Mittelschwaebische Nachrichten

Abschied von einem, der mal „Schweini“war

Heute Abend hat Bastian Schweinste­iger seinen letzten Auftritt in der Nationalma­nnschaft. Kein anderer Spieler hat sich in seiner Karriere derart gewandelt wie der Junge aus Kolbermoor

- VON OLAF KUPFER Foto: Federico Gambarini, dpa

Düsseldorf Am Anfang hießen seine Mitspieler Oliver Kahn, Jens Nowotny, Torsten Frings oder Fredi Bobic. Bastian Schweinste­iger wurde zur Pause eingewechs­elt an jenem 6. Juni 2004 am Betzenberg in Kaiserslau­tern. Gegen Ungarn. Deutschlan­d lag 0:2 zurück, und so lautete auch das Endergebni­s.

„Schweini“, wie sie ihn liebevoll nannten, trug die Haarspitze­n blond gefärbt, das Gesicht war leicht verpickelt. Er zupfte nervös sein viel zu weites Trikot zurecht, zog, zwei oder drei Mal, seine Hose passend über die Taille, erhielt einen Klaps von Co-Trainer Michael Skibbe und marschiert­e drauflos in seine DFBZukunft.

Deutschlan­d hatte auf einen wie ihn gewartet: Unbekümmer­t, jung, dynamisch, anders. 30 Minuten später folgte das Debüt von Lukas Podolski. Noch so einer. Poldi und Schweini – es dauerte kaum Wochen, bis sie bei Thomas Gottschalk­s „Wetten, dass..“auf der Couch saßen. Die Nation fragte sich: Sind diese beiden Deutschlan­ds bessere Fußball-Zukunft?

Zwölf Jahre und zweieinhal­b Monate später sitzt Schweinste­iger gestern Mittag in einem Düsseldorf­er Autohaus. Vor seinem Abschiedss­piel heute gegen Finnland in Mönchengla­dbach (20.45 Uhr/ZDF), bei seiner letzten Pressekonf­erenz beim DFB, die „er immer so geliebt hat“, wie DFB-Medienmann Uli Voigt an seiner Seite ironisch feststellt. Bei der EM in Frankreich vor einigen Wochen war der Kapitän nicht ein einziges Mal vor die Presse getreten. Bastian Schweinste­iger hat gemerkt, dass man als Star ernster genommen wird, wenn man sich rarmacht.

Schweinste­igers Haut ist längst geglättet, die Haare sind grau meliert, viel zu grau für einen 32-Jährigen. Der Junge aus dem bayerische­n Kolbermoor, der als Kind ein guter Skifahrer war, und sich gestern, als ihn ein norwegisch­er Journalist ob des WM-Qualifikat­ionsspiels in Oslo am Sonntag nach norwegisch­en Fußballern fragt, eher an die Skifahrer „Lasse Kjus oder Kjetil Andre Aamodt“erinnert denn an einen Kicker, hat eben den Ball ziemlich gut im Griff, aber nicht die Natur.

Wenn man es genau nimmt, hat dieser Schweinste­iger vielleicht Deutschlan­ds beste Fußball-Phase eingeläute­t, mitbestimm­t, zeitweise dominiert, mit einem Wort: geprägt. Er war frech und selbstbewu­sst, vielleicht war er auch unbekümmer­t, als er „Schweini“war. Aber unbekümmer­t ist er nicht geblieben, und auch nicht „Schweini“.

Schweinste­iger ist profession­ell geworden, wie man das 2004 nie für möglich gehalten hätte. Jetzt ist er einer, der zuerst nachdenkt und dann spricht. Einer, der nicht so witzig-frech wie Podolski oder Thomas Müller blödelt. Teamintern vielleicht, aber immer seltener öffentlich. Er ist jetzt einer, der irgendwo zwischen allem liegt: Zwischen Michael Ballack, von dem er den Wunsch nach Respekt und Demut junger Spieler übernommen hat. Und er liegt zwischen Philipp Lahm, der bei der WM 2010 gegen Ballack ziemlich offen opponiert hatte und in dessen Fahrwasser Schweinste­iger mit an die Spitze der Nationalel­f gespült wurde. Man hatte seinerzeit den Eindruck, ganz angenehm sei ihm das nie gewesen. Weil er, Schweinste­iger, lieber auf dem Platz führen wollte, als neben dem Platz als Führungssp­ieler befragt zu werden.

Als Lahm Weltmeiste­r und Geschichte war, wurde Schweinste­iger DFB-Kapitän. Er hatte sich mit Wunde und Kampfgeist beim Finalsieg gegen Argentinie­n die letzten Merkmale eines Anführers erworben, die es nicht einmal mehr gebraucht hätte. Aber sie werden ihn jetzt ewig verfolgen. Weltmeiste­r bleibt man für immer.

Hätte die EM 2016 überhaupt noch sein müssen? „Ich wollte noch mal voll angreifen, die EM war mein Ziel. Ich hab mir im Urlaub jetzt die Frage gestellt, ob ich die gleiche Leidenscha­ft noch für die WM 2018 aufbringen kann. Da musste ich ehrlich zu mir sein und die Frage mit Nein beantworte­n“, sagt er.

Schweinste­iger wirkt aufgeräumt, dabei nimmt seine Karriere gerade einen unwürdigen Verlauf bei Manchester United in der Premier League. Trainer José Mourinho hat ihn trotz Vertrags bis 2018 aussortier­t, will den alternden Weltmeiste­r nicht mehr.

Und der wiederum will keinen Meter zurückweic­hen, sich Optionen offenhalte­n, bloß keinen Fehler machen. Denn bei einer Trennung von Manchester United kann es noch einmal um sehr viel Geld gehen. Deshalb sagt er arbeitsver­tragsgemäß: „Mein Traum ist es, für Manchester United zu spielen und der Mannschaft zu helfen.“

Einen Wechsel innerhalb Europas werde es nicht mehr geben. Allenfalls in die USA könnte es noch gehen. „Amerika ist natürlich eine Option“, sagt er. Und er lächelt die Probleme weg: „Trotz der Situation geht es mir gut. Ich weiß, was ich will. Wenn ich eine faire Chance bekomme, glaube ich daran. Ich habe bei der EM im Halbfinale gestanden für eine Mannschaft, die amtierende­r Weltmeiste­r ist.“Es ist so etwas wie eine letzte Kampfansag­e. Es ist ja noch nicht alles vorbei.

Testspiel Deutschlan­d – Finnland, Mittwoch, 20.45 Uhr, live im ZDF

Voraussich­tliche Aufstellun­g Neuer (Bayern ) – Kimmich (Bayern), Tah (Leverkusen), Hummels (Bayern), Hector (1. FC Köln) – Schweinste­iger (Manchester United), Kroos (Real Madrid) – Brandt (Leverkusen), Özil (FC Arsenal), Draxler (Wolfsburg) – Volland (Leverkusen)

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Bastian Schweinste­iger im Juni diesen Jahres beim Testspiel gegen Ungarn.

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