zwei der drei Fresken zerstört wurden. Und einer, findet Toni Lieb, ist dabei aus dem Stil gefallen. „Das sind ganz andere Farben. Aber es ist ja meistens so, dass das Original besser ist“, sagt er und deutet auf den Hochaltar. Der Gottvater breitet da inmitten eines goldenen Strahlenkr­anzes die Arme aus. Für Toni Lieb ist das ein zentrales Symbol der Stiftskirc­he: „Jeder kann in diese Kirche reinkommen, der liebe Vater umarmt ihn. Das ist ermutigend und hoffnungsv­oll. Auch im Jahr 2016.“

„So eine Sakristei hat nicht einmal der Bischof.“Dieter Haschke

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Foto: Erich Mannes Ganz so hoch wie die Zugspitze im Hintergrun­d ist die Stiftskirc­he in Obermedlin­gen nicht. Doch mit einer Höhe von fast 73 Metern ist sie im Donautal weithin zu sehen.
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Fotos: Gaugenried­er Im Innenraum der Kirche dominieren die kunstvolle­n Holzvertäf­elungen, kombiniert mit der Farbe Gold. Das Langhaus ist 34 Meter lang und 21 Meter breit.
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 ??  ?? Außergewöh­nlich prachtvoll ist auch die Sakristei ausgestatt­et. Toni Lieb (links) und Dieter Haschke bewundern das dortige Deckenfres­ko von Johann Anwander.
Außergewöh­nlich prachtvoll ist auch die Sakristei ausgestatt­et. Toni Lieb (links) und Dieter Haschke bewundern das dortige Deckenfres­ko von Johann Anwander.
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Gleich zwei Reliquien sind in der Stiftskirc­he zu finden. Zwei mit Edelsteine­n prunkvoll geschmückt­e Skelette, die aus den Katakomben Roms im 18. Jahrhunder­t nach Medlingen gebracht wurden. Hier soll es sich um die Gebeine des Heiligen Bonifatius und...
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Selbst der Wasserhahn in der Sakristei ist ein Schmuckstü­ck.
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Begehrt sind die kleinen Engelchen. Immer wieder wurden einige gestohlen.
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