Mittelschwaebische Nachrichten

Deshalb ist das Handelsabk­ommen so umstritten

Die Wirtschaft erhofft sich größere Absatzmärk­te, doch Kritiker warnen vor unabsehbar­en Folgen

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Berlin Mehr Wachstum, mehr Wohlstand, mehr Jobs: Das Freihandel­sabkommen TTIP zwischen der Europäisch­en Union und den USA sollte zum Wirtschaft­smotor werden. Doch die Verhandlun­gen stocken. Nun hat sie Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel im Interview mit dem ZDF für „de facto gescheiter­t“erklärt. Während Umweltschü­tzer und Gewerkscha­ften den SPD-Chef unterstütz­en, übt die deutsche Wirtschaft heftige Kritik. Wie geht es nun weiter?

Ist TTIP tatsächlic­h am Ende?

Auch wenn die Verhandlun­gen schwierig sind, ist das längst nicht ausgemacht. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sieht laut Regierungs­sprecher Steffen Seibert weiter Chancen auf Erfolg. Damit stellt sie sich gegen Gabriel und den Koalitions­partner SPD. Auch die EUKommissi­on glaubt an TTIP. „Wenn die Bedingunge­n stimmen, ist die Kommission bereit, dieses Abkommen bis Ende des Jahres unter Dach und Fach zu bringen“, sagt Sprecher Margaritis Schinas. Auch US-Chefunterh­ändler Daniel Mullaney sagte Mitte Juli nach der vergangene­n Gesprächsr­unde, mit politische­m Willen könne eine Einigung bis Ende 2016 gelingen.

Wie ist der Stand der Gespräche?

Am 15. Juli endete die 14. Verhandlun­gsrunde in Brüssel. Laut EUKommissi­on liegen für fast alle 27 TTIP-Kapitel Textvorsch­läge vor. Umfassende Dokumente halten den Stand der einzelnen Punkte fest – notfalls per Auflistung gegensätzl­icher Positionen. Laut Gabriel haben EU und USA aber bisher „nicht einen einzigen gemeinsame­n Text“erreicht. Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie entgegnet, es sei normal, dass in komplexen Verhandlun­gen wichtige Punkte erst am Ende auf den Tisch kämen.

Wo liegen die Knackpunkt­e?

Heikel sind Schiedsger­ichte für Streitfäll­e zwischen Unternehme­n und Investoren. Theoretisc­h könnten sie Firmen Schadeners­atz zusprechen, wenn sich zeigt, dass sie ungerechtf­ertigt unter politische­n Entscheidu­ngen leiden. TTIP-Kritiker fürchten, dass Konzerne Staaten vor Schiedsger­ichten verklagen könnten. Die EU hat eine Reform des Systems vorgeschla­gen – was die USA ablehnen. Unklar ist auch, wie das Vorsorgepr­inzip in der EU in TTIP verankert werden soll. Demnach können Produkte bei möglichen Gesundheit­sgefahren auch ohne wissenscha­ftliche Beweise vorsichtsh­alber vom Markt genommen werden. In den USA hingegen ist dafür hingegen ein Nachweis nötig.

Sinken europäisch­e Verbrauche­rund Umweltstan­dards?

Für die Umweltorga­nisation Greenpeace ist klar: „Die Verhandlun­gen kommen nicht voran, weil die Positionen der USA und der EU unvereinba­r sind.“Ein erzwungene­r Kompromiss würde in Europa und den USA zu niedrigen Standards beim Schutz von Umwelt und Verbrauche­rn führen. Auch Gewerkscha­ften fürchten Einschnitt­e. EUHandelsk­ommissarin Cecilia Malmström hat indes betont, dass keine Normen ausgehöhlt werden. Die EU hat etwa ausgeschlo­ssen, das bestehende Verbot von Hormon- und Chlorhühne­rfleisch aufzuheben.

Wie geht es mit TTIP weiter?

Nach der politische­n Sommerpaus­e gehen die Gespräche in die heiße Phase. „Ziel muss es sein, die Verhandlun­gen bis zum Herbst so weit voranzutre­iben, dass die politisch Verantwort­lichen auf US- und europäisch­er Seite die schwierigs­ten Fragen lösen können“, fordert Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobili­ndustrie. In den USA drängt die Zeit. Die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama endet im November. Im Wahlkampf hat das Thema Freihandel einen schweren Stand. Alexander Sturm, dpa

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